Das «Räbeli» und ich
20.11.2025 GstaadEs ist Dienstagnachmittag und in der Redaktion ist weniger los als sonst. Nun gut, die Redaktionssitzung findet trotzdem statt, um die neuen Themen zu vergeben. Auf einmal werde ich angesprochen: «Hey Paula, möchtest du nicht zum ‹Räbeliechtli›-Schnitzen ...
Es ist Dienstagnachmittag und in der Redaktion ist weniger los als sonst. Nun gut, die Redaktionssitzung findet trotzdem statt, um die neuen Themen zu vergeben. Auf einmal werde ich angesprochen: «Hey Paula, möchtest du nicht zum ‹Räbeliechtli›-Schnitzen gehen?» Da musste ich erstmal verwirrt schauen «Was ist denn das?» Es stellt sich heraus, es ist eine lange Tradition in der Schweiz. Anstatt Laternen aus durchsichtigem Bastelpapier und Pappe zu basteln, wie es in Deutschland üblich ist, schnitzen die Schweizer aus Herbstrüben eine Laterne. Ungefähr so wie an Halloween, nur dass nicht Halloween ist und ein «Räbeli» anstelle eines Kürbisses verwendet wird.
Es beginnt um 14 Uhr im Chinderhuus Ebnit Gstaad. Wir werden alle sehr freundlich von den Mitarbeitenden begrüsst und uns wird angeboten, dass wir uns doch etwas von dem kleinen Buffet nehmen können, das sie extra aufgestellt hatten (Schokolade, Gebäck und Getränke). Fünf Minuten später bekomme ich von 60 Herbstrüben, mein «Räbeli» in die Hand gedrückt, gemeinsam mit einem Anleitungszettel, der mir sehr verständlich und einfach die Schritte zur perfekten Laterne zeigt. Zuerst musste ich den Deckel der Rübe abschneiden. Nach dreimaligem Verschneiden und ein bisschen Rübe weniger, habe ich es endlich geschafft. Es ist ja noch kein Profi vom Himmel gefallen. Mit improvisierten Werkzeugen wie einem Küchenmesser und einem Löffel, der aussah wie eine Eiskelle, ging es rein ins Gefecht. Um mich herum sind viele Kinder, die von 0 bis 14 Jahre alt sind. Gemeinsam mit ihren Eltern schnitzen sie eine Laterne. Manche Kinder lassen ihren kreativen Geist frei und stechen mit Förmchen Muster in die Zuckerrübe, während andere wie wild den Eltern helfen, die Rübe auszuhöhlen. Ich suche mir ein einfaches Muster aus, nicht zu schwer (ein Gesicht mit zwei Runden Augen und einem Mund). Mit viel Präzision und Ungeschick, schnitze ich das «Smiley-Gesicht» in die Rübe, wobei mir im Nachhinein gesagt wird: «Das ist viel zu dick geworden und deswegen kann es nicht durch die Augen leuchten». Na gut, Immerhin sieht es süss aus. Nach dem Muster wird die Rübe ausgehöhlt und es werden Luftlöcher in den Deckel gebohrt, damit die Kerze nicht ausgeht und erstickt. Wenn ich so darüber nachdenke, hat das Schnitzen etwas Meditatives an sich, die Zeit ging sehr schnell vorbei und so bin ich auch am letzten Schritt angelangt: Die Bänder befestigen. Hierfür muss man vier zusätzliche Löcher bohren, damit man die Schnüre befestigen kann. Nach einem Misslungenen Versuch sitzen die Seilchen fest und ich habe mein fertiges, eigenes «Räbeliechtli» in der Hand!
Gegen 17.30 Uhr werden alle selbst gemachten «Räbeliechtli» zur Schau gestellt. Das kleine Lichtchen wird angezündet und die Kinder samt Eltern und Familie versammeln sich an der Eisbahn Gstaad. Auch ich stehe bereit mit meinem neuen «Räbeliechtli», unterhalte mich und mache ein paar Fotos, passend zur Abendstimmung. Kurz nachdem alle eingetroffen sind, laufen wir mit unseren Herbstrüben hinter der Eisbahn und am Earlybeck vorbei zur Kapelle. Unter den vielen «Räbeli» sind auch ein paar selbst gebastelte Laternen mit Pappe und buntem durchsichtigen Papier zu sehen. Es ist eine wahre Lichtershow, wobei meine Laterne schon nach fünf Minuten ausgegangen ist. So leuchten die Laternen der vielen Kinder umso heller. Wir versammeln uns um die St.-Nikolaus-Kapelle Gstaad und es werden drei Lieder, passend zum Umzug gesungen. Alle Eltern filmen stolz ihre Kinder und auch ich kann nicht anders, als zu lächeln. Was für eine schöne Stimmung. Auf dem Rückweg hört man aufgeregte Kinderstimmen und glückliche Erwachsene, die sich bereits auf die Glühwein- und Punschausgabe am Ende freuen. Auch ich hole mir einen Punsch und während die Wärme in mich einzieht, gehe ich glücklich ins Büro, um meinen Tag zu beenden.
PAULA MITTAG







