Das Foto als literarische Inspirationsquelle oder der Versuch, das Unfassbare fassbar zu machen

  13.09.2022 Vorschau

Wie jedes Jahr werden die Autorenlesungen des «Literarischen Herbst» von den Schülern/innen des Gymnasiums in Gstaad zum Anlass genommen, mit zeitgenössischer Literatur in Berührung zu kommen und im Gespräch mit SchriftstellerInnen, sowie in den diversen Veranstaltungen deren fiktionale Welt zu ergründen und zu begreifen. Die Abschlussklasse hat sich mit dem Erzählband «Das Foto schaute mich an» der Ukrainerin Katja Petrowskaja auseinandergesetzt, der am Samstag, 17. September 2022 um 20 Uhr im HUUS Saanen-Gstaad vorgestellt wird.

Die Autorin
Katja Petrowskaja stammt aus einer jüdisch-ukrainischen Familie und wuchs in Kiew auf. Sie studierte Literaturwissenschaft und Slawistik an der Universität Tartu (Estland).

Später zieht sie mit ihrer eigenen Familie nach Berlin. Deutsch wird zur Sprache ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. 2014 erscheint ihr erster Erzählband «Vielleicht Esther». Geschichten, für deren gleichnamige Erzählung sie 2013 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhält. Sie thematisiert die Geschichte ihrer Urgrossmutter, die 1941 in Kiew verschleppt und beim Massaker von Babi Jar von den Nationalsozialisten ermordet wurde. 2015 wird die Schriftstellerin mit drei literarischen Preisen ausgezeichnet (Ernst-Toller-Preis, Schubart-Literaturpreis, Premio Strega Europeo). 2022 erscheint ein weiteres Werk von Petrowskaja: «Das Foto schaute mich an».

In Talkshows des deutschen Fernsehens engagiert sich die Autorin zurzeit stark für die Ukraine und ruft den Westen dazu auf, ihr Land militärisch zu unterstützen.

Das Werk «Das Foto schaut mich an»
Seit 2015 schreibt Petrowskaja regelmässig Foto-Kolumnen für die FAZ, Bildbetrachtungen, die sie 2022 in einem Erzählband veröffentlicht hat. Fotografien aus Familienalben, Landschafts- und (zerstörte) Städtebilder, Momentaufnahmen und prämierte Kunstfotos, die ihr auf verschiedene Art und Weise zugetragen wurden. Die Schriftstellerin beschreibt die Bilder, recherchiert über ihre Herkunft und versucht, in ihre Realität einzutauchen, ihrer habhaft zu werden, mit ihnen in einen Dialog zu treten – so z.B. mit einem ukrainischen Bergmann oder mit einem Flüchtlingspaar auf Lesbos. Oft verknüpft sie autobiographische und familiäre Ereignisse mit den Bildern, greift sozialkritische Themen auf, wie die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die Opfer der Industrialisierung oder politische Themen, wie z.B. Krieg, Gewalt, Heldentum in einem repressiven Staat, aber auch Fragen der Kunst (z.B. Was ist Schönheit?) und existentieller Art (Auseinandersetzung mit Kafka). Andernorts wird die Wirkung der Bilder auf die Betrachterin beschrieben und Unvereinbares im Bild hervorgehoben, das die Faszination der Fotos ausmacht (z.B. eine nackte Frau auf einem Familienfoto). Ihre Ausführungen werden mit kulturellen Anspielungen (z.B. Venus von Botticelli, Schwanensee) und Parallelen aus dem Alltag der Erzählerin (z.B. Begegnung mit einer Maria-Stuart-Schauspielerin) angereichert. Oft fügen sich die Puzzleteile der Assoziationen und Betrachtungen am Schluss der Betrachtung zu einem gewobenen Ganzen zusammen, zu einer errungenen Einsicht.

Die Klasse 23s kommentiert
«Die Erzählerin ringt mit jedem Foto um eine Wahrheit, die sie diesem abgewinnt.»

«Mit ihrem Umkreisen und Einbetten der Bilder schafft es Petrowskaja immer wieder, die Leserschaft in ihren Bann zu ziehen.»

«Die Erzählerin fasziniert mit der Auswahl der Sujets (Fotos) und den sozialkritischen Anspielungen, der politischen Anklage.»

«Die Erzählinstanz versucht manchmal, in die Realität einzutauchen, scheitert auch hie und da und wird auf sich selbst zurückgeworfen, wobei ihr dennoch eine wichtige Erkenntnis bewusst wird.»

KLASSE 23S VON URSULA MOULIN


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote