«Das Verdienst der Partei-Pioniere»

  06.05.2022 Saanenland

Vor 100 Jahren wurde die Sozialdemokratische Partei Saanen gegründet. Der Start war nicht leicht, Vorurteile gegen die «Sozi» waren offenbar an der Tagesordnung. Aber die Parteimitglieder liessen sich nicht entmutigen, sondern setzten sich für die Besserstellung der Arbeiter und Kleinbauern ein.

Nachtrag zum Artikel «100 Jahre durchgehalten» (AvS vom 29. März 2022. Eine auswärtige Saanerin hat uns einen im «Anzeiger von Saanen» vom 14. April 1972 erschienen Artikel zugestellt, den wir der heutigen Leserschaft nicht vorenthalten wollen. Wie der Verfasser des Artikels mit vollem Namen heisst, liess sich leider nicht mehr eruieren.

SP SAANEN

50 Jahre SP Sektion Saanen
So leicht schreibt sich das heute – und so schwer war der Anfang. Bis zur Grenzbesetzung 1914–1918 war man im Saanenland nicht sehr an der grossen Politik interessiert. Wenn sich etwa nach einer Pfarrerwahl die «Schwarzen» von Saanen mit den «Weissen» von Gstaad in einer wüsten Keilerei die Köpfe blutig schlugen, konnte man das kaum als politisches Engagement bewerten. Durch den Generalstreik von 1918 erwachte dann auch die Arbeiterschaft von Saanen, und die Gründung einer politischen Partei war nur noch eine Frage der Zeit. Zweimal unternahm man den Versuch einer Gründung eines Arbeitervereins, doch beide Versuche waren nur von kurzer Lebensdauer. 1920 trat im Kanton Bern das neue Gemeindegesetz in Kraft, was auch politischen Minderheiten erlaubte, sich vermehrt Gehör zu verschaffen. Im Frühling 1922 fand dann eine Gruppe Unentwegter, es sei an der Zeit, zum dritten Mal einen Anlauf zu nehmen, und am 22. April 1922 wurde im alten Ebnit-Schulhaus die Sozialdemokratische Partei, Sektion Saanen, aus der Taufe gehoben. Als erster Präsident wurde Peter Beetschen, Unterbort, gewählt (der übrigens dieser Tage in Münchenstein BL seinen 85. Geburtstag feiern durfte). Ei, gab es da vorerst ein, Kesseltreiben gegen die bösen Sozi, da diese die bodenlose Frechheit hatten, sich nicht nur in schönen Sprüchen zu ergehen, sondern den Kampf um die Besserstellung der Arbeiter und Kleinbauern aufnahm. Dass ein gewisses Vorurteil im Volke herrschte, darf nicht verwundern, wussten doch die meisten Zeitungen nur Schlechtes über die «Sozi» zu berichten, und Ausdrücke wie Schelme und Tagediebe waren in Ermangelung besserer «Argumente» an der Tagesordnung. Eine rühmliche Ausnahme war da der «Anzeiger von Saanen» unter dem damaligen Herausgeber und Redaktor E. Müller, Vater des heutigen Redaktors, M. Müller, Gstaad. Herr E. Müller liess in fairer Weise manche mit Salz und Pfeffer gewürzten Entgegnungen von P. Beetschen auf meist perfide und demagogische Angriffe im «Anzeiger von Saanen» erscheinen, was damals einiges an Zivilcourage erforderte.

Auf Grund des oben erwähnte neuen Bernischen Gemeindegesetzes konnten wir an den Gemeinderatswahlen unseren Anspruch auf eine Vertretung geltend machen. Als erster sozialdemokratischer Gemeinderat wurde im 2. Wahlgang ehrenvoll P. Beetschen-Herrmann, Unterbort, gewählt. Wenn auch manchmal allein als Nr. 13 gegen 12 «Gerechte» konnte P. Beetschen manchem Antrag auf Besserstellung der Arbeiter und Kleinbauern zum Durchbruch verhelfen. Nur ein kleines Beispiel für vielerlei sei hier noch vermerkt: Der ebenfalls von einer kleinen Partei (Ev. Volkspartei) in den Gemeinderat Delegierte, damalige Grubenschulmeister Gottfried von Grünigen, kam eines Tages zu P. Beetschen und beklagte sich, dass es einfach eine Zumutung sei, allein 72 Kinder in 9 Schuljahren zu unterrichten. Da G. von Grünigen sich aber in dieser Sache befangen erachtete, bat er P. Beetschen die Angelegenheit beim Gemeinderat zu vertreten. Es kam wie es kommen musste – der Gemeinderat lehnte eine Teilung der Schulklasse ab, mit der Begründung, dass kein Geld vorhanden sei. Besonders in einer Schule, wo ja «nur» Kleinbauern- und Arbeiterkinder die Schulbank drücken, hatte man «vergessen» beizufügen. Dass viele Kleine zusammen Berge versetzen können, bewies die nächste Gemeindeversammlung, wo dank Grossaufmarsch der Arbeiter und Kleinbauern dem Antrag Beetschen stattgegeben und damit dem Fortschritt im Schulunterricht eine Bresche geschlagen wurde.

Es würde den Rahmen sprengen, wollte man die Entwicklung der SP Saanen bis zum heutigen Tage verfolgen. Nur eines möchten wir noch festhalten: Wenn es heute nicht mehr als suspekt gilt, Mitglied der SP zu sein, so ist das zum grössten Teil das Verdienst der Partei-Pioniere, die durch unermüdlichen Einsatz für die Armen und Entrechteten das Vertrauen weiter Volkskreise erworben haben.

Gründungsmitglieder der SP Saanen am 22. April 1922: Matti Gottlieb, Landwirt, Hubeln; Beetschen Peter, Zimmermann, Unterbort; Romang Albert, Saanen; Russy Konstant, Saanen; Wampfler-Haldi Fritz, Moosfang; Wampfler-Zumstein Fritz, Saanen; Schmied Andreas, alt Lehrer, Gstaad; Dubi Gottlieb, pens. Briefträger, Gstaad; Rieder Hans, Saanen; Zingre Arnold, Saanen; Zwahlen Adolf, Saanen; Jaggi Fritz, Saanen; Gander Oskar Mettlen; Beetschen Hans, Grund; Schwenter-Wampfler Samuel Mettlen; Uelligger Arnold, Gstaad; Steffen Karl, .Saanen; Hänseler Jakob, Unterbort; Carini Benjamin, Mettlen; Haldi Hans, Gstaad; Crociani Battista, Unterhort; Fuchs Fritz, Kalberhöni; Neuenschwander Jules, Saanen; Topfel Alfred; Saanen.

H. B.-M


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote