Cottier-Testament ist 300 Jahre alt
15.07.2025 RegionCottier-Testament ist 300 Jahre alt
Ein Testament, das in diesem Jahr 300 Jahre alt wird und ein ursprüngliches Vermächtnis zugunsten der kirchlichen Unterweisung bedürftiger Saaner Kinder ist: Das Cottierstift der Landschaft Saanen hat ...
Cottier-Testament ist 300 Jahre alt
Ein Testament, das in diesem Jahr 300 Jahre alt wird und ein ursprüngliches Vermächtnis zugunsten der kirchlichen Unterweisung bedürftiger Saaner Kinder ist: Das Cottierstift der Landschaft Saanen hat die Jahrhunderte überdauert und ist in die neue Zeit überführt worden – mit einigen Anpassungen.
KEREM S. MAURER
Das vermögende und kinderlose Ehepaar Pierre und Ester Cottier-Bovay verfügte in einem Testament vom 8. Januar 1725, dass die Erlöse aus den sich in ihrem Besitz befindenden Alpen den Saaner Kindern zugutekommen sollen. In der Stiftungsurkunde heisst es: «So verordne und vergaabe ich, der Ehemann, zu gutem denen gesambten Schulen, der vier Kirchhörinen, in der Landschaft, Alls Sanen, Gsteig, Lauwinen, und Anflentschen, zu Gottes Lob und Ehr, desto besserer underweysung der Lieben Jugend, und wachstumb in der Erkanntnuss Gottes, meine hinder Rothenberg und Oesch, an einanderen gelegene Bergen Martinni und Plan Tieren genannt, sambt darauf stehenden Gebäuwen, und übriger gantzen Zugehörd, wie das einte und andere Enden mir zustehet und gebühret, und solches nach meinem Tödtlichen hinscheid, in eigenthumbliche besitzung zu nemmen.» Und in einem vom 7. November 1747 datierten Codizill (letztwillige Verfügung, Anm. d. Redaktion) hielten die Eheleute Cottier ausserdem fest: «... sowohl der Martiniberg als auch Plantieren zu Gunsten der Schulen zu allen Zeiten an ihrem Ort ohnverüsserlich stehen und also weder verkauft, versetzt, vertauschet, oder in einichen anderen Weg veränderet, vertheilt oder alieniert werden sollen ...» Bis heute stehen also die testamentarisch verfügten Waadtländer Gebiete (siehe Kasten) unter Saaner Verwaltung. Obschon sich der Zweck der Stiftung nicht grundlegend verändert hat, stehen heute nicht mehr bedürftige Schulkinder im Fokus der Zuwendungen, sondern die drei Pächter der geerbten Alpen.
Mieteinnahmen statt Alperlöse
Am 7. Juli traf sich der aktuelle Stiftungsrat des Cottierstifts, der sich vorschriftsgemäss aus vier Vertretern aus Saanen sowie je zweien aus Gsteig und Lauenen zusammensetzt, zu ihrem jährlichen «Umgang». Stiftungsrat Patrick Westemeier erklärt: «Jedes Jahr besuchen wir einen der Pächter, sprechen mit ihm und schauen, wo der Schuh drückt.» Doch bevor es auf die Alp Combette ging, besuchte der Stiftungsrat einige andere Orte, an denen gewisse Massnahmen mit Stiftungsgeldern finanziert wurden. Da wurde ein Zaun neu gestellt, dort eine Scheune angebaut, ein Stall saniert oder eine Dachrinne ersetzt. In einer Zeit, in der eine Sömmerungsalp trotz dazugehörenden Waldflächen kaum noch Rendite abwirft, drängt sich die Frage auf, woher das Geld stammt, mit welchem der Cottierstift seine Pächter unterstützt. Noch einmal Patrick Westemeier: «Sömmerungsalpen schieben heutzutage, insbesondere bei den gegenwärtigen Absatzschwierigkeiten von Alpkäse, im besten Fall Nullrunden. Das Stiftungsgeld stammt hauptsächlich aus den Mieteinnahmen unseres Mehrfamilienhauses in Saanen.»
Eine ehrenamtliche Ehre
Beat Reichenbach, der das Cottierstift selbst von 2018 bis 2022 präsidiert hat, weist darauf hin, dass die Stiftungsräte aus verschiedenen handwerklichen Berufen kommen. «Unter uns sind Sanitärinstallateure, Planer, Zimmerleute und Dachdecker. So können wir die Arbeiten, die es für die eine oder andere Instandhaltung braucht, einschätzen.»
Und gegebenenfalls gleich selbst ausführen. Ein landwirtschaftlicher Hintergrund sei nicht zwingend notwendig, aber bei fast allen Stiftungsräten vorhanden und der Sache dienlich. Die Stiftungsräte erhalten für ihre Tätigkeit keinen Lohn, sondern eine «bescheidene Spesenentschädigung», wie es im Testament vorgesehen ist, damit nahezu der vollständige Erlös aus den Mietobjekten und den Alpen den Stiftungszwecken zugeführt werden kann. Stiftungsrat eines 300-jährigen Stifts zu sein, sei im wahrsten Sinn des Wortes ein «Ehrenamt», findet Beat Reichenbach, denn: «Es ist für mich wirklich eine Ehre, in diesem Stift mitwirken zu dürfen.»
Ohne Bürokratie und nah beim Pächter
Nach den Besichtigungen auf dem Umgang trafen die Stiftungsräte inklusive Präsident Niklaus Zingre und Verwalter Arthur Haldi bei Eugen Reichenbach auf der Alp Combette ein. Glückliche Alpschweine, die sich in ihrem Aussengehege wohlig suhlten, begrüssten die Ankommenden mit fröhlichem Gegrunze. Man traf sich in der Alphütte auf rund 1800 Metern über Meer, verpflegte sich gemeinsam mit Zopf und hausgemachtem Käse und sprach über Gott, die Welt und die Herausforderungen in Sömmerungsbetrieben. Dann fragte der Stiftspräsident, wie es Eugen Reichenbach auf der Alp ergehe.
Nach einem kurzen Wortwechsel stand fest: Eine in die Jahre gekommene Regenrinne aus Holz muss ersetzt werden. Der Pächter dürfe davon ausgehen, dass seinem Anliegen nachgekommen werde, sagte Beat Reichenbach auf dem Nachhauseweg. Arbeiten in dieser Grössenordnung würden kurz im Stiftungsrat diskutiert, dann meist unbürokratisch erledigt.
AUS DEM TESTAMENT DES COTTIERSTIFTS
«Pierre Cottier von Vivis und Rothenberg und seine Frau Esther geb. Bovay zogen um 1720 als reiche kinderlose Eheleute nach Saanen. Dort bewohnten sie das Haus in der Öy, welches 1920 im Bau erneuert wurde. Hier erfuhren sie mannigfache Erweise von Hochachtung und Freundlichkeit, so daß Cottier seinen Dank im Testament vom 8. Januar 1725 kundgab. Damit vermachte er den Schulen von Saanen, Lauenen, Gsteig und Abläntschen seine in der Gemeinde Rougemont gelegenen Weiden Martigny und Plantière am Fuß des Rüebli hoore. Aus den jährlichen Einkünften sollten vermögenslosen Schülern Bibleni, Psalme-m-büecher und andere geistliche Schriften, allen Schülern sodann öppis an Gält verabfolgt werden. D’Landsg’mein und der Landsvenner durften über die Erträge noch anderswie verfügen. Frau Cottier testierte für die Schulen zum nämlichen Zweck 1600 Chrooni. Die Landschaft Saanen dankte am 15. November 1746 mit der Errichtung eines Chilche stuehl. Das Ehepaar bestätigte seine Vermächtnisse durch Erläuterungs-Nachträge; durch das Kodizill vom 7. November 1747 wurden die Berge Ouges und Comballet in Rougemont den Armen der Landschaft Saanen vergabt.
Am 28. November 1747 starb Pierre Cottier. Nun vermachte – am 5. November 1750 – die Witwe ihre noch übrigen Liegenschaften den Armen der Landschaft. Nachdem sie – am 6. Mai 1760 – die Augen geschlossen, versuchten ihre Verwandten die letzten Verfügungen der Eheleute Cottier anzufechten. Es kam ein Vergleich zustande, in welchem die Landschaft auf die Planard-Vorsaß verzichtete und 200 Kronen als Entschädigung bezahlte, ihr aber alle andern Vermächtnisse verblieben.
1827 wurde das Vermögen der Landschaft unter deren drei nunmehrige G’meini oder G’meindi verteilt. Unaufgeteilt aber verblieb die Cottierstift, von deren Erträgen damals nichts, nicht einmal das schlagreife Holz veräußert werden durfte. Die Ggottistift blieb darum der Landschafts kumission unterstellt.
Als 1843 zum Zweck einer Marchverbesserung mit Aastööße (Anstössern) ein Waldstück ausgetauscht und 1861 ein Holzschlag unternommen wurde, traten eindlif Nachkommen des Bruders von Pierre Cottier als Kläger auf. Ja, sie forderten die Herausgabe der gesamten Cottierstift. Und prozidiert hät sölle wärde vor waadtländischen Gerichten. Hiergegen beschwerte sich Saanen beim Bundesrat durch Fürsprech Riihembach von Gstaad in Burgdorf im Oktober 1861. Am 15. Mai 1862 antwortete der Bundesrat abweisend. Da appellierte Saanen an die Bundes versammlung. Die entschied: die Klage gehört vor das Gericht, in dessen Marken der Erblasser wohnte. Da hei d’Chleger lugg g’laße und d’Chöste ’zahlt. Ungehindert konnten fortan die schönen Vermächtnisse dem Schul- und Armenwesen zugewandt werden: Saanen erhält sieben Neuntel der Erträgnisse, die beiden andern Gemeinden je einen Neuntel.»
Im Wortlaut aus: Projekt Gutenberg DE, Edition 16, 2. und letzte Ausgabe. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE, Stand vom November 2024.
URSPRÜNGLICHE ERBSCHAFT
Martiniberg, Planggeren/Planquirin (alt Plan Tieren), Innere Comballes-Weide, Les Ouges und Gross Craux (Gemeindegebiet von Rougemont) sowie Ganane/Cananéen (Rougemont und Château-d’Oex) und Öy-Heimweisen (Saanen, Öy, halbes Haus). Zwischen 1843 und 1935 wurde das Gebiet infolge von Waldabtausch, des Erwerbs von Weide- und Waldrechten sowie von Holzschlagrechten vergrössert. KMA