Der America’s-Cup-Pokal und seine kleine Schwester in Gstaad

  07.04.2022 Gstaad

Seit letzter Woche ist die Neuigkeit heraus: Die 37. Auflage des America’s Cups 2024 findet in Barcelona statt. Alinghi-Gründer Ernesto Bertarelli will dann mit dem Team Alinghi Red Bull Racing die älteste Sporttrophäe der Welt wieder in die Schweiz holen. Für das ungeübte Auge freilich scheint sich der Pokal schon genau dort zu befinden – genauer gesagt im Bergdorf Gstaad.

SONJA WOLF
«Das ist doch nicht möglich!», dachte sich die Kunsthistorikerin und Silberspezialistin Dr. Karolina Stefanski, als sie die silberne Kanne im Gstaad Yacht Club inmitten von anderen Trophäen entdeckte. Das Prachtstück sah genauso aus wie die America’s-Cup-Trophäe, die älteste Sporttrophäe der Welt. «Aber sie konnte es definitiv nicht sein. Denn der legendäre Wanderpokal steht immer beim aktuellen Sieger – und das war im letzten Turnier 2021 das Emirates Team New Zealand», erklärt die Silberkennerin bei unserem Gespräch in den Räumen des Clubs. Gleich bei ihrem Antrittsbesuch als Robbe- & Berking-Botschafterin im GYC so eine Entdeckung zu machen – das liess Dr. Stefanski jedenfalls nicht mehr los. Zumal sie alles, was mit Silber und Tischkultur zu tun hat, magisch anzieht, beruflich wie auch privat. Und informierte den America’s-Cup-Spezialisten Jack Griffin, mit dem sie gerade an einem Buch schreibt über die Trophäe, deren Duplikate und eigenständige, ähnlich geformte Kunstwerke.

Täuschend gleich
Gemeinsam machten sich Karolina Stefanski und Jack Griffin sogleich an die Erfassungsarbeit: Zunächst wurde die Eigentümerin des Pokals ausfindig gemacht, welche ihnen die ganze Dokumentation über die Silberkanne und auch wertvolle Zusatzinformationen liefern konnte. Und bei einer genauen Betrachtung und Analyse des silbernen Kunstwerkes im GYC kam dann auch bald die Erkenntnis für ihr Buch zutage: «Von der Grösse und Form her ist die Originaltrophäe mit dieser Silberkanne identisch. Sie unterscheiden sich nur in kleinen dekorativen Motiven», erklärt Dr. Stefanski. Und America’s- Cup-Spezialist Griffin ergänzt: «Und natürlich fehlt auf der hiesigen Kanne die Gravur der Siegernamen seit Beginn des Wettbewerbes 1851 bis 1937 und der doppelte Sockel, auf dem die Sieger seit 1958 eingraviert sind.» Wer die America’s Cup Trophäe aber nicht genau kenne, halte die Kanne im GYC für das Original, so die beiden Kenner.

Ein Duplikat?
Handelt es sich bei dem Gstaader Exemplar also um ein Duplikat oder eine Imitation? «Nein, keinesfalls!», klärt Griffin auf. Das Original wurde 1848 vom Juwelierunternehmen Garrard in London hergestellt, das 1843 bis 2007 übrigens auch als Hofjuwelier für die britischen Kronjuwelen zuständig war. Die silberne Kanne wurde von einem britischen Lord erstanden, ging dann an dessen Segelclub und von dort anlässlich eines kleineren Wettbewerbs als Preis an die siegreiche amerikanische Mannschaft mit ihrem Boot «America». Diese wiederum stiftete den Pokal dem New York Yacht Club mit der Auflage, die Trophäe als fortwährende Herausforderung für den freundschaftlichen Wettstreit zwischen Nationen auszuschreiben. So entstand – nach dem Namen des Siegerbootes – der America’s Cup. Es sollte allerdings 132 Jahre dauern, bis ein Herausforderer ausserhalb der USA gewann und den Pokal in seine Heimat entführen konnte.

Gleicher Ursprung – verschiedener Ausgang
Und die Silberkanne aus dem GYC? Die stammt ebenfalls von Garrard, ist qualitativ absolut gleichwertig und nur wenig später entstanden, nämlich im Jahr 1862.Der einzige Unterschied: Diese Kanne ist nicht zum Kultobjekt geworden wie die echte America’s Cup Trophy, sondern nahm einen privateren Weg. Der Onkel der aktuellen Eigentümerin bekam die Kanne zur Verlobung in den frühen 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts geschenkt. Und verschenkte sie wiederum an seine Nichte zu deren Hochzeit 1999. Der Sammlerpreis dürfte nichtsdestotrotz inzwischen wesentlich höher sein als der reine Silberpreis. Genaue Zahlen sind allerdings nicht bekannt.

Geteilte Freude ist doppelte Freude
«Und wie kommt das schöne Silberobjekt aus Ihrem Besitz in den Gstaad Yacht Club?», möchte ich von der Eigentümerin wissen, die in Genf wohnt und in Gstaad eine Ferienresidenz besitzt. Sie lächelt: «Ich bin schon lange Mitglied im GYC, aber eher ein Skifan als eine Seglerin. Und so wollte ich dieses Pokalsymbol lieber mit Menschen teilen, die wirklich segelbegeistert sind und nicht für mich alleine zu Hause behalten.»

Dokumentation eines Kultobjektes
Die America’s-Cup-Trophäe ist mittlerweile zum Kultobjekt geworden. Es gibt heute unzählige ähnliche Kannen in allen möglichen Grössen und mit leicht unterschiedlichen dekorativen Motiven. Begeisterte Sammler kaufen die Silberkannen auf Antiquitätenmärkten oder e-bay und halten die Objekte oft ehrfürchtig wie Reliquien in kleinen Tempeln. Grund genug für Karolina Stefanski und Jack Griffin, diese Sammlerwut aufzuspüren und zu dokumentieren.

Die Grundidee für ihr Buch war zwar, nur über die Originaltrophäe und deren emotionale Wirkung auf die Menschen zu schreiben. Aber angesichts der Vielzahl von kleinen und grossen, wertigen und weniger wertvollen Brüdern und Schwestern des Cups, auf die sie bei ihren Recherchen gestossen sind, hat auch sie das Sammelfieber gepackt.

Auf ein drittes Mal …!
Beim America’s Cup 2024 wird es jedenfalls wieder um den grossen Bruder, das Kultobjekt Nummer eins gehen, wenn das Team Alinghi Red Bull Racing die berühmte Trophäe ein drittes Mal in die Schweiz holen will – nach den Erfolgen von 2003 und 2007.

Aufgrund der neuen Reglemente des America’s Cups muss das Boot nun allerdings im eigenen Land gebaut werden. Auch werden die Segler – und das ist der grösste Unterschied laut Cup-Experte Griffin – allesamt Schweizer sein. «2003 waren grösstenteils die Sieger von vorhergehenden Regatten für das Team engagiert worden», erklärt Griffin, im nächsten Cup wird das Team aber hundertprozentig national zusammengesetzt sein.


JACK GRIFFIN

Der gebürtige Amerikaner Jack Griffin ist Autor, Journalist und eine führende Autorität für den America’s Cup. Er ist unter anderem Mitglied des Auswahlkomitees der America's Cup Hall of Fame und war der fachkundige Kommentator der VIP-Gäste bei den letzten vier America’s-Cup-Regatten. Er war lange Zeit Brand Manager für Alinghi, den Schweizer Titelverteidiger des America’s Cups in den Jahren 2007 und 2010. Jack Griffin hat die Schweizer Staatsangehörigkeit, lebt in Prangins bei Nyon und ist seit 1981 mit einer Schweizerin verheiratet. Deren Mutter ist eine gebürtige Henchoz aus Château-d’Oex, das Haus ihrer Grosseltern war das heutige Musée du Pays-d'Enhaut.

ZVG/SONJA WOLF


KAROLINA STEFANSKI

Dr. Karolina Stefanski ist Kunsthistorikerin und hat sich auf europäisches Tafelsilber des 19. Jahrhunderts spezialisiert. Sie schreibt regelmässig für internationale wissenschaftliche Zeitschriften und Lifestyle-Publikationen.

Dr. Stefanski ist die Silber- und Yachtbotschafterin für die Silbermanufaktur Robbe & Berking und für Robbe & Berking Classics, eine Bootswerft in Nordeuropa, die sich auf die Restaurierung von klassischen Yachten spezialisiert hat. Seit mehreren Jahren betreut Dr. Stefanski die Märkte der Schweiz, Österreichs, Belgiens, Luxemburgs und Amerikas. Seit Juli 2021 besteht auch eine Kooperation mit dem Gstaad Yacht Club.

ZVG/SONJA WOLF


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