Die Country Night kann das Leben verlängern
11.09.2023Studien scheinen zu beweisen, dass Musikmachen und das Singen das Leben verlängern können. Vielleicht hat das Hören und Erleben von Countrymusik den gleichen Effekt. Sollte dem so sein, dann hat die diesjährige Country Night das Leben der Menschen auf der Bühne ...
Studien scheinen zu beweisen, dass Musikmachen und das Singen das Leben verlängern können. Vielleicht hat das Hören und Erleben von Countrymusik den gleichen Effekt. Sollte dem so sein, dann hat die diesjährige Country Night das Leben der Menschen auf der Bühne und davor sicher nicht verkürzt. Wie seit 34 Jahren wurde die Konzentration der Musikerinnen und Musiker durch ein ebenso konzentriert mitmachendes Publikum unterstützt, das immer so laut oder so leise war, wie es die Musik verlangte. Das war auch beim Auftritt von Miranda Lambert zu erleben, die zum Schluss des Abends auftrat.
THOMAS RAAFLAUB
Ihre unverwechselbare Stimme mit dem besonderen Klang begeisterte von Beginn an. Es ist diese starke und vielseitige Stimme, die eine grosse Bandbreite an Gefühlen vermitteln kann und ihrer Musik Tiefe und Authentizität verleiht. Sprache und Musik behandeln sehr persönliche Themen und dringen tief in die Gefühlswelt ein, mit ehrlichen und gut verständlichen Texten, die ein breites Spektrum von Themen wie Liebe, Herzschmerz, Selbstbestimmung und persönliche Entwicklung abdecken. Ihre Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, haben sie bei Fans und Kritikern gleichermassen beliebt gemacht.
Miranda Lambert gibt sich in ihren Liedern verletzlich und offen, was es den Zuhörenden ermöglicht, sich mit ihr zu identifizieren. Ein gutes Beispiel dafür war das Lied «Tequila Does» – eine hervorragende Mischung von Gesang und Instrumenten, ein fröhlicher Cocktail von Traditionen und musikalischen Entdeckungen, der zeigt, dass Lambert sich im Laufe ihrer Karriere als Künstlerin immer weiterentwickelt hat. Sie hat die Grenzen der traditionellen Countrymusik erweitert und Elemente von Rock und Folk in ihre Musik integriert.
Diese Bereitschaft zum Experimentieren und zur Weiterentwicklung macht ihre Musik frisch und fesselnd. Dies beweisen die zahlreichen Preise und Auszeichnungen, darunter Grammy Awards, Academy of Country Music Awards und Country Music Association Awards, die von ihrem Talent und ihrem Einfluss auf das Genre der Countrymusik zeugen.
Auf der Bühne wirkte sie sehr bodenständig, nahe am Publikum, was von diesem als sehr sympathisch wahrgenommen wurde. Sie kommunizierte mit den Menschen auf einer persönlichen Ebene. Dazu ist Miranda Lambert eine Wegbereiterin für Countrymusikkünstlerinnen. Ihr Erfolg und ihre Offenheit in Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter haben dazu beigetragen, Barrieren für Frauen in der Countryszene abzubauen.
Ein Flug nach Louisiana
Barrieren hat auch Jo-El Sonnier abgebaut, nämlich die eigenen: seine Behinderung durch das Aspergersyndrom, eine Form des Autismus. «Jetzt bin ich der Mann, welcher der Beweis dafür sein möchte, dass eine Beeinträchtigung nicht gleichbedeutend mit einer Einschränkung ist.» So wird er im Programmheft zitiert.
Nein, von Einschränkungen konnte keine Rede sein beim Auftritt des 76-Jährigen. In Musik gegossene Lebensfreude strömte ins Zelt. Die Verbindung von Cajun- und Countrymusikstilen gelangen ihm und seinen neun Mitmusikern nahtlos. Diese Verschmelzung führte zu einem einzigartigen und unverwechselbaren Sound, der die Fans beider Stile ansprach und anhaltende Begeisterung im Zelt auslöste. Der Akkordeonspieler beherrschte sein Instrument mit einer verblüffenden Fingerfertigkeit, was seinem Auftritt eine besondere Note verlieh: Das Countryzelt hob ab und flog über den Atlantik nach Louisiana, wo es sanft in den Louisiana-Harmonien landete, dort wo sich Jo-El Sonnier für die Bewahrung und Förderung dieser Kultur und Musik einsetzt. Er setzte sich aber auch für die Mitspieler auf der Bühne ein, die alle ihre Soli spielen durften. Sogar der Bass wurde mit dieser Ehre belohnt. Jo-El Sonnier ist weit entfernt vom Mainstream und das scheint ihm nichts auszumachen. Neben Cajun und Country liess er deshalb auch Elemente von Rock, Zydeco und Blues in seine Musik einfliessen, was zu einer grossen musikalischen Vielseitigkeit führte. Der Verzicht auf Mainstream hat vielleicht finanzielle Konsequenzen für ihn, dafür wird er in Cajun- und Countrymusikkreisen und in Gstaad für sein Talent, seine Vielseitigkeit und sein Engagement für sein kulturelles Erbe respektiert.
Nachwuchskünstler begeistert die Jugend
Auch Randall King ist in der Tradition der Countrymusik verwurzelt. Klassisch waren in Gstaad beispielsweise die Steel Guitar und die Fiddle auf der Bühne, die an die Instrumente der Countrylegenden der Vergangenheit erinnerten. Seine Liedtexte handelten von Liebe, Herzschmerz und dem Leben auf dem Land, die Randall King gefühlvoll und mit grossem stimmlichen Können vortrug, ganz in der Tradition der Countrymusik – in einem perfekten und präzisen Zusammenspiel. Seine experimentierfreudige und mitreissende Musik kam besonders bei den jüngeren Zuhörenden im Publikum sehr gut an, wie der Schreiber dieser Zeilen in Erfahrung bringen konnte. Diese jungen Menschen wünschen dem vielversprechenden Künstler alles Gute, viel Glück und Erfolg in seiner Karriere.
«I’m a Swiss guy»
Das ist auch Florian Fox zu wünschen, der eigentlichen Entdeckung des Abends. Es ist so: Wer den Anfang der Country Night verpasst, der verpasst oft viel. Schon bei «I’m a Swiss guy», in wunderschönem Bariton vorgetragen, wurde klar, dass mit Florian Fox ein begnadeter Künstler auf der Bühne stand. Es war eine Freude zu hören, wie sich ohne viele Kommentare ein Lied an das andere reihte – gut ausgesteuert, nicht zu laut, nicht zu leise. Beste Unterhaltung, harmonisch, abwechslungsreich und sehr kreativ. Eigentlich wollte der Musiker Anwalt studieren, als er vor drei Jahren nach Nashville auswanderte. Zurück kam er als Countrymusiker, der in Gstaad Eigenkompositionen mit Coverversionen mischte. Eine Mischung, die in ihrer Vielseitigkeit beeindruckte. Florian Fox passte so hervorragend in die 34. Ausgabe der Country Night, bei der sich die Musikliebhaber wieder einmal über ein hohes Kunstniveau freuen konnten. Kunst kommt nicht von wollen, wie Karl Valentin einst sagte. Kunst kommt von können. Käme sie von wollen, würde sie Wunst heissen.
Ein treues Publikum
Es ist ein besonderes Publikum, das Gstaader Country-Night-Publikum. Das stellte auch Marcel Bach in seiner Ansprache fest. Ein treues Publikum, ein Publikum, das gut zuhören kann, das im richtigen Moment richtig reagiert, und ein Publikum, auf das ich mich freue, mit ihm zusammen 2024 die 35. Country Night zu erleben.
TROTZ AUTOPANNE AN DIE COUNTRY NIGHT
Judith von der Linedancegruppe «The Bootlegger’s» aus Köniz machte sich mit ihrem Mann Hansueli am Freitag mit dem Auto auf den Weg nach Gstaad. Kurz vor Bulle machte das völlig unmusikalische Auto schlapp und rollte röchelnd zur Tankstelle an der Autobahnausfahrt. Der aufgebotene Pannendienst bot an, Judith und Hansueli zurück nach Köniz zu fahren. «Exclu!», sagte Judith, «on prend le train à Gstaad.»
Nach etlichen Wartezeiten traf das Paar glücklich in Gstaad ein, hatte zuvor ein Zimmer in der Jugendherberge reserviert und konnte die Country Night von Anfang an geniessen. Das zeigt doch, dass Marcel Bach in seiner Einschätzung seines Publikums – des treuen Publikums – ziemlich ins Schwarze getroffen hat.
TEXT UND FOTO: THOMAS RAAFLAUB