«Ich würde nie ‹füdliblutt› auf einer Bühne stehen!»
25.04.2024 InterviewJoelle Matti, Schauspielerin und Mitglied der Regie, spielt im «Chrüzwäg vom Castellan» die Rolle des Käthchens. Sie und Castellan-Darsteller Theo Reichenbach sprechen im Interview über die Faszination der Schauspielerei und über ihre Rollen. Und sie ...
Joelle Matti, Schauspielerin und Mitglied der Regie, spielt im «Chrüzwäg vom Castellan» die Rolle des Käthchens. Sie und Castellan-Darsteller Theo Reichenbach sprechen im Interview über die Faszination der Schauspielerei und über ihre Rollen. Und sie verraten, dass sie vor ihren Auftritten jeweils sehr nervös sind und was sie auf der Bühne niemals tun würden.
KEREM S. MAURER
Joelle Matti, Sie spielen das Käthchen Würsten, eine mutige, junge Freiheitskämpferin. Passt diese Rolle zu Ihnen?
JM: Ja, ich denke schon, weil ich gewisse Charakterzüge des Käthchens auch in mir spüre. Ich kann auch im echten Leben gut für etwas einstehen, das mir wichtig ist. Und weil das Ganze um vier Jahre verschoben wurde, passt die Rolle auch altersmässig zu mir.
Theo Reichenbach, Sie mimen den Castellan, den Chef und Anführer. Entspricht diese Rolle auch Ihrem Naturell?
TR: Ich finde, diese Rolle passt zu mir. Sie ist sehr herausfordernd. Den Chef zu spielen, liegt mir im echten Leben nicht wirklich. Zudem bringt Niclas Baumer, also der Castellan, einen kriegerischen Hintergrund mit. Er hat sich als Held hervorgetan, was sicher eine Seite ist, die ich in meinem Leben so nicht habe.
Wurden die Schauspieler aufgrund der Rolle ausgesucht oder haben Sie während des Umschreibens des Stücks versucht, die Rollen auf die vorhandenen Schauspieler zu münzen?
JM: Wir haben die Rollen nicht den Schauspielern auf den Leib geschrieben. Aber wir haben schon während des Schreibens erkannt und beraten, welche Rolle zu wem passt.
Dann sind Sie, Herr Reichenbach, von der Regie angefragt worden, ob Sie die Hauptrolle, sprich den Castellan, spielen wollen?
TR: Genau. Ruth Domke ist auf mich zugekommen, weil sie der Meinung war, dass diese Rolle zu mir passt.
Was bedeutet es für Sie, die Hauptrolle, oder in diesem Fall auch die Titelrolle zu spielen?
Die Hauptrolle zu spielen, ist sicher eine Ehre für mich. Ich möchte an dieser Stelle Ruth Domke zitieren. Sie sagt immer, es gebe in einem Theaterstück nur Hauptrollen, weil jede Figur wichtig sei und zum Gelingen des Stücks beitrage. Diese Rolle bedeutet vor allem, viel Text zu lernen, weil der Castellan doch die eine oder andere Rede schwingt.
Joelle Matti, Sie haben zusammen mit Hanspeter (Pitschu) Hefti und Ruth Domke das Stück umgeschrieben. Was haben Sie daran verändert?
JM: In erster Linie haben wir die Sprache unserer Zeit angepasst. Keine Verse mehr. Und wir haben das Stück von ursprünglich ungefähr dreieinhalb Stunden deutlich gekürzt. Zu Beginn des Stücks spielen wir in zwei Zeitzonen, nämlich im ausgehenden 14. Jahrhundert und in den 1950er-Jahren. Eine Lehrerin erzählt die Geschichte des Castellans ihrer Schulklasse. Und das, was wir auf der Bühne spielen und was die Zuschauer sehen, ist das, was in den Köpfen der Kinder abgeht.
Wenn Sie auf der Bühne eine Rolle spielen, sind Sie da noch Sie selbst oder identifizieren Sie sich so stark mit dem interpretierten Charakter, dass Sie denken, fühlen und handeln wie diese Person?
JM: Man wird auf jeden Fall ein Stück weit eins mit der Rolle. Ich empfinde es so, als würde ich jemand anderes. Genau das ist für mich die Faszination der Schauspielerei. Ich kann auf der Bühne Facetten oder Seiten einer Persönlichkeit zeigen, die ich sonst nicht habe – oder nicht haben darf.
TR: So geht es mir auch. Wenn ich eine Rolle spiele, bin ich quasi diese Person. Für mich wird es umso einfacher, je mehr ich mich von meiner eigenen Person löse und mich mehr und mehr in die Rolle hineinfühle. Dabei sind auch die Kostüme sehr hilfreich.
Joelle Matti spielt seit zwölf Jahren in der «Alpekomedi» mit.
Gibt es Rollen oder Charakteren, die Sie beide nie spielen würden?
JM: Nein, ich denke charaktermässig würde ich wohl so ziemlich alles spielen. Gerade eine abgrundböse Charaktere, wie zum Beispiel den ultimativen Nazi, zu spielen, wäre sicher sehr herausfordernd, aber gerade deshalb auch wieder sehr spannend. Aber ich würde nie «füdliblutt» auf der Bühne stehen. Da gibt es klare Grenzen für mich.
TR: Ich würde auch keine Rolle ablehnen. Und wie Joelle würde ich auch nicht nackt spielen wollen.
Zurück zum Castellan: Sind alle Schauspieler wieder dabei, die schon vor vier Jahren mitgemacht haben, es geht immerhin um 22 Sprechrollen?
JM: Es hat einige Abgänge von Leuten gegeben, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr mitmachen wollen oder können. Diese Rollen mussten natürlich neu besetzt werden. Aber jene, die noch dabei sind, haben ihre Rollen behalten. TR: Es war am einfachsten, die Rolle zu behalten, weil man sie ja schon gelernt hatte. Und wir waren wirklich sehr gut drin im Jahr 2020.
Sie müssen sich ja nicht nur in andere Personen hineinversetzen, sondern auch ins späte 14. Jahrhundert. Wie kann man sich in eine andere Epoche hineinfühlen?
JM: Iris Gasser, unsere Kostümnäherin, ist sehr mittelalteraffin und weiss viel über diese Zeit. Sie ist diesbezüglich eine wichtige Quelle für uns.
TR: Sie ist selbst Mitglied in einem Mittelalterverein und erzählt uns vieles über diese Epoche.
Wie schwierig ist es, eine Freilichtaufführung, die auf ein definiertes Gelände wie das Hasenloch zugeschnitten war, auf einen neuen Ort umzumünzen?
TR: Das war in unserem Fall gar kein Problem, weil wir den Castellan im Jahr 2020 gar nie auf dem Gelände probten.
Und wieder steht in etwa vier Monaten die Premiere an. Wie geht es Ihnen heute mit der Erinnerung an vor vier Jahren?
JM: Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Natürlich brauchte es für uns drei von der Regie Überwindung, um noch einmal anzufangen. Aber wir waren schnell wieder drin und sofort wieder Feuer und Flamme. Jetzt freuen wir uns sehr auf die Premiere!
Wie wichtig ist eigentlich so eine Premiere?
JM: Die ist schon sehr wichtig. Vorher haben wir ja noch die Hauptprobe und die Generalprobe. Die Generalprobe sollte eigentlich in die Hosen gehen, damit nachher die Premiere richtig gut wird.
TR: Das ist definitiv so. An der Hauptund Generalprobe gibt es eigentlich immer noch etliches, das nicht klappt. Da sieht man, wo noch was justiert werden muss. All diese Missgeschicke passieren dann an der Premiere nicht mehr – hoffentlich.
Zudem ist es ja nicht so, dass Sie beide zum ersten Mal auf einer Bühne stehen. Sie sind beide erprobte Laienschauspieler, nicht wahr?
TR: Ich war schon 2018 beim «Schwarzen Steff» dabei. Ansonsten habe ich abgesehen von einigen Theatern in der Schulzeit gar nicht so viel Theatererfahrung. Nun bin ich zur Freilichtbühne gekommen und das macht mir sehr viel Spass.
JM: Die Freilichtbühnenerfahrung hat mir Theo voraus. In der «Alpekomedi» spielen wir ausschliesslich Bühnentheater in der Halle. Freilicht ist schon etwas ganz anderes. Ich bin sehr gespannt, wie man das Publikum spürt – ob man es überhaupt spürt. Da geht es ja um ganz andere Distanzen zwischen Schauspielenden und Zuschauenden.
Theo Reichenbachs erster Auftritt im Freilichttheater war 2018 im «Schwarzen Steff»
Wie weit sind denn die hintersten Plätze vom Geschehen entfernt, von welchen Distanzen sprechen Sie?
TR: Das sind gut und gerne zwischen 50 und 100 Meter. Ohne Mikrofone wäre dies nicht machbar. Sobald der Wind auffrischt, würden die Zuschauenden nicht mehr hören, was wir sagen.
Dann sollten die Texte sitzen. Ich denke, eine Souffleuse ist bei einer Freilichtaufführung mit solchen Distanzen nicht einsetzbar? Die müsste relativ laut über das Gelände rufen, um einzuflüstern?
JM (lacht): Das ist eben Theater. Doch, Souffleusen gibt es auch im Freilichttheater. Es bestehen Ideen, unsere Souffleuse unter einem Reisighaufen zu verstecken, damit man sie vom Publikum aus nicht sieht, sie aber dennoch in der Nähe der Schauspieler ist.
Haben Sie einen Knopf im Ohr, damit Sie sie verstehen, ohne dass sie über das ganze Gelände einflüstern muss?
JM: Nein, sie müsste im Bedarfsfall schon relativ laut aushelfen, das wäre im Publikum auf jeden Fall hörbar.
TR: Meiner Erfahrung nach wird es die Souffleuse kaum brauchen. Bei den letzten Malen musste sie uns nicht helfen.
Das heisst, Text und Gesten sitzen?
JM: Ja, ich würde sagen, wir sind mittlerweile alle sehr textsicher. Es wäre ja für uns sehr peinlich, wenn wir den Text vergessen hätten und alle hören würden, dass uns der Text eingeflüstert wird.
TR: (lacht) Wir hatten ja auch genug Zeit, um die Texte zu lernen.
Sind Sie nervös, wenn Sie auf die Bühne raus müssen?
JM: Ich sterbe jedes Mal fast vorher. Echt, ich bin immer sehr aufgeregt. Aber wenn ich nicht nervös werde, spiele ich nicht gut. Je schlimmer das Lampenfieber, desto besser meine Leistung. Sobald ich einen Fuss auf die Bühne setze, geht es. Aber es belastet mich nicht, ich freue mich darauf. Und wenn ich an die Freilichtbühne mit 250 Sitzplätzen denke, bin ich heute schon nervös!
TR: Das geht mir ähnlich, ist bei mir aber nicht so extrem wie bei Joelle. Vielleicht wiederhole ich meinen Text, um mir Sicherheit zu geben oder ich schaue noch einmal ins Skript. Oft gehe ich auch die Szene im Kopf noch einmal durch, wie ein Skirennfahrer vor dem Start, der noch einmal im Kopf die Strecke abfährt.