Besucherdruck in der Feriendestination: lenken statt beschränken
12.12.2025 GstaadAn der Generalversammlung des Hoteliervereins vom Mittwoch diskutierten Branchenvertreter über Besucherdruck, Gruppenreisen sowie die Zukunft des Tourismus im Saanenland – und suchten gemeinsam nach Lösungen für eine Region, die «Luxusprobleme» ...
An der Generalversammlung des Hoteliervereins vom Mittwoch diskutierten Branchenvertreter über Besucherdruck, Gruppenreisen sowie die Zukunft des Tourismus im Saanenland – und suchten gemeinsam nach Lösungen für eine Region, die «Luxusprobleme» hat.
SONJA WOLF
Eine originelle Idee vom Vorstand des Hoteliervereins: Im zweiten Teil der Generalversammlung im Gstaaderhof ging es so richtig zur Sache – und zwar in einer Podiumsdiskussion zum Thema «Qualität vor Quantität oder Wachstum um jeden Preis?»
Dazu hatte Hoteliervereinspräsident Christof Huber spannende Gäste eingeladen: Andrea Scherz, Direktor und Eigentümer des Gstaad Palace, der regelmässig eine qualitätsgewohnte gehobene Klientel bei sich begrüsst. Als Gegenpol Bernhard Tschannen, CEO von Glacier 3000, der im Bergbahngeschäft und der Berggastronomie auf ein gewisses touristisches Volumen angewiesen ist. Sonja Kurth, Vorstandsmitglied von Gstaad Saanenland Tourismus, die mit den Reaktionen der Bevölkerung vertraut ist – und Martin Nydegger, der als Direktor von Schweiz Tourismus die typischen Probleme der Feriendestination Gstaad in den Gesamtschweizer Kontext einordnen und dabei gleich
Ein KI-überfüllter Arnensee
Doch schon bevor jemand das Mikrofon ergriff, war klar, wohin die Reise geht: Christof Huber hatte zur Einstimmung eine Serie KI-generierter Bilder an die Wand werfen lassen – ein völlig überfüllter Arnensee, Selfie-Touristen, die sich auf der «Bollywood-Brücke» in Saanen drängen, und Reisebusse, die sich durch enge Dorfstrassen zwängen. Der Saal lachte, aber es war dieses Lachen, das sagt: Ja, genau so fühlt es sich manchmal an.
«Warum lässt man Gruppenbusse zu?» – die erste Provokation
Und so fragte auch Jocelyne Page, Chefredaktorin dieser Zeitung und Moderatorin des Abends, gleich keck in die Runde: «Wenn sich Gstaad weiterhin als Luxusdestination versteht, warum lässt man dann immer noch Gruppenbusse zu?»
«Damit wir die Carparkplätze nutzen können», meinte Andrea Scherz trocken als Icebreaker und sorgte für einen amüsierten Lacher im Publikum – um dann gleich ernst zu werden: Es sei zwar nicht die ideale Situation, aber
Scherz vertrete die Meinung «Leben und leben lassen». Man könne Gruppenbusse ja nicht verhindern, indem man eine Schranke aufstellt, meinte auch Sonja Kurth.
Gruppenbusse, Individualtouristen und die Social-Media-Welle
Bernhard Tschannen verfolge am Gacier 3000 das Ziel, Quantität mit Qualität zu kombinieren. Auch die Gruppenbusse seien wichtig, haben sie doch einen Anteil von etwa 25 Prozent bei ihm. Tschannen warb dafür, Gruppen nicht pauschal als Problem abzustempeln. In seiner «zweiten Heimat» Interlaken seien geführte Gruppen früher relativ gut steuerbar gewesen: ankommen, einkaufen, weiterfahren. Heute seien es oft Individualreisende, welche die öffentlichen Verkehrsmittel fluten und durch Social Media jeden-Geheimtipp zum Hotspot machen.
«Das Problem ist nicht die Menge, sondern die Geschwindigkeit»
Könne man in der Schweiz oder speziell in der Feriendestination Gstaad also von Overtourismus sprechen? Da winkte Schweiz-Tourismus-Direktor Nydegger ab. «Das aktuelle Problem ist nicht das Volumen, sondern die Geschwindigkeit des Wachstums, insbesondere nach der Corona-Krise, welche die Einheimischen überfordert hat», erklärte er. Und betonte, dass es in der Schweiz keinen flächendeckenden Overtourismus gebe, sondern lediglich einige wenige neuralgische Orte mit Engpässen, die gemanagt, reduziert und verteilt werden müssten. «Auch an einem Samstagnachmittag im Ikea sind Sie nicht alleine.» Besucherlenkung sei aber zentral, damit die Tourismusakzeptanz nicht leide.
Wenn die Touristen im Garten sitzen
Dies konnte Sonja Kurth eindrucksvoll beschreiben: Zweisimmen ist ein Knotenpunkt, wo Zuggäste aus der MOB häufig in einen Reisecar umsteigen und während der Wartezeit sich in privaten Gärten zum Picknick niederliessen oder sonst die privaten Räume der Einheimischen nicht respektierten.
Von der Moderatorin nach möglichen Lösungen für die Zukunft gefragt, trugen die Gäste einiges zusammen. Andrea Scherz wünschte sich eine Art von Bildung für die Gäste. Auf eine diskrete und elegante Weise müsse man Touristen aus neuen Märkten vermitteln, «dass man nicht in fremde Gärten sitzt» oder ungefragt über Privatgrund spaziert. Das gelte, wie er schmunzelnd anfügte, übrigens auch für gewisse Palace-Gäste.
Befindlichkeit versus Betroffenheit – wie misst man Akzeptanz?
Nydegger spannte den Bogen zurück zur Tourismusakzeptanz und unterschied zwischen Befindlichkeit und Betroffenheit. Nicht jede laut geäusserte Klage sei statistisch relevant, sagte er, aber beides müsse ernst genommen werden. Darum setze man auf Sentiment-Befragungen: Wie viele Gäste benähmen sich tatsächlich daneben? Und: Wie viele Einheimische fühlten sich tatsächlich gestört? «Wir müssen wissen: Haben wir 20 Prozent, die sich daneben benehmen – oder reden wir über ein paar Einzelfälle?» Nur so lasse sich das Thema einordnen.
Gleichzeitig brauche es konkrete Massnahmen. Als Best-Practice-Beispiel nannte Nydegger Iseltwald, wo nach dem Hype um eine Netflix-Serie mit einem einfachen Drehkreuz, einem ausgedehnten Busfahrplan und sauberen Toiletten Ordnung geschaffen wurde. «Das Wichtigste ist, dass etwas passiert, das man sieht», sagte er. Nichts sei schlimmer, als wenn sich die Einheimischen beklagten – und es passiere jahrelang nichts.
Qualität sichern statt Grenzen ziehen
In der Schlussrunde zur Frage, ob Gstaad bereit wäre, weniger Gäste zugunsten höherer Qualität zu akzeptieren, schälte sich ein gemeinsamer Nenner heraus. «Wir müssen die Qualität erhalten», fand Sonja Kurth. Das gehe nur mit guter Lenkung und gemeinsam getragenen Massnahmen, an denen man mit Flurin Riedi und dem GST bereits arbeite. Dem stimmte auch Andrea Scherz zu, der bewusst an Spitzentagen Bereiche für externe Gäste schliesst, denn nicht mehr Umsatz zähle, sondern die Zufriedenheit der anwesenden Gäste. Bernhard Tschannen plädierte für einen gesunden Mix: Weder nur asiatische Gruppen noch nur Luxusgäste funktionierten – «es braucht einen guten Mix und einen Austausch wie heute.»
Und Nydegger ordnete nochmals ein: Gstaad habe «Luxussorgen», während andere Regionen der Schweiz froh wären um mehr Gäste. Aber genau deshalb, so sein Fazit, müsse man hier besonders sorgfältig managen – damit die Balance zwischen Erfolg, Lebensqualität und Gastfreundschaft nicht kippt.
WAS LIEF SONST NOCH AN DER GV?
Referat Martin Nydegger: Wohin sich der Tourismus bewegt
Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger gab einen kurzen Ausblick auf die globale Entwicklung der nächsten 10–15 Jahre. Kernauftrag seiner Organisation sei es, neue Gäste für die ganze Schweiz zu gewinnen, nicht Stammgäste zu pflegen. Darum arbeite man international breit und im oberen Marktsegment.
Als idealen Gästemix sieht er eine Balance zwischen Schweiz, Europa und Übersee; das stärkste künftige Wachstum komme aus dem Asia-Pacific-Raum.
Für das Saanenland bedeute dies: Auch wenn es bei uns aktuell «läuft», bleibe die Auslastung schweizweit tief – statistisch ist jedes zweite Hotelzimmer übers Jahr leer. Sein «Zaubertrank» für die Zukunft: Ganzjahrestourismus, bessere Verteilung, längere Aufenthalte, Nachhaltigkeit und – mit Nachholbedarf – Tourismusakzeptanz.
Spannend für die Region: Im Vergleich zum gesamten Schweizer Alpenraum sei der typische Gast im Saanenland älter, bleibe länger und schätze Ruhe, Authentizität und den Kontakt zur Bevölkerung.
Referat Flurin Riedi (GST): «Wir sind dran!»
Flurin Riedi zeigte, wie die Region bereits an der Besucherlenkung arbeitet: ÖV inklusive, Rangerprogramme, Sensibilisierung, Verkehrs- und Parkplatzregimes sowie laufende Projekte an Hotspots wie dem Lauenensee und Arnensee. Entscheidend sei, dass die Region Erfahrung sammle und «sich enablen» könne, um künftig schneller und koordinierter zu reagieren.
Workshops zu vier Brennpunkten
In Gruppen wurden mögliche Lösungen zum überfüllten Arnensee, der «Bollywood»-Brücke, Gruppen im Dorf und dem Bahnhof als Hub erarbeitet. Genannt wurden u.a. Shuttle- und Parklösungen, eine klarere Besucherführung sowie Massnahmen zur Sensibilisierung der Gäste.
Neuer Vorstand
Im statutarischen Teil wurde für den ausscheidenden Romuald Bour neu François Grohens (Bernerhof) in den Vorstand des Hoteliervereins gewählt. Die weiteren Traktanden wurden zügig abgewickelt.
SWO





