«Der junge Winnetou» mit Ladehemmung

  10.10.2022 Kultur

Am 20. Oktober hätte der «Der junge Winnetou» in den Schweizer Kinos anlaufen sollen. Doch nun wurde der Film zurückgezogen. Schuld daran ist offenbar nicht nur die Diskussion über kulturelle Aneignung.

KEREM S. MAURER
«Ich bin schon seit meiner Kindheit ein Winnetou-Fan und habe mit Freude alle Karl-May-Verfilmungen gesehen», sagt Hansjörg Beck, Betreiber des Ciné-Theatre Gstaad, auf Anfrage und ergänzt, wenn «Der junge Winnetou» ins Angebot gekommen wäre, hätte er diesen Film in seinen Kinos gezeigt. Aber jetzt, nachdem der Film zurückgezogen wurde, sei er persönlich nicht wirklich traurig darüber. «Es sind aktuell viele andere Filme im Programm, die beim Publikum besser ankommen», ist er überzeugt.

Wie kommt ein Film ins Kino?
Wie ein Film den Weg in die Kinos finde, sei unterschiedlich, führt Hansjörg Beck aus, der selbst schon im Filmverleih gearbeitet hat. Major Studios, also grosse Filmproduzenten wie beispielsweise Walt Disney, Warner Bros oder Universal Studios, hätten eigene Vertriebsfirmen und brächten ihre Filme selbst ins Kinoprogramm. Andere Gesellschaften wie etwa der Filmverleiher Ascot Elite – er besitzt die Rechte am «Jungen Winnetou» – erwerbe Filmrechte und bringe die erworbenen Filme ins Programm. Oder zieht sie, wie im aktuellen Fall, wieder zurück. Dabei spielen auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Von allen Filmen, die ins Angebot der Schweizer Kinos gelangen, entscheidet letztlich der Kinobetreiber selber, welche Filme er zeigen will und welche nicht.

Film läuft schlecht
In den Medien und in den sozialen Netzwerken gehen derzeit die Wogen hoch. Der «Blick» schrieb, «Der junge Winnetou» sei wegen kultureller Aneignung gestoppt worden, weil der Film ein mit Klischees behaftetes Bild der Ureinwohner Amerikas zeige, was in den Augen mancher als rassistisch angesehen würde. Dies wirft die Frage auf: Ist nach den wegen kultureller Aneignung abgesagten oder frühzeitig beendeten Konzerten in Bern und Zürich, und nachdem das erste Deutsche Fernsehen sämtliche Winnetou-Klassiker aus dem Programm gekippt hat, nun auch «Der Junge Winnetou» den Anhängern der Woke-Bewegung (siehe Kasten) zum Opfer gefallen?

Hansjörg Beck winkt ab. «Diese unselige Diskussion über kulturelle Aneignung und das ganze Riesentheater darum herum mag ein Faktor gewesen sein. Aber ich vermute, dass der Film einfach zu schlecht läuft.» In Deutschland und Österreich laufe der Film seit Mitte August mit sehr mässigen Besucherzahlen, weiss der Kinobetreiber. «Bevor Filme in die Kinos kommen, wird ein Budget erstellt. Fällt dieses negativ aus, fliegt der Film raus», erklärt er und vermutet, dass dies der wirkliche Grund dafür sei, dass Elite Ascot den Film wieder zurückzog. Zwar wurde «Der junge Winnetou» am Zürich Film Festival 2022 zweimal gezeigt und war auch gut besucht. Doch dies ist laut Hansjörg Beck kein Massstab, weil an Festivals alle Filme gut besucht würden.


WOKENESS UND CANCEL CULTURE

Laut dem Gabler Wirtschaftslexikon ist Wokeness die Haltung und Bewegung der Wachheit und Wachsamkeit. Ihre Anhänger verfolgen wachsam das Weltgeschehen und wollen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Gewalt, Umweltzerstörung, Massentierhaltung und andere Übel daraus entfernen. Dies, indem sie ihre Stimme erheben in den Massenmedien sowie in den sozialen Medien, auf der Strasse, auf öffentlichen Plätzen, in Schulen, Hochschulen und Unternehmen. Im Englischen bedeutet «to be woke», wachsam zu sein gegenüber Ungerechtigkeiten aller Art. Im Deutschen wird «woke» als Adjektiv (ich bin woke) oder Substantiv im Sinne der Woke-Bewegung oder -Kultur verwendet.

Die Woke-Bewegung steht in Verbindung mit der Cancel Culture, einem weiteren englischen Schlagwort. Dieses bezeichnet systematische Bestrebungen, Personen des öffentlichen Lebens die Unterstützung zu entziehen, falls diese sich beleidigend, diskriminierend, rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich, homophob usw. geäussert haben. Ziel von Cancel Culture ist es, die Reputation der Betroffenen zu schädigen, ihre Berufsausübung zu verhindern und ihre Präsenz in den Medien bzw. sozialen Medien zu vermindern. Cancel Cultur wird auch als Lösch- oder Zensurkultur übersetzt.

Nach Meinung ihrer Kritiker ist die Cancel Culture eine Fortführung der Political Correctness, der strikten und peniblen Einhaltung und Einforderung von gesellschaftlichen und sprachlichen Normen, vor allem in Bezug auf vorgeblich oder tatsächlich benachteiligte Gruppen.

QUELLE: GABLER WIRTSCHAFTSLEXIKON

 


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