Das alte Spital wird wieder zum Thema
31.03.2023 SaanenVor fünfeinhalb Jahren schloss das Medical Center seine Türen. Aufgrund des drohenden Hausärztemangels hat der Saaner Gemeinderat nun eine Projektgruppe ins Leben gerufen, um im Holzbau des alten Spitals einen neuen Anlauf zu starten. Konkrete Pläne bestehen noch ...
Vor fünfeinhalb Jahren schloss das Medical Center seine Türen. Aufgrund des drohenden Hausärztemangels hat der Saaner Gemeinderat nun eine Projektgruppe ins Leben gerufen, um im Holzbau des alten Spitals einen neuen Anlauf zu starten. Konkrete Pläne bestehen noch nicht, interessierte Hausärzte werden nun gesucht.
JOCELYNE PAGE
«Möglicherweise wird ein Medical Center wieder zum Thema, wenn einzelne Hausärzte aufhören zu praktizieren», zitierte der AvS den Saaner Gemeindepräsidenten Toni von Grünigen am 1. September 2017, als die definitive Schliessung des Medical Centers durch die betreibende Localmed Aare AG bekannt wurde. Heute, fünfeinhalb Jahre später, könnte es wieder soweit sein: Aufgrund des drohenden Hausärztemangels hat die Gemeinde Saanen eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die gemeinsam mit der Praxamed Center AG nun nach Lösungen sucht, die im Holzbau des alten Spitals realisiert werden sollen.
Die Ausgangslage
Der Blick in die medizinische Grundversorgung im Saanenland zeigt: Die Medaxo-Gruppe sucht nach Nachfolgern für Dr. Nikolaus Hoyer, Dr. Mirela Mondescu und Dr. Beat Michel, die im Verlauf des Jahres das Praxiszentrum Madora verlassen werden (wir haben berichtet). Auch Dr. Niklaus Perreten wird voraussichtlich Ende Juli in Pension gehen. Trotz intensiver Suche während der letzten drei Jahre habe er «leider» keine Nachfolgerin oder Nachfolger gefunden, sagt Dr. Perreten auf Anfrage. Sollte sich an diesem Zustand in nächster Zeit nichts ändern, bleiben Dr. Claudia Hauswirth und Dr. Gerhard Amiet mit ihrer Gruppenpraxis Chalet Santé die letzten praktizierenden Hausärzte in der Region. «Das Gesundheitswesen fällt eigentlich in die Zuständigkeit des Kantons. Allerdings wurde das Problem in unserer Region immer akuter, weshalb wir uns entschlossen haben, aktiv zu werden», erklärt Gemeinderat Nathanael Perreten bei einem Treffen der Projektgruppe. Das Gremium berief Anfang März einen Runden Tisch ein, an dem die Gemeinden Lauenen und Gsteig, die Apotheke Dr. Kropf, die verschiedenen Hausärzte, die Medaxo-Gruppe, die Spital STS AG, die Gstaad International Healthcare AG und die Gesundheit Simme Saane AG anwesend waren. Saanen habe nun entschieden, die einzelnen Akteure mit bestehenden Angeboten und Dienstleistungen zu unterstützen, denn diese hätten Vorrang. «Sollten aber keine Nachfolgelösungen gefunden oder sonstige Pläne nicht realisiert werden können, reagieren wir», erklärt Perreten. Die Gemeinde könne es sich aber nicht erlauben, diesen Zeitpunkt abzuwarten. «Auf Empfehlung von verschiedenen Gemeindepräsidenten sind wir mit der Praxamed Center AG in Kontakt getreten», sagt Gemeindepräsident Toni von Grünigen. Die Praxamed Center AG ist ein Unternehmen, welches Ärztepraxen bei ihrer Nachfolgesuche unterstützt, aber auch Gemeinden bei der Sicherung der medizinischen Grundversorgung hilft. Zu ihrem Portfolio würden rund 60 Praxen gehören, die sie auch erfolgreich in Gemeinden eröffnen konnten, die sich in der gleichen Ausgangslage wie Saanen befunden hätten, gab Projektleiter Dominik Balli an. Er und die Projektgruppe sind sich einig: Um neue Hausärzte langfristig ins Saanenland zu holen, brauche es ein Umfeld, in dem sie ein flexibles Arbeitsmodell vorfinden, kein vollumfängliches finanzielles Risiko tragen müssen und sich mit Arbeitskollegen austauschen und zusammenarbeiten können.
Das Vorhaben
Das gemeindeeigene alte Spital in Saanen ist Fokus einer zukünftigen Lösung. Wird es eine Gemeinschaftspraxis? Wie viele Ärztinnen und Ärzte sollen praktizieren? Inwiefern ist die Gemeinde finanziell daran beteiligt? Alles Fragen, die noch offen seien, auf die der Gemeinderat aber schnellstmöglich Antworten finden wolle, so Gemeinderätin Petra Schläppi. «Zuerst müssen wir die Fachkräfte finden.» Am Ostermontag veranstaltet die Gemeinde deshalb ein ungezwungenes Treffen für alle Interessierten, um sich über Vorstellungen, Erwartungen und Bedingungen auszutauschen – und als Gemeinde wolle man auch die Möglichkeiten aufzeigen. «Sobald sich Interesse oder sogar Zusicherungen abzeichnen, fangen wir mit der Projektierung an und wir hoffen, dass wir sobald wie möglich damit anfangen können», so Gemeinderat Martin Hefti.
Eine Wendung bei den nationalen Zulassungsbedingungen lässt den Gemeinderat zudem neue Hoffnung schöpfen: Das Bundesparlament hat eine befristete Dringlichkeitsklausel beschlossen, die es den Kantonen ermöglicht, eine Ausnahme von der dreijährigen Tätigkeitspflicht für Ärztinnen und Ärzte zu gewähren, dies in Regionen mit einer nachgewiesenen Unterversorgung. «Wir gehen davon aus, dass der Kanton Bern das Saanenland als unterversorgt einstuft. Die Suche nach Fachkräften würde sich um einiges einfacher gestalten», erklärt Petra Schläppi.
Die Vergangenheit
Das alte Spital mit seinem ehemaligen Medical Center fand nicht nur Unterstützung. Damals hatte die Gemeinde Saanen einige Kritik einstecken müssen und nach nur eineinhalb Jahren in Betrieb kündigte die Localmed Aare AG den Vertrag (siehe Kasten). Wieso wollen die Gemeinderäte einen möglichen zweiten Anlauf starten? «Die komplette Situation hat sich verändert», antwortet Toni von Grünigen. Eine Lösung sei dringend und werde von den Akteuren unterstützt. Zudem bestehe heute beispielsweise keine Konkurrenzangst unter den Ärzten mehr – ein weiteres Angebot würde Abhilfe schaffen.
Die Zukunft
In Hinblick auf das Treffen mit potenziellen Hausärztinnen und Hausärzten schaue der Gemeinderat auch auf die Abstimmungen an der Gemeindeversammlung im Juni: Die Bürgerinnen und Bürger stimmen über den jährlichen Beitrag für das integrierte Versorgungsmodell Gesundheitsnetz Simme Saane (GSS) ab. «Mit dem Ambulanzund Rettungsangebot, dem Spital und den Notfalldiensten sind wir in der Region sehr gut organisiert. Damit dies auch so bleibt und wir von diesen Angeboten weiterhin profitieren können, ist eine Zustimmung für die GSS essenziell», so Toni von Grünigen. Zeitgleich werde die Bevölkerung auch über das Geschäft der Gstaad International Healthcare AG (GIH AG) abstimmen.
«Rückblickend muss man sagen, dass es für den erfolgreichen Betrieb von einem Medizentrum wohl noch zu früh war», sagte von Grünigen 2017. Ob der Zeitpunkt dafür oder für andere Organisationsformen nun gekommen ist, wird sich zeigen.
NOTFALLDIENSTE AM WOCHENENDE
Von April bis Juni teilen sich die Hausärzte aus dem Obersimmental und Saanenland neu die Notfalldienste an den Wochenenden. Dies ist dem aktuellen Dienstplan der niedergelassenen Ärzte Saanenland zu entnehmen. Neu sind neben den lokalen Hausärzten die Simmepraxis Lenk, Dr. Joachim Maier aus Zweisimmen und die Praxis Dr. Robert Härri in Boltigen im Dienstplan eingeteilt. Zudem unterstützt Dr. Benoît Zurkinden aus Rougemont die Ärzte im Notfall.
PD/JOCELYNE PAGE
RÜCKBLICK
Das alte Spital und das ehemalige Medical Center sorgten vor rund zehn Jahren für hitzige Diskussionen. Um nach der Schliessung des Spitals in Saanen die medizinische Grund- und Notfallversorgung der Bevölkerung im Saanenland auch in Zukunft sicherzustellen, plante die Gemeinde Saanen 2012 ein Gesundheitszentrum/Ambulatorium in den Räumlichkeiten des ehemaligen Spitals Saanen – schon damals war Localmed im Gespräch. 2014 stellte man ein Neubauprojekt auf dem Areal der Spitalliegenschaften für fast zwölf Millionen Franken vor. Im April 2015 wurde jedoch das Projekt, das zusammen mit der lokalen Hausärzteschaft, dem Spitexverein und der Physiotherapie Birdie in Saanen entwickelt worden war, gestoppt. Die künftigen Nutzer und die Behörden haben sich überworfen und Localmed bekam den Zuschlag für den Betrieb eines Ärztezentrums im ersten Pflegegeschoss des ehemaligen Spitals – aus finanzpolitischer Sicht, wie der Gemeinderat damals begründete. Das Medical Center, eine Walk-in-Praxis für Einheimische und Gäste, nahm dann im Dezember 2015 den Betrieb auf. In einem Interview mit dem AvS am 2. Oktober 2015 betonte Localmed, dass ihr Angebot ergänzend sei und keinesfalls in Konkurrenz zu den bestehenden Hausärzten stehe. Auf Wunsch der Gemeinde sollte das Medical Center auch an den Wochenenden geöffnet haben, was sich für die Betreiberin finanziell aber nicht rechnete. Die Gemeinde Saanen und der «Verein der Freunde des Gesundheitswesens» wollten das Medical Center mit je 100’000 Franken unterstützen. Kritik wurde laut: Auf Initiative der Hausärzte wurde gegen das Vorhaben das fakultative Referendum ergriffen und der Souverän lehnte es an der Gemeindeversammlung vom 15. April 2016 ab, Steuergelder für die Finanzierung des Wochenenddienstes im Medical Center zu bewilligen. Daraufhin reduzierte Localmed die Öffnungszeiten und gab Ende März den Betrieb schliesslich ganz auf. Localmed habe als «Zugewanderte» zu wenig Fuss fassen können, begründete der damalige Verwaltungsratspräsident Urs Birchler. Dem Medical Center sei es nicht gelungen, eine tragfähige Basis durch einen genügend grossen Patientenstamm aufzubauen, der auch in den saisonal schwachen Zeiten eine angemessene Auslastung bieten würde.
Für die Hausärzte kam der Entscheid nicht überraschend: Eine 24-Stunden-Einrichtung sei nicht kostendeckend zu betreiben und das Medical Center sei den gleichen Schwierigkeiten begegnet wie andere Praxen oder Spitäler, wie Arbeitskräfte finden oder einen Patientenstamm aufbauen.
Nach der Schliessung des Medical Centers beschloss der Gemeinderat, die Räumlichkeiten weder umzubauen noch sie weiterzugeben oder für eine andere Nutzung zur Verfügung zu stellen. «Damit man parat ist, wenn es Interessenten geben würde oder man etwas in der Art aufgleisen könnte», so Toni von Grünigen gegenüber dem AvS nach der Schliessung. Die ärztliche Versorgung funktionierte gut, so die Einschätzung 2015 der Exekutive. «Möglicherweise wird ein Medical Center wieder zum Thema, wenn einzelne Hausärzte aufhören zu praktizieren.»
2023, fünfeinhalb Jahre später, ist die Hausärztesituation besorgniserregend. Der Gemeinderat sucht nun mit der Praxamed Center AG nach Fachpersonal und Organisationsformen für das alte Spital. Vorrang hätten allerdings die bestehenden Hausärzte und die in Pension gehenden Fachkräfte, die nach Nachfolgelösungen suchen würden.
ANITA MOSER/JOCELYNE PAGE