Deutschland
30.05.2025 KolumneIn der Rubrik «Meinung und Debatte» der NZZ erschien vor ein paar Tagen ein Artikel über unseren nördlichen Nachbarn mit dem merkwürdigen Titel: «Deutschland braucht ein neues Staatsverständnis.»
In der Einleitung liest man unter anderem: «Die ...
In der Rubrik «Meinung und Debatte» der NZZ erschien vor ein paar Tagen ein Artikel über unseren nördlichen Nachbarn mit dem merkwürdigen Titel: «Deutschland braucht ein neues Staatsverständnis.»
In der Einleitung liest man unter anderem: «Die wirtschaftliche Lokomotive Europas stottert… Problematisch ist Deutschlands Verwandlung in eine Anspruchsgesellschaft, die ständig nach dem Staat ruft und von diesem bevormundet wird.»
Es handelt sich um eine Beurteilung der Deutschen, die im besten Fall ein wenig an Heinrich Heine erinnert: «Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann werd ich um den Schlaf gebracht.»
Allen Ernstes werden hier in der NZZ die Deutschen mit erstaunlichen Adjektiven eingedeckt. Sie sind demzufolge nicht nur redegewandt, schnelldenkend, autoritätsgläubig, aber dennoch sehr korrekt. Sondern auch noch technisch versiert, zuverlässig und strebsam. Das ist doch etwas zu viel des Guten. Ich hätte einfach geschrieben: Die deutschen Nachbarn sind uns sympathisch.
Aber nein: Es folgt noch im selben Absatz «Umso mehr muss eigentlich verwundern, dass das deutsche Nationaleinkommen pro Kopf inzwischen um einen Drittel geringer ist als in der Schweiz». Und weiter gehts: «Die deutsche Wirtschaft wächst kaum mehr… und ihre Leistung stagniert mehr oder weniger seit drei Jahren.» Mit ein Grund dafür sei wohl, dass das Arbeitsethos der Deutschen erstaunlich nachgelassen habe. Denn heute würden die Deutschen 15 Prozent weniger arbeiten als die Schweizer und 25 Prozent weniger als die Polen.
Schliesslich sind die Deutschen mit 24,9 Krankheitstagen pro Erwerbstätigen und Jahr auch die Kränksten in Europa. So weit, so schlecht.
Die kleine Schweiz hat den grossen Vorteil, dass man mit der SBB von Bern aus in eineinhalb Stunden unseren nördlichen Nachbarn erreicht. Etwa dreimal im Jahr fahre ich von Bern aus über Basel nach Freiburg im Breisgau. Dort geht vom Bahnhof aus ein idyllischer Weg, nämlich das «Gässle» mit dem kleinen «Bächle», zum Münsterplatz. Allein das erhabene Freiburger Münster ist schon nur die Reise wert. Es ist anfänglich – von 1200 bis 1513 – erst im romanischen und später im gotischen Stil erbaut worden. Das Gässle ist umgeben von kleinen Ladengeschäften, zwei Warenhäusern sowie mehreren Tea Rooms und Restaurants.
Am Münsterplatz steht auch das Historische Kaufhaus – seit beinahe 500 Jahren. Unter dessen Laube findet man einen Buchantiquar – immer denselben und immer mit einem verlockenden Angebot. Er empfiehlt einem nie, dieses oder jenes Buch zu kaufen, sondern sagt nur: «Bitte nehmen Sie sich etwas Zeit und schauen Sie sich alle Titel an – Sie werden sicher etwas Schönes finden.»
In einer kleinen Gasse hinter dem Alten Rathaus findet man dann das Gasthaus zum Deutschen Hause. Auf dessen Speisekarte sind, unter anderen, die folgenden «Hauptgerichte» aufgeführt: ein Paar Landbratwürste mit Kartoffelsalat: 16,90 Euro; ein Paar Kalbsbratwürste mit Kartoffelsalat: 17,90 Euro; Maultäschle mit Kartoffelsalat: 17,90 Euro; Linsen mit Spätzle und Wienerle: 18,90 Euro; Schäufele mit Sauerkraut und Kartoffelpüree: 18,90 Euro; Paniertes Schweineschnitzel mit Brägele (Bratkartoffeln): 18,90 Euro; Wiener Schnitzel vom Kalb mit Brägele: 26,90 Euro.
Etwas später noch ein Besuch der wunderbaren Buchhandlung «Zum Wetzstein». Hier findet man eine erlesene Auswahl von Neuerscheinungen, eine riesige Auswahl an Insel-Bändchen und – siehe da – auch noch ein Insel-Büchlein mit Zitaten von Bertold Brecht. Eines sei den NZZ-Journalisten gewidmet:
«Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.»
Das andere gilt ganz allgemein:
«Das Recht des Menschen ists auf dieser Erden, da er doch nur kurz lebt, glücklich zu sein.»
OSWALD SIGG
JOURNALIST, EHEMALIGER BUNDESRATSSPRECHER oswaldsigg144@gmail.com