Buschleben
03.10.2025 KolumneSONJA WOLF
Der Algorithmus ist ja nicht dumm. Er hat gemerkt, dass ich nach meinem Afrikaaufenthalt im Mai immer noch der Magie dieses Kontinents verfallen bin. Nachdem ich auf die Safariwerbespots aber nicht besonders angesprungen bin (zumindest nicht gerade jetzt!), spülte er ...
SONJA WOLF
Der Algorithmus ist ja nicht dumm. Er hat gemerkt, dass ich nach meinem Afrikaaufenthalt im Mai immer noch der Magie dieses Kontinents verfallen bin. Nachdem ich auf die Safariwerbespots aber nicht besonders angesprungen bin (zumindest nicht gerade jetzt!), spülte er mir letztes Wochenende die «masai story» in mein Instagram. Bamm! Die Fotos und Reels packten mich sofort und ich war gefühlt gleich wieder in den afrikanischen Busch zurückgebeamt. Nanu, die Autorin des Profils ist ja eine Deutsche, Stephanie Fuchs, die mit einem Massai-Krieger verheiratet ist und schon seit 2012 inmitten ihrer neuen Riesenfamilie im tansanischen Busch lebt!
Nun hatte mich zusätzlich zu meiner Nostalgiewelle auch noch das journalistische Fieber gepackt. Wow, wie ergeht es ihr dort? Freilich habe ich das Land und die tansanische Bevölkerung in sehr guter Erinnerung. Alle Menschen dort sind fröhlich und aufgeschlossen, die Natur einfach atemberaubend! Aber ich war nach meiner zehntägigen Afrikareise dennoch froh, wieder in der Schweiz frisches Hahnenwasser zu trinken und auf geteerten Strassen einigermassen zügig voranzukommen... Stephanie Fuchs jedenfalls schien die komplett andere Lebensweise absolut nichts auszumachen.
Von journalistischer Neugier getrieben stiess ich auf ihre Biografie. Perfekt! Die war als neunstündiges Hörbuch zu kaufen und in Sekundenschnelle zum Download bereit. Sucht! Die nächsten zwei Tage kam ich nicht los. In jeder freien Minute fühlte ich mit, wie die studierte Biologin ihr erstes Praktikum in Afrika macht, wie sie ihren hübschen, stolzen Massai-Krieger kennenlernt, der zwar nicht lesen und schreiben kann, aber selbst sie als Biologin mit seinen fundierten Kenntnissen über die Flora und Fauna beeindruckt. Wie sie eine Lebensmittelvergiftung, eine Blutvergiftung und mehrfach Malaria durchmacht oder nachts von Riesenameisenkolonien geweckt wird, die sich in ihre Haut verbeissen. Wie sie alle zwei Tage jeweils 45 Minuten bis zur Wasserstelle läuft, um aus einem Rinnsal Wasservorräte in Kanister zu füllen, die sie auf einem Esel heimtransportiert. Ich konnte mich nicht satthören an den Geschichten.
Aber warum macht sie das? Warum nimmt sie all die Entbehrungen auf sich? Die ersten überschwänglichen Hormone der neuen Liebe können sicher die ersten Jahre der Motivation erklären. Doch auch danach ist es recht simpel: Sie hat die Menschen dort schätzen und lieben gelernt und will ihnen helfen. Dank einer Fundraisingaktion hat sie zum Beispiel den Frauen ihres Dorfes Nähmaschinen besorgt und eine Nähausbildung ermöglicht. So produzieren sie fleissig farbige Sets von wiederverwendbaren Damenbinden, die sie selbst benutzen und auch in die Nachbardörfer verkaufen. Eine absolute Neuheit und auch Wohltat, gerade für die Mädchen, die nun vermehrt in die Schule gehen und sich dort ein «free bleeding» nicht mehr leisten können.
Und sowieso: Wer sagt, dass ein «zivilisiertes» Leben mit acht Stunden Verfassen von Zeitungsartikeln am Computer mit anschliessendem Spaghettiessen besser ist als zehn Stunden mit seiner Kuhherde in der Natur zu verbringen und dabei zu essen, was Mutter Natur gerade bietet? Viel Glück weiterhin, Stephanie! sonja.wolf@anzeigervonsaanen.ch