Der Sound-Sammler
21.09.2023 Kultur, GstaadUnermüdlich reist Stephan Crasneanscki durch die Welt, immer auf der Suche nach Klängen und Geräuschen. Daraus formt er dann kunstvolle Kreationen aus Klang, Literatur und visueller Kunst. Über ihn selbst weiss man übrigens wenig, obwohl seine Kunst erst in diesem ...
Unermüdlich reist Stephan Crasneanscki durch die Welt, immer auf der Suche nach Klängen und Geräuschen. Daraus formt er dann kunstvolle Kreationen aus Klang, Literatur und visueller Kunst. Über ihn selbst weiss man übrigens wenig, obwohl seine Kunst erst in diesem Jahr in einer grossen Ausstellung im Pariser Centre Pompidou zu sehen war. Gerne und häufig kommt er auch nach Gstaad.
SONJA WOLF
«Ich bleibe als Person lieber unsichtbar. Denn ich bin das Soundwalk Collective», sagt der hochgewachsene Künstler von sich selbst (zu seinem Künstlerkollektiv siehe Kasten). Und da sitzt er nun in der Galerie Naegeli, der geheimnisvolle Sound-Sammler. An einem Plattenspieler, der die nicht minder geheimnisvollen Begleitklänge zu seinen Werken produziert, die an drei Wänden der Galerie hängen. Drei Wände und jede davon einem der drei französischen Schriftsteller gewidmet, um die sich Crasneansckis künstlerisches Leben der letzten acht Jahre drehte: Antonin Artaud, Arthur Rimbaud und René Daumal. Alle drei Schriftsteller verband der Drang, ihre Heimat zu verlassen und in ferne Länder zu reisen, «um sich selbst zu finden und neue Visionen oder Inspirationen zu erlangen», wie es der Künstler im Gespräch erklärt.
Auf Spurensuche in aller Welt
Auf den Spuren dieser drei Wahrheitssuchenden reiste Crasneanscki in die Sierra Tarahumara in Mexiko, um Artauds Tranceerlebnisse mit der psychodelischen Pflanze Pejote einzufangen. Er reiste nach Äthiopien, wo Rimbaud eine Kaffeplantage aufbaute. Und er folgte Daumal nach Indien, wo dieser im Himalaya-Gebirge den heiligen Berg Analog suchte.
Zurück kam er mit einem Fundus an Sounds: Geräuschen des Windes und des Regens oder dem aufgewirbelten Staub der roten Erde. Im Gepäck hatte er aber auch Bilder, Filme und Aufzeichnungen. Und konkrete Dinge wie Pejote-Pflanzen, Stoffe, Perlen, Holz, Steine, einheimische Instrumente. All das sind «Beweise» seiner eigenen spirituellen Pilgerreise und die der drei französischen Schriftsteller.
Investigationskunst
Und genauso hiess auch die Ausstellung im Pariser Centre Pompidou: «Evidence». Dort war das gigantische Multimediaprojekt zwischen Oktober 2022 und März 2023 zu sehen. Die Ausstellung «Perfect vision» im hiesigen Studio Naegeli basiert auf der Pariser Erfolgsausstellung und zeigt dem Gstaader Besucher einen kleinen Ausschnitt daraus.
«Bei kreativen Prozessen weiss man normalerweise nicht, wohin die Reise geht, aber hier war es klar: Die ‹evidences› kamen, unsere Reise war wie ein wissenschaftlicher Prozess, wie ein Investigationsprozess», versucht Crasneanscki eine Definition des Titels.
Legende Patti Smith als Komplizin
Seine Komplizin in den acht Jahren der Beweisführung war keine geringere als «Godmother of Punk» Patti Smith, die amerikanische Punk- und Rockmusikerin, Singer-Songwriterin, Lyrikerin, Fotografin und Malerin, die er auf einem Flug von Paris nach New York City kennengelernt hatte. Auf den Alben des Soundwalk Collective hört man seine gesammelten Sounds zu den drei Reisen, wobei Patti Smith die Worte der Dichter, die von den Landschaften inspiriert wurden, dazu spricht.
Ein Herzensgstaader
Und warum kommt Gstaad in den Genuss der Pariser Ausstellung in Kleinformat? Nun, Stephan Crasneanscki ist nicht zum ersten Mal in Gstaad. Er kommt oft in die Region, wo seine Mutter auch ein Haus besitzt. «Ich liebe die Berge – wandern, klettern oder in den Bergseen schwimmen», schwärmt er vom Saanenland. Eine besondere Beziehung hat er auch zur Familie des 2001 verstorbenen Malers Balthus in Rossinière. Für die Chapelle Balthus hat er übrigens ebenfalls die Klanginstallationen gemacht.
Die aktuelle Ausstellung «Perfect vision» ist noch bis zum 15. Oktober im Studio Naegeli zu sehen: studionaegeli.com
Das Video zur Pariser Ausstellung «Evidence» im Centre George Pompidou: tinyurl.com/ mrycncvc
STEPHAN CRASNEANSCKI = SOUNDWALK COLLECTIVE
Soundwalk Collective ist ein internationales Kollektiv für experimentelle Klangkunst, das 2001 von Stephan Crasneanscki gegründet wurde. Die Gruppe hat ihren Sitz in Berlin und New York. Soundwalk Collective kultiviert langfristige kreative Kollaborationen, etwa mit der Musikerin Patti Smith, der Schauspielerin und Sängerin Charlotte Gainsbourg und vielen anderen Künstlern. Dabei setzen sie sich mit dem erzählerischen Potenzial von Klang in Medien wie Kunstinstallationen, Tanz, Musik und Film auseinander.
Über den Namen Soundwalk Collective sagt der Künstler selbst: «Es sind zum einen die Initialen meines Namens, S und C. Und dann ‹walk›, da ich immer weiterlaufe auf der Suche nach Sounds.
Stephan Crasneanscki ist im Rahmen seines New Yorker Kunststudiums in verschiedenen Bereichen wie Malerei, Video, Skulptur oder Fotografie ausgebildet. Die Sounds kamen laut eigenen Angaben erst viel später dazu, dafür «sehr intensiv». Sie sind für ihn «das am passendste Medium», um sich auszudrücken. Denn sie passen perfekt zu seiner Vorliebe, immer unterwegs und draussen zu sein.
SONJA WOLF