Die Blumen des Frühlings sind die Träume des Winters
28.02.2025 KircheEs ist Anfang Februar. Die Sonne scheint durchs Küchenfenster. Am schattigen Port glitzert der gefrorene Schnee.
Im Garten blühen die ersten Schlüsselblumen. Sie erinnern an die längst verstorbene Schwiegermutter. Wann wohl hat sie diese an diesem sonnigen ...
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Abo AngeboteEs ist Anfang Februar. Die Sonne scheint durchs Küchenfenster. Am schattigen Port glitzert der gefrorene Schnee.
Im Garten blühen die ersten Schlüsselblumen. Sie erinnern an die längst verstorbene Schwiegermutter. Wann wohl hat sie diese an diesem sonnigen Plätzchen angepflanzt? Hatte sie damals auch Frühlingsträume? Am Anfang des Zweiten Weltkriegs kauften die Schwiegereltern dieses Haus mit Landwirtschaft und Garten. Dann kamen die schwierigen Zeiten auf Europa und die ganze Welt zu.
Macht und Ohnmacht waren an der Tagesordnung. Gewalt und unendliches Leid wollte kein Ende nehmen.
«Die Blumen des Frühlings sind die Träume des Winters.»
In diesen Worten sind keine Machtansprüche zu lesen. Vielmehr eine stille, frohe Hoffnung. Die ersten warmen Sonnenstrahlen und das Erwachen der Natur lassen die letzten Wintertage geduldig annehmen. Vielleicht geniesst man sogar den sulzig werdenden Schnee und den blauen Himmel für die letzten Skifahrten in der wunderschönen winterlichen Bergwelt.
Auch wenn ein paar Tage später erneut ein kurzer Wintereinbruch bis ins Tal kommt und alles wieder von einer weissen Schneedecke bedeckt wird, lugt im Rosenbeet eine Knospe neugierig unter dem schützenden Tannästchen hervor. Dies als Zeichen, dass der Wintertraum bald einmal ganz dem Frühling weichen wird.
Auch die Bibel erzählt uns von Menschen, welche Träume hatten. Zum Beispiel wird uns im Alten Testament, verwoben in zwei Geschichten, von einem Josef berichtet. Nicht zu verwechseln mit dem Mann von Maria, der Mutter Jesu.
Dieser Josef hatte als Jugendlicher zweimal einen kühnen Traum. Unüberlegt erzählte er den ersten seinen Brüdern: «Ich habe von zwölf Garben geträumt. Die Garben sind ein Bild für uns Brüder», meinte er dazu. Und weiter: «Elf Garben haben sich vor einer Garbe tief gebeugt. Diese Garbe bin ich, Josef, gewesen.»
Natürlich wurden die Brüder über diese Prahlerei wütend. Trotzdem erzählte Josef kurz darauf seinen Brüdern den zweiten Traum. Er habe zwölf Sterne gesehen und dazu den Mond und die Sonne. Die Sterne, die Sonne und der Mond hätten sich vor einem Stern verbeugt. «Der Mond und die Sonne sind meine Eltern», meinte Josef dazu. «Die elf Sterne seid ihr, meine Brüder. Ihr alle habt euch vor mir verbeugt.»
Dies war nun wirklich genug für seine Brüder und sie berieten untereinander, wie sie diesen frechen Bruder, dazu noch den Liebling ihres Vaters, beseitigen könnten. Nach längerem Hin und Her beschlossen sie, Josef einer zufällig vorbeikommenden Karawane zu verkaufen. Es waren Kaufleute, die unterwegs waren nach Ägypten.
Dort begann für Josef eine neue Lebensgeschichte. Als geschickter Mensch in vielen Dingen wurde er ein geschätzter Verwalter des Pharaos. Er war sozusagen die rechte Hand des Herrschers. Doch dann fiel Josef unschuldig in Ungnade beim Pharao und musste für viele Jahre ins Gefängnis.
Auch hier wurde er recht bald zum Aufseher der Gefängnisinsassen befördert. Zwei der Insassen waren der Mundschenk und der Bäcker des Pharaos. Diese berichteten Josef von ihren ganz speziellen Träumen. Der Mundschenk erzählte ihm: «Ich sah im Traum drei Reben, welche blühten. Ihre Trauben wurden reif und ich habe den Saft dem Pharao gebracht.» In diesem Traum sah Josef, dass der Mundschenk innert drei Tagen aus dem Gefängnis komme. Auch der Bäcker hatte einen ähnlichen Traum mit drei Brotkörben. Auch dieser Traum deutete Josef richtig. Der Bäcker musste in drei Tagen sterben.
Der Mundschenk wurde tatsächlich innert drei Tagen aus dem Gefängnis entlassen.
Fast zu derselben Zeit hatte auch der Pharao unruhige Nächte. Besonders ein schwieriger Traum liess ihn nicht mehr los. Darum liess er von weit her Traumdeuter kommen. Aber keiner konnte in diesem Traum etwas erkennen.
Da erinnerte der Mundschenk den Herrscher an Josef, der immer noch im Gefängnis war.
Da der Pharao in grosser Unruhe war, liess er Josef vor ihn treten und erzählte ihm, dass er im Traum an einem Fluss gewesen sei. Dort seien sieben gut ernährte Kühe aus dem Wasser gekommen und hätten geäst. Bald darauf aber seien sieben magere Kühe aus dem Wasser gestiegen und hätten die fetten aufgefressen.
Der Pharao hatte noch einen zweiten Traum, der ihn nicht weniger beschäftigte. Ihm träumte von einem Kornfeld. Er sah einen Halm, an dem sieben schöne, dicke Ähren wuchsen. In einem nächsten Traum sah der Pharao sieben dünne Ähren, die die dicken auffrassen.
Auch diese Träume konnte Josef deuten. Er sah voraus, dass eine grosse Dürre über Ägypten kommen würde und man schnell Vorräte in den Kornkammern anlegen müsse. Daraufhin schenkte der Herrscher Josef wieder sein Vertrauen und setzte ihn als Verwalter über die Getreidekammern ein.
In der Zwischenzeit kam auch über das Land von Josefs Familie eine grosse Dürre. Der Vater wusste keinen Rat mehr, ausser seine Söhne nach Ägypten zu entsenden, um dort eventuell noch etwas Korn zu bekommen.
Josef erkannte seine Brüder und übergab diesen gerne etwas aus der Kornkammer. Durch verschiedene kleine Prüfungen konnte er die Brüder dazu bringen, ihren jüngsten Bruder und später auch den Vater zu holen. Erst dann gab sich Josef zu erkennen und begrüsste seine Brüder mit den bekannten Worten: «Ihr wolltet Böses tun, aber Gott hat Gutes daraus entstehen lassen.»
Wenn wir die ganze Geschichte lesen, fällt uns auf, dass Josef nicht eine Gottesbegegnung hatte wie etwa die Propheten. Sondern es waren Träume anstatt Visionen. Aber Josef hatte in seinem Innern eine Ahnung, dass er irgendwann eine andere Aufgabe übernehmen müsse als seine Brüder und seine Eltern.
Josef blieb aber in der Ferne seinem Glauben an Gott Jahwe treu.
«Die Blumen des Frühlings sind die Träume des Winters.»
Die Josefgeschichte ist eine besondere Erzählung. Sie ist eine Geschichte, welche die Kinder bis heute gerne hören. Warum? Vielleicht, weil sie fast wie ein Märchen erzählt werden kann.
Ein bisschen Prahlerei, ein bisschen Bruderzwist, Eifersucht und Bevorzugung eines Sohnes.
Es gibt aber auch den Traum vom rücksichtslosen Herrschen.
Dazu eine kleine Zusammenfassung aus der Kurzgeschichte «Der Olivenbaum» von Rafik Schami.
«Es war einmal oder es war nicht ein dummer Wind.» So beginnt die Geschichte. Dieser Wind flog brüllend und pfeifend über eine Ebene. Er brüllte alle Bäume an: «Beugt euch nieder vor mir, sonst reisse ich euch allesamt um!» Vor lauter Scheck beugten sich die Bäume bis zu Boden, konnten sich aber danach nicht mehr erheben. Sie waren zerbrochen.
Mit höhnischem Gelächter ging der Wind weiter. Auf einmal kratze ihn etwas heftig an seinem Rücken. Zornig blickte er zurück und sah einen kleinen, alleinstehenden Olivenbaum mitten auf der grossen Ebene. «Beug dich nieder vor mir!», herrschte der Wind den Olivenbaum an. Doch dieser erwiderte ganz freundlich: «Ich kann nicht, solange mein Herr dort steht.» «Wer?», fragte der Wind. Der Baum antwortete: «Der Bauer. Er könnte mich falsch verstehen und denken, die Erde sei nicht gut, um weitere Bäume zu pflanzen.»
Dies sah der Wind ein und gewährte dem Olivenbaum 20 Jahre. Und so kam es, dass der Bauer viele schöne Olivenbäumchen pflanzte und es ein schöner Hain wurde.
Als der Wind nach vielen Jahren wieder vorbeikam und den schönen Olivenhain sah, musste er sich eingestehen, dass die Bäume stärker waren als er. Sein windiger Zorn aber trug die Olivenfrüchte weit übers Land. Es wuchsen immer mehr Olivenbäume und ihre Wurzeln gingen tiefer in die Erde.
Das sind zwei Geschichten über Selbstverwirklichung. Die eine betrifft Herrschsucht und Zerstörung. Die Josefgeschichte erzählt von einem Traum – einer Vorahnung, vielleicht könnte man auch Achtsamkeit sagen.
Möge Gott, Jesus Christus uns vor Herrschsucht bewahren. Mögen wir unsere Träume wahr werden lassen und an einer guten Welt bauen, wie Jesus uns gelehrt hat. Denn: «Die Blumen des Frühlings sind die Träume des Winters.»
HILDE TEUSCHER