Die Heilsarmee‑Brocki in Saanen verabschiedet sich
20.01.2023 SaanenSeit 40 Jahren sind Margrit und Ueli Schopfer im Gebrauchtwarengeschäft tätig, die letzten 24 Jahre führten sie die Brocki der Heilsarmee Saanenland. Am 28. Januar laden sie zum letzten Stöbern ein und beenden damit eine Zeit, in der sie viel Spannendes erlebt haben. ...
Seit 40 Jahren sind Margrit und Ueli Schopfer im Gebrauchtwarengeschäft tätig, die letzten 24 Jahre führten sie die Brocki der Heilsarmee Saanenland. Am 28. Januar laden sie zum letzten Stöbern ein und beenden damit eine Zeit, in der sie viel Spannendes erlebt haben. Und im Unwissen ein Erbstück aus dem britischen Königshaus verkauft haben.
JOCELYNE PAGE
«Wir waren uns nicht immer ganz einig, was in die Brocki kann und was eher in die Müllabfuhr sollte», erzählt Ueli Schopfer und sieht dabei seine Frau Margrit an, die grinsend den Kopf schüttelt und antwortet: «Nein, überhaupt nicht.» Er habe in den meisten Sachen Potenzial für den Wiederverkauf gesehen. Sie sei da etwas kritischer eingestellt. «Aber er lebt auch für diese Welt. Deshalb wird er auch nach seiner Pensionierung wohl noch auf die einen und anderen Brocante‑Märkte gehen.» Ueli nickt.
Die Pension ist auch der Grund, weshalb Schopfers die Brockenstube der Heilsarmee in Saanen schliessen. Am Samstag, 28. Januar, begrüssen sie das letzte Mal alle Stöberer und Entdecker in ihrer Secondhand‑Welt. Eine Nach‑ folgerin oder einen Nachfolger haben sie nicht, beziehungsweise haben sie auch nicht gesucht. Den leeren Raum im eigenen Haus wollen sie anderweitig nutzen. Das, was übrig bleibt, fällt aber nicht automatisch der Verbrennung zum Opfer, vieles kommt noch, wie meine Frau schon sagte, mit mir auf die Brocante», sagt Ueli und strahlt. Es schwingt Stolz mit, denn auch sein Sohn hat das Brocki‑Fieber gefangen. «Er ist aber von der neuen Generation, welche die Angebote ins Netz stellen», sagt er augenzwinkernd.
1982 halfen sie mit, den Vorposten der Heilsarmee zu eröffnen. Kaum wurde dies bekannt, kamen US‑Amerikanerinnen und ‑Amerikaner bei ihnen zu Hause mit Spenden vorbei. «Sie kennen dieses System von der Heilsarmee aus ihrer Heimat. Sie gingen davon aus, dass unter unserer Hausadresse auch ein Secondhand‑Shop geführt wird», erklärt sich Ueli. Er und seine Frau hätten sich gefragt, was sie mit den Sachen machen sollen, und haben sich entschieden, diese auf dem Saanen Markt zu verkaufen. 1983 folgte im alten Schulhaus Saanen ein Brockiverkauf – eine Woche vor dem Anlass kam ein Anruf nach dem anderen rein. «Chaletbesitzer aus dem Oberbort haben uns angefragt, ob wir auch Sachspenden einsammeln. Mit einem alten, klapprigen VW‑Bus haben wir uns auf den Weg gemacht», erinnert sich Ueli. Die Ferienhausbesitzer warteten mit hochwertigen Sachen auf sie, wie beispielsweise Skier und Skischuhe, edle Möbel, schönes Geschirr. Die Spenden waren meist in sehr gutem Zustand und wurden wenig gebraucht. «Eine Frau hat uns zehn identische und teure Skianzüge abgegeben, jedes Exemplar in einer anderen Farbe. Manche hat sie wohl noch nie getragen», sagt Ueli.
Von 1983 bis 1985 absolvierten Margrit und Ueli Schopfer gemeinsam in Bern die Heilsarmeeschule. Zwei Jahre später kehrten sie zuerst nach Château‑d’Oex, danach ins Saanenland zurück und nahmen ihre Brocki‑Tätigkeiten wieder auf, unter anderem in der Garage. 1998 war es soweit: Sie konnten ihr eigenes Heim in Saanen an der Dorfstrasse beziehen, im Untergeschoss richteten sie die Brocki der Heilsarmee Saanenland ein.
Das königliche Tablett
Während 40 Jahren – davon 24 in ihrer eigenen Brocki – hat das Ehepaar vieles erlebt. Gemeinsam blicken sie zurück in die Vergangenheit und müssen oft lachen. «Manche Geschichten würde uns kein Mensch glauben, wenn wir sie erzählen würden», sagt Margrit. Aber es gab sie, die unglaublichen Erlebnisse – einst in Zusammenhang mit einem Tablett. «Bei einer Abholung einer Spende hat mir der Chaletbesitzer ein Silbertablett mitgegeben. Er meinte, dass es noch einen passenden Krug dazu gebe, dieser aktuell aber nicht auffindbar sei. Er werde sich melden, wenn er ihn gefunden habe», erzählt Ueli. Kaum zurück in der Brockenstube, hat ein Mann Interesse am Silbertablett gezeigt. Schopfer informierte ihn über den Krug. «Er war begeistert. Er kaufte das Tablett und meinte, er werde zurückkommen, um den Krug zu kaufen.» Kurz darauf erhielt er einen Anruf, der ursprüngliche Besitzer war am Apparat – mit nervöser Stimme. «Er fragte mich, ob ich das Silbertablett noch habe, denn es sei ein Erbstück aus dem britischen Königshaus.» Den Käufer hat er aber nie wieder gesehen, das Interesse am Krug war wohl doch nicht so gross. Was war das Skurrilste, was Schopfers jemals gespendet bekommen haben? «Es gab mehrere Dinge, die speziell waren. Aber das Skurrilste ist wohl eine Urne, die in einer Tasche mit anderen Sachen abgegeben wurde», sagt Ueli. Den Geber konnte er nicht mehr eruieren, da die Sachspenden nicht jeden Tag sortiert wurden. «Den Inhalt habe ich letzten Sommer auf einer schönen Alp würdig der Erde übergeben.»
Den Bedürftigen helfen
Das Ehepaar Schopfer hatte durch ihre Tätigkeit die Möglichkeit, in gegensätzliche Gesellschaftsschichten blicken zu können. Auf der einen Seite die wohlhabenden Kreise, die kaum gebrauchte Artikel spendeten, auf der anderen Seite die bürgerliche Schicht und auch diejenigen, die sich am Rand der Gesellschaft bewegten. Und das habe die Arbeit so sinnstiftend gemacht. «Normale» Bürgerinnen und Bürger hätten sich Dinge leisten können, die sonst nicht ihrem Budget entsprochen hätten. Und Familien und alleinerziehenden Eltern, die am Existenzminimum lebten, hätten sie weiterhelfen können. «Manchen haben wir die Sachen fast gratis gegeben, aber stets einen symbolischen Beitrag von ein, zwei Franken verlangt. Denn alles kostet etwas und die Personen in Not sind stolz, wenn sie trotzdem etwas beisteuern können, statt nur von Almo‑ sen zu leben», erklärt Ueli.
Brocki wird Trend
In den vergangenen Jahren haben Schopfers auch Veränderungen festge‑ stellt. «Die Leute mögen Secondhand. Sie sehen die nachhaltigen Aspekte, gebrauchten Dingen eine zweite Chance zu geben», sagt Margrit. Ein Besuch bestätigt das Beobachtete: Um 13.15 Uhr öffnen Schopfers ihren Laden und in‑ nert Minuten gibt es keine Parkplätze vor dem Haus mehr, zehn Leute schleichen nebeneinander vorbei in den engen Gängen der Brockenstube. «Es kommt vor, dass Kunden mit ihren Autos schon bis zu einer halben Stunde vorher auf dem Platz warteten», sagt Ueli. Fast jeden Besuch kennen er und Margrit oder wissen eine Geschichte zu erzählen. Was die Person gekauft hat, wie stark sie beim Preis verhandelt hat und auch über das Persönliche wissen sie oft Bescheid. «Wie geht es den Kindern? Da kommt mir gerade in den Sinn, schau mal da hinten», sagt Ueli zu einem Paar und zeigt auf Kinderzeichnungen. Gemeinsam lachen sie und erinnern sich an alte Zeiten.
Margrit und Ueli Schopfer zeigen sich dankbar für die vielen Begegnungen, die entstandenen Freundschaften und besonders für die vielen treuen Besucherinnen und Besucher. Ende Monat endet für sie ein gemeinsames und langes Kapitel, «mit einem weinenden und einem lachenden Auge, wie man so schön sagt», meint Ueli.
Am Samstag, 28. Januar, öffnen Margrit und Ueli Schopfer das letzte Mal die Brocki der Heilsarmee – ab 13 Uhr mit Kaffeestube. Ab 16 Uhr wird das Paar in einer kleinen Feier vom Chef mit Züpfe und Hobelkäse in den Ruhestand verabschiedet.