Die bewegte Geschichte der Alpenruhe
10.11.2025 SaanenBei einem Spaziergang eine Kaffeepause auf der Terrasse der Alpenruhe einzulegen, ist beliebt. Fragt man Kinder oder Grosskinder, was sie gerne machen möchten, dann hat der Erlebnisspielplatz bei der Alpenruhe vielfach den ersten Platz gebucht. Was war denn früher auf dem heute ...
Bei einem Spaziergang eine Kaffeepause auf der Terrasse der Alpenruhe einzulegen, ist beliebt. Fragt man Kinder oder Grosskinder, was sie gerne machen möchten, dann hat der Erlebnisspielplatz bei der Alpenruhe vielfach den ersten Platz gebucht. Was war denn früher auf dem heute so viel besuchten Areal alles geschehen? Markus Kindler, Leiter der Institution Alpenruhe, erläuterte in einem spannenden, lehrreichen Vortrag, was in den vergangenen Jahrzehnten alles geschah. Untermalt wurde die Geschichte der Alpenruhe durch die klangvollen Posaunenklänge von Walter und Jens Zahler.
LÉONIE MÜLLER
Im Jahr 1899, ein Jahr nach dem Dorfbrand in Gstaad, liess Alfred Stucki das Hotel Alpenruhe zwischen Saanen und Gstaad erbauen. Die 30 Hotelbetten waren scheinbar sehr beliebt, denn bereits kurz danach wurde das Hotel vergrössert und ein Anbau kam dazu.
Der damalige Hotelier, Herr Treichler, suchte nach Ideen, wie noch mehr Gäste das Saanenland als Urlaubsort besuchen sollten. Wer für die Idee der Nevada-Bobbahn von Gruben hinunter, über die Hauptstrasse, zum Hotel verantwortlich zeichnete, war nie bekannt, doch sie war sehr originell. Dafür wurde eigens ein Halt der MOB bei der Alpenruhe geschaffen: «Nevada Alpenruhe» direkt über Gstaad nach «Nevada Gruben» zum Start.
Mitte der Dreissigerjahre wurde die Bobbahn infolge fehlender Touristen aufgelöst, ebenso der Halt der MOB bei der Alpenruhe. 70 Jahre später wurde wieder eine Haltestelle in der Alpenruhe eröffnet, diesmal für die Alpenruhe-Kindereisenbahn, so Markus Kindler. Der Bau des Neun-Loch-Golfplatzes 1928 hatte zur Folge, dass das Gebäude neu den Namen Golfhotel Alpenruhe erhielt. Trotz den gebotenen Attraktionen blieben die Touristen wegen der Weltwirtschaftskrise und dem politischen Geschehen immer mehr aus und so musste das Hotel noch vor dem Zweiten Weltkrieg Konkurs anmelden.
Militär, Kinderlachen, Kultur
Nach einiger Zeit wurde das leer stehende Gebäude zu einer Militärunterkunft umfunktioniert und der ehemalige Golfplatz für den landwirtschaftlichen Anbau genutzt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand die Alpenruhe wieder leer. Von 1945 bis 1947 leitete die junge Saanerin Rosabeth Schopfer dort ein Kinderheim. Viele Flüchtlinge waren nach dem Krieg in der Schweiz gelandet. Älteren und gefährdeten Flüchtlingen wurde ein so genanntes Dauerasyl gewährt. Der Verband von 13 privaten Hilfswerken suchte für diese Personen geeignete Häuser. Der Verkauf des Golfhotels Alpenruhe war daher ein Glücksfall und der damalige Vorsteher und Mitbegründer der schweizerischen Flüchtlingshilfe, Paul Vogt, war über die Gründung dieses Dauerasylheims sehr angetan. Am 1. Juli 1947 begann mit dem Einzug der Flüchtlinge eine neue Ära in der Alpenruhe. Den Flüchtlingen aus gehobener Gesellschaftsschicht und sieben verschiedenen Nationen, versuchte Heimleiterin Gertrud Meyer etwas zu bieten. Eine Bibliothek und Besuche von Künstlern boten mit Konzerten, Lesungen und Ausstellungen Abwechslung für Einheimische und Flüchtlinge. Mit diesen Aktivitäten wurde die Alpenruhe zu einem kleinen Kulturzentrum für das Saanenland.
Um 1950 kostete ein Tag in der Alpenruhe inklusive Vollpension Fr. 5.50. Diese Kosten wurden zu drei Fünfteln vom Bund und zwei Fünfteln durch die Hilfswerke getragen.
Trotz Beeinträchtigung arbeitswillig und hilfsbereit
Jahre nach dem Krieg gab es in Europa Zehntausende ältere, kranke und beeinträchtigte Flüchtlinge. Dem Aufruf der UNO, respektive des UNHCR, um Aufnahme dieser Menschen, die unter dem Namen «Hardcore-Flüchtlinge» an geeignete Plätze gebracht wurden, folgte auch die Schweiz. Einige Flüchtlinge wurden in der Alpenruhe untergebracht und die älteren Personen mögen sich noch an die einen oder anderen erinnern.
So hat Herr Pejic, ehemaliger Unteroffizier der königlichen jugoslawischen Armee, trotz Verlust seiner Sehkraft durch einen Kopfschuss jahrelang mit einem Leiterwägeli die Kommissionen für die Alpenruhe in Saanen und Gstaad getätigt. Nachdem die Alpenruhe mobil wurde, hat er diese Aufgabe trotzdem weiter ausgeführt.
Weltoffen – verschiedene Glaubensrichtungen
Mitte der Fünfzigerjahre beherbergte die Alpenruhe Flüchtlinge aus zwölf Nationen. Gesprochen wurde in sieben Sprachen und verschiedene Glaubensrichtungen wurden praktiziert. Das Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Ethnien war nicht immer einfach. Es gab eine Zeit, in der eine russisch-orthodoxe Gemeinde in der Alpenruhe lebte. In regelmässigen Abständen besuchten der Erzbischof aus Genf und ein Priester aus Lausanne die Flüchtlinge in der Alpenruhe. Wie wichtig diese Gemeinde war, zeigte der Besuch des Haupts der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Filaret, der aus New York anreiste, um die Gemeinde in der Alpenruhe zu besuchen.
Ende der Fünfzigerjahre war die politische Situation einmal mehr schwierig für Minderheiten in Ägypten unter der Herrschaft von Präsident Nasser. So waren es diesmal vor allem Armenier, die in der Alpenruhe eine neue Heimat fanden.
Einfühlungsvermögen, Zuhören und lösungsorientiertes Handeln
Nachdem das Ehepaar Bertha und Ettore Forti die Heimleitung übernommen hatte, folgten in den kommenden Jahren einige Heimleiterwechsel. Mit dem Krieg zwischen Vietnam und China flüchteten viele per Boot über das Meer. In dieser Zeit nahm die Zahl der Flüchtlinge zu, die durch ihr Schicksal nicht nur durch Alter, Krankheit und Beeinträchtigung, sondern auch psychisch angeschlagen waren. Die Betreuung war aufwendig, da auch Fachpersonal benötigt wurde.
Ab1981 gab es mit dem Heimleiterpaar Andreas und Annemarie Kindler eine Stabilität, die viel zur positiven Geschichte der Alpenruhe beigetragen hat. Die betreuten Personen wurden in alltägliche Arbeiten eingebunden. Die sinnvollen Beschäftigungen gaben den Bewohnenden das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft, einer Familie zu sein. 1986 lebten 24 Flüchtlinge, davon sechs Vietnamesen, sowie sechs ältere Schweizer in der Alpenruhe. Die Schweiz änderte ihre Flüchtlingspolitik.
Fortan gab es eine restriktivere Asylpolitik. Dieser Wechsel in der Politik und Gesellschaft führte dazu, dass keine neuen Flüchtlinge mehr in die Alpenruhe kamen. Bei einer Abklärung, wie es mit der Alpenruhe weitergehen soll, stellte man fest, dass ein grosses Bedürfnis an Wohn- und Arbeitsplätzen für geistig und psychisch beeinträchtigte Menschen vorhanden ist.
Grünes Licht und Ankommen
Mit der Gründung der Stiftung Alpenruhe 1993 ging es weiter in der Geschichte um die Alpenruhe. Ein Jahr später gab der Kanton grünes Licht für die Renovation und den Bau einer Werkstätte. Es hatte fortan 28 Einzelzimmer und 42 Arbeits- und Beschäftigungsplätze. Beeinträchtigte Menschen, die nicht in der Alpenruhe wohnten, hatten die Möglichkeit, schöne Arbeiten aus Holz, Ton, Papier und weiterem herzustellen. Es zeigte sich bald, dass es weitere Arbeitsplätze braucht in der Region.
Die nächsten Abklärungen brauchten etwas mehr Zeit, doch 2018 erfolgte der lang ersehnte Spatenstich zum neuen Gebäude. 2020 konnten die Bewohnenden in ihr neues Heim einziehen. 2023 wurden die neuen Räume des Arbeitsbereiches bezogen und im Herbst der allseits beliebte Spielplatz der Erlebniswelt eröffnet. Die Alpenruhe ist nach wie vor eine Stiftung mit einem Leistungsauftrag des Kantons Bern und erfüllt so einen öffentlichen Auftrag.
Ein Heim, ein Zuhause, eine Familie
Zurzeit bietet die Alpenruhe 42 Wohnplätze und insgesamt 55 mögliche Arbeitsplätze. Im betreuten Beschäftigungsbereich gibt es viele kreative Tätigkeiten – draussen und drinnen –, die Freude machen. Im Café und im Laden kann man die vielen schönen Arbeiten anschauen und erwerben. Der Streichelzoo und die mit viel Herz ausgesuchten Spielelemente laden Familien zum Verweilen in der Erlebniswelt ein.
Die Alpenruhe war Hotel, Militärunterkunft, Kinderheim, Flüchtlingsheim. Die Alpenruhe war und ist ein Haus, das Menschen immer ein Zuhause geboten hat. Markus Kindler, Heimleiter seit 2015, ist es wichtig, dass mit der Erlebniswelt, dem Laden und dem Café sowie mit dem kommenden Weihnachtsmarkt die Alpenruhe ein Platz der Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ist. Ein Ort, wo Menschen zur Ruhe kommen und durchatmen können.
Am Abesitz von morgen Mittwoch 12. November referiert Pilzexperte Bert Inäbnit über die Vielfalt der Pilze.




