Der ÖV entdeckt den Tourismus
14.05.2024 GesellschaftDas Pendeln zur Arbeit stagniert seit der Pandemie, dafür nimmt der Freizeitverkehr mit Bahn und Bus signifikant zu. Die ÖV-Branche wappnet sich mit Direktverbindungen in die Tourismusregionen und mehr Reisekomfort im Bus und Zug, auch im Berner Oberland. Experten referierten an ...
Das Pendeln zur Arbeit stagniert seit der Pandemie, dafür nimmt der Freizeitverkehr mit Bahn und Bus signifikant zu. Die ÖV-Branche wappnet sich mit Direktverbindungen in die Tourismusregionen und mehr Reisekomfort im Bus und Zug, auch im Berner Oberland. Experten referierten an der Fachtagung der Bahnjournalisten Schweiz in Interlaken.
Der neue Schneezug der BLS von Biel nach Brig ohne Halt in Bern ist auf Kurs. Mit einer Auslastung von dreissig Prozent liegt er bereits auf dem Niveau vergleichbarer Regelzüge. Gemäss Melanie Sommer, Partner- und Produktmanagerin bei der BLS, schätzen die Fahrgäste besonders den Zeitgewinn dank Wegfall des Umsteigens im überlasteten Bahnhof Bern, das Bistro an Bord der modernen Mika-Kompositionen, den grosszügig bemessenen Stauraum für Sportausrüstung und die preiswerten Sparbillette, sagte sie an der Fachtagung der Bahnjournalisten Schweiz in Interlaken. Ebenfalls zufrieden ist die SBB mit dem diesen Winter erstmals verkehrenden Direktzug Zürich–Lenzburg–Thun–Spiez–Frutigen–
Visp–Brig, der ebenfalls ohne Halt in Bern über das Gleisdreieck im Wankdorf jeweils am Samstag hin und am Sonntag zurück verkehrte.
Grosses Potenzial schweizweit …
«Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehr der Schweiz stagniert. Er ist aber ein wesentlicher Teil zur Reduktion des CO2-Anteils», gibt Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr, zu bedenken: «Wir müssen neue Angebote für einen bequemeren und direkteren, also möglichst umsteigefreien Freizeitverkehr schaffen.» Dabei soll der bewährte Taktfahrplan als leicht merkbares «Grundgerüst» erhalten bleiben, jedoch mit flexiblen Angeboten zum neuen «Taktfahrplan+» ergänzt werden. Denn die Bedürfnisse und das Verhalten der Freizeitreisenden sind anders als jene des Berufs- und Pendlerverkehrs. Er variiert je nach Jahreszeit, Wochentag, Tageszeit, Wetter und Strecken. Zu diesen flexiblen Angeboten gehört das «Flügeln» von Zügen, wie das die BLS schon lange zwischen Bern und Zweisimmen, beziehungsweise Bern und Brig praktiziert: Zwischen Bern und Spiez verkehren die beiden Zugteile gemeinsam und in Spiez werden sie jeweils getrennt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es wird nur ein Lokführer bis Spiez benötigt und nur eine Bahntrasse belegt. Für die Passagiere entfällt das Umsteigen.
… und fürs Berner Oberland
«Der öffentliche Verkehr spielt für unsere Region eine wichtige Rolle», sagt Urs Pfenninger, stellvertretender Geschäftsführer der Volkswirtschaft Berner Oberland. «Dabei geht es nicht nur um Fahrgäste, sondern auch um Arbeitsplätze wie in den Unterhaltswerkstätten der Zentralbahn in Meiringen, der Berner Oberland Bahnen in Zweilütschinen, der BLS in Bönigen und Spiez sowie den Garagen von Postauto und dem Autoverkehr Frutigen Adelboden. In Meiringen befindet sich zudem das Ausbildungszentrum von Seilbahnen Schweiz.» Setzten bis vor Kurzem aus seiner Sicht die touristischen Leistungserbringer – vorab die Unterkunftsanbieter und Anlassveranstalter – auf die Anreise der Gäste und Zuschauenden auf den motorisierten Individualverkehr nach dem Motto «uns ist egal, wie sie anreisen», scheinen die touristischen Entscheidungsträger die Chancen des ÖV nun zu erkennen. Dazu gehören Gepäcktransport ans Feriendomizil, Gästekarte inklusive freie Fahrt auf dem ÖV und bessere Mobilität innerhalb der Destinationen sowie in der Nacht. Wünsche an die Bahnen hat Pfenninger einige: IC-Halte in Frutigen, Spiez als echten Umsteigeknoten auch aus dem Kandertal in Richtung Interlaken, Direktzüge aus dem Seeland und dem Neuenburger Jura nach Zweisimmen und über den Lötschberg nach Domodossola.
Postauto setzt auf Strom
Die Betriebszone Berner Oberland von Postauto erstreckt sich von Les Diablerets bis Andermatt. Um dem Passagieransturm einigermassen gerecht zu werden, musste Betriebsleiter Ruedi Simmler den Stundentakt verstärken, das Angebot ausbauen. Erfahrung mit rein elektrischem Antrieb holte sich Postauto 2022 auf der Strecke von Interlaken nach Habkern und Beatenberg. Der Pilotbetrieb war erfolgreich, weil auf der Talfahrt eine Rekuperation von 45 Prozent der Energie erzielt wurde, womit sich ein Nachladen der Batterie während des Tages erübrigte. Das beim Fahrpersonal beliebte Fahrzeug wurde im letzten Sommer auf der neuen Strecke von Saanen über den Mittelberg nach Abländschen und Jaun erfolgreich eingesetzt.
PD/JOP