Die Gstaader Oper lebt
25.08.2025 KulturWas für ein Ereignis: Vincenzo Bellinis Oper «Norma» wurde in absoluter Weltklassebesetzung in konzertanter Form im Festivalzelt aufgeführt! Christoph Müller, künstlerischer Leiter des Gstaad Menuhin Festivals, hat seiner langjährigen Idee mit ...
Was für ein Ereignis: Vincenzo Bellinis Oper «Norma» wurde in absoluter Weltklassebesetzung in konzertanter Form im Festivalzelt aufgeführt! Christoph Müller, künstlerischer Leiter des Gstaad Menuhin Festivals, hat seiner langjährigen Idee mit hochstehenden Opernproduktionen eine weitere Krone aufgesetzt.
KLAUS BURKHALTER
Und so strömte das Publikum denn auch von nah und fern in hellen Scharen herbei – und wurde nicht enttäuscht! Denn, was auf der Bühne geboten wurde, begeisterte und berührte jede:n vom ersten Ton an.
Ein ergreifendes Beziehungsdrama
Im 1. Jahrhundert vor Christi Geburt möchten sich die von den Römern beherrschten Gallier von ihren Feinden losreissen. Sie erwarten von der Oberpriesterin Norma die Erlaubnis dazu – doch persönliche, hochdramatische Schwierigkeiten stehen diesem Wunsch im Weg. Norma hatte als Geliebte des römischen Prokonsuls Pollione das Keuschheitsgelübde gebrochen und zwei Kinder geboren. Doch nun hat sich ihr Geliebter von ihr abgewandt und in eine Beziehung zu der Novizin Adalgisa gestürzt, die er nach Rom entführen will. Das Drama nimmt seinen Lauf im packenden Finale des 1. Aktes, in welchem alle drei Hauptfiguren die schwierige Realität erfahren: Hier die unterwürfige, verführte Adalgisa, dort die verzweifelte, aber grossherzige Norma, dazwischen der römische selbstherrliche Macho Pollione… Norma gerät als Priesterin der Mondgöttin in einen Konflikt zwischen Liebe, Familie und Pflicht. Was passiert, wenn ihr Geheimnis entdeckt wird? Sie ist in einer verzwickten Situation und entscheidet sich schliesslich zum öffentlichen Bekenntnis und zum Freitod, nachdem sie ihre Kinder dem Vater Oroveso anvertraut hat. Der nun reumütige Pollione folgt ihr auf den Scheiterhaufen.
Eine hervorragende Interpretation
Bereits die Ouvertüre bietet einen echten Vorgeschmack auf die vielen verschiedenen Gefühle und Ereignisse des Geschehens mit heftig-kriegerischen, aber auch sanft-wehmütigen Klängen.
Das Gstaad Festival Orchester wird vom souveränen Dirigenten Domingo Hindoyan präzis geführt und begeistert während der ganzen Aufführung mit seiner gefühlvollen, in allen Registern makellosen Begleitung. Hindoyan geht bewundernswert auf alle solistischen Absichten ein und setzt selber seine Impulse in den Tempi und auch in den feurigen oder sanften Klängen.
Die Oper «Norma» ist ein Juwel des italienischen Belcanto, jede Stimme ist ein Ereignis für sich und stellt höchste Ansprüche an die Ausführenden. Eine konzertante Aufführung wie hier in Gstaad erlaubt dem Publikum, sich voll auf die musikalischen Kostbarkeiten zu konzentrieren und in seinem Genuss nicht von heutzutage oftmals skurrilen Bühnenbildern und modernen Gestaltungsideen abgelenkt zu werden.
Sonya Yoncheva sorgt schon bei ihrem ersten Auftritt für Staunen und Begeisterung. Sie gehört heute zu den gefeiertsten Sopranstimmen unserer Zeit und gastiert auf allen grossen Bühnen der Welt. Als Norma wird sie stimmlich unglaublich gefordert. Sie packt diese Herausforderung mit ihrer sinnlichwarmen Stimme in vielen Klangfarben bei den dramatischen oder lyrischen Passagen grandios an. Durchdringend erklimmt sie die Höhen, oft mit Koloraturen verziert, dann sinkt sie in dunkle Tiefen, immer voller Emotionen, dicht und spannend. Die Novizin Karine Deshayes besticht ebenfalls mit ihrer satten, dramatisch aufblühenden Stimme mit vielen Schattierungen im Ausdruck, perfekt harmonierend im ergreifenden Frauenduett mit Norma, und auch im total intensiven Terzett, wenn Pollione dazustösst. Der Tenor Stefan Pop singt diese Rolle kraftvoll, höhensicher, mit gewaltiger Stimme. Ebenso eindringlich erlebt das Publikum Alexander Vinogradov, Normas Vater, mit seinem sonoren und warmen Bass, der zunächst priesterliche Strenge, dann aber auch väterliche Milde ausströmt.
Mit ihren kleineren, aber nicht weniger überzeugenden Auftritten komplettieren der Tenor Marin Yonchev als Flavio und die Sopranistin Kristine Klein als Clotilde das absolut grossartige Sängerensemble.
Der Chor der Bühnen Bern singt ausgewogen, stark und intensiv. Er untermalt und bereichert mit seinen Einwürfen das dramatische Geschehen. Die gewaltigen Männerstimmen ertönen bei ihren Kriegsausrufen wie aus einem Mund. Als eine äusserst wertvolle Bereicherung der Aufführung dürfen auch die dreisprachig aufleuchtenden Texte und die passenden Lichteffekte Erwähnung finden.
Der Opernabend hinterliess im Publikum tiefe Eindrücke, die entsprechend in Begeisterungsstürmen gezeigt wurden. Die Aufführung passte wahrlich in die Festivalreihe «Escape to Exile», verbunden mit dem Wunsch auf Frieden in unserer hektischen Zeit.