«Ein echter Milizpolitiker»
03.10.2023 PolitikAm vergangenen Freitag hielt der Nationalrat seine letzte Sitzung in dieser Zusammensetzung ab. 29 Mitglieder des Rates kandidieren nicht mehr, darunter auch Erich von Siebenthal. Nationalratspräsident Martin Candinas würdigte den Gstaader als echten Milizpolitiker. «Den ...
Am vergangenen Freitag hielt der Nationalrat seine letzte Sitzung in dieser Zusammensetzung ab. 29 Mitglieder des Rates kandidieren nicht mehr, darunter auch Erich von Siebenthal. Nationalratspräsident Martin Candinas würdigte den Gstaader als echten Milizpolitiker. «Den Weitblick, den er hoch über dem Saanenland geniesst, bringt er auch in die politische Arbeit ein», so Candinas.
ANITA MOSER
Freitag, 29. September, 7.20 Uhr: Die Stadt ist noch im Dämmerschlaf, der Bundesplatz bis auf ein paar Stühle verlassen. Ein Bundeshausmitarbeitender hisst die Schweizer Fahne. Wie abgemacht punkt 7.30 Uhr kommt Erich von Siebenthal zum Fototermin mit dem «Anzeiger von Saanen» auf den Bundesplatz. Sein letzter Arbeitstag als Nationalrat bricht an. Er nimmt es gelassen. «Es ist gut so», sagt er. Er freut sich auf seinen neuen Lebensabschnitt. Auch seine Frau und weitere Familienmitglieder sind angereist. Während ich mich via Hintereingang ins Bundeshaus begebe, schreitet Erich von Siebenthal zum letzten Mal als Nationalrat via Haupteingang ins imposante Regierungsgebäude. Punkt acht Uhr läutet Nationalratspräsident Martin Candinas (Mitte/Graubünden) den letzten Sessionstag ein.
Verabschiedung von 29 Mitgliedern des Nationalrates
«Dieser letzte Tag der Legislatur ist ein besonderer Tag. Er ist der Moment, um Abschied zu nehmen und zu würdigen», betont Candinas. Die 51. Legislaturperiode ende, wie sie begonnen habe: in einem unruhigen Klima auf internationaler Ebene. «Krieg ist vor unserer Haustüre ausgebrochen und viele Staaten stehen vor grossen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Energieengpässe haben uns schneller als erwartet eingeholt. All diese Ereignisse haben uns daran erinnert, wie sehr das Schicksal der Schweiz mit dem unserer Nachbarn und dem Rest der Welt verbunden ist.» Und gerichtet an die 29 Abtretenden: «Sie haben ihr Mandat mit Leidenschaft und Enthusiasmus ausgeübt, jede und jeder nach ihrem/seinem Temperament. Wir haben debattiert, diskutiert, oft überzeugt, manchmal gewonnen, aber auch oft verloren. Sie wissen nicht mehr, wie viele Stunden sie in den Sitzungen verbracht haben, wie oft sie abgestimmt haben, wie viele Entscheidungen sie nach bestem Wissen und Gewissen getroffen haben. Einige Momente waren intensiv, andere langatmig. So ist das parlamentarische Leben.»
«Personifizierte Bodenständigkeit»
Der Ratspräsident verabschiedete die Abtretenden dem Alphabet nach. Angelangt bei K verkündete er, dass sich Roger Köppel für die Sitzung entschuldigt habe, was Gelächter im Rat auslöste, da Roger Köppel bekanntlich sehr oft gefehlt hatte.
Zu SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal gewandt, sagte Martin Candinas: «In einem Medienporträt wurde er treffend als personifizierte Bodenständigkeit charakterisiert. Er ist ein echter Milizpolitiker.» Den Weitblick, den er hoch über dem Saanenland geniesse, bringe er auch in die politische Arbeit ein. Zentral für ihn seien die Bewahrung der Schöpfung und der Schutz der Menschenwürde. «Gradlinig, konsequent, eigenständig und mit grossem Engagement setzte sich Erich von Siebenthal neben Themen wie Tourismus, Gewerbeförderung und medizinische Versorgung insbesondere für die Berglandwirtschaft und für die Verwendung von einheimischem Holz ein. Dabei gelang es ihm immer wieder – dank seiner guten Vernetzung und seiner Hartnäckigkeit – Mehrheiten zu finden für seine Anliegen.» Wichtig sei für Erich von Siebenthal auch das christliche Fundament, das ihm persönlich und in der Politik die nötige Ruhe und Gelassenheit gebe. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm Erich von Siebenthal die Worte auf und mit Standing Ovations wurden die Abtretenden vom Gesamtnationalrat verabschiedet und ihr Engagement gewürdigt.
Der Nationalratspräsident und die vierte Landessprache
Martin Candinas blickte auf ein herausforderndes und unvergessliches Jahr als Nationalratspräsident zurück. «Die Bevölkerung erwartet von uns, dass wir die Konkordanz, den Föderalismus und die direkte Demokratie bei unserer Arbeit stets achten», betonte der Bündner in seiner Schlussrede. «Die grosse Stärke unseres Landes ist es, dass wir über stabile, politische und leistungsfähige Institutionen verfügen. Dazu müssen wir Sorge tragen, aber auch zu unserer Streitkultur. Debatten sind Teil der Lösung, nicht des Problems. Sie sind zentral in unserem politischen System.» Entscheidend sei die gegenseitige Achtung und der gelebte Respekt. «Im Unterschied zu fast allen Ländern haben wir mit unserer direkten Demokratie in der Schweiz ein Ventil, wo Kritik abgelassen und in positive Energie umgewandelt werden kann.» Selbst wenn unser System nicht perfekt sei, sei er nach wie vor überzeugt, dass es auf der ganzen Welt kein gerechteres, kein robusteres politisches System gebe als in der Schweiz. «Während meiner Aufenthalte im Ausland, insbesondere in Asien und Südamerika, habe ich erlebt, dass die Welt uns achtet, aber nicht auf uns wartet. Wollen wir unseren Wohlstand erhalten, müssen wir unseren Horizont erweitern und uns gemeinsam auf unsere Stärken besinnen. Ideologie, moderner Kulturkampf und die Pflege von Feindbildern haben dabei keinen Platz und schaden uns.» Parlamentarische Arbeit leisten zu dürfen, sei eine Ehre mit grosser Verantwortung, der es gerecht zu werden gelte.
«Demokratie muss gelebt, gepflegt und geschützt werden. Genau wie der nationale Zusammenhalt», dies hatte Martin Candinas in seiner Antrittsrede vor knapp einem Jahr gesagt. «Und für diese Maxime setzte sich Martin Candinas in den letzten Monaten unermüdlich und mit viel Charme ein», würdigte Vizenationalratspräsident Erich Nussbaumer (SP Baselland) Candinas Engagement. «Als Vertreter der vierten Landessprache hat er das Rätoromanische zu einem wahren Blockbuster im Saal und weit darüber hinaus gemacht und half mit, dass wir uns der Viersprachigkeit des Landes bewusst bleiben», so der Baselbieter.