E-Postauto nach Abländschen in voller Fahrt
17.10.2025 InterviewDie Postautolinie Mittelberg fährt mit Gästen und Einheimischen von Saanen ins «ferne» Abländschen. Arbeitsplätze und touristische Visionen fahren sinnbildlich mit. Ob die Linie weiter geführt wird, ist weitgehend vom Kanton Bern ...
Die Postautolinie Mittelberg fährt mit Gästen und Einheimischen von Saanen ins «ferne» Abländschen. Arbeitsplätze und touristische Visionen fahren sinnbildlich mit. Ob die Linie weiter geführt wird, ist weitgehend vom Kanton Bern abhängig.
JONATHAN SCHOPFER
«Von Saanen her war und ist Abländschen indes schlecht zu erreichen», schreibt die Historikerin Anne-Marie Dubler im «Historischen Lexikon der Schweiz». Die Streusiedlung am Fuss der Gastlosen, an der Grenze zum Freiburgischen, liegt abgeschieden.
Der Dorfbevölkerung war es ein Anliegen, dass sich an der Erreichbarkeit ihres Tals etwas ändert. Deshalb beschloss die Gemeinde Saanen 2023 einen Versuchsbetrieb über zwei Jahre für eine Postautolinie zwischen Saanen und Jaun über Abländschen. Der Rahmenkredit von rund 425’000 Franken wurde ohne Referendum gutgeheissen. Wegen des Erfolgs verlängerte der Gemeinderat das Projekt bis 2026 und stellte weitere 498’000 Franken bereit. Finanziert wird der Betrieb vollständig durch die Gemeinde; die Einnahmen aus dem Ticketverkauf fliessen an sie zurück.
«Das wichtigste Ziel war, das Gebiet Mittelberg–Abländschen vom starken Autoverkehr zu entlasten», sagt Philipp Becker, Abteilungsleiter Infrastrukturen der Gemeinde Saanen. Die Rückmeldungen seien durchweg positiv – einzig die hohen Kosten bleiben ein Thema. Ob die Gemeinde Saanen die Linie nach 2026 weiterfinanzieren wird, ist offen. «Es wird daran gearbeitet, dass weitere Partner – insbesondere der Kanton Bern – die Kosten übernehmen oder sich daran beteiligen. Im Frühjahr 2026 werden die zuständige Kommission und der Gemeinderat die Situation prüfen und über die Zukunft des Angebots entscheiden», so Becker weiter.
Die Postautolinie Saanen–Abländschen–Jaun bleibt somit auch in den nächsten Jahren ein Thema. Wir haben mit Gstaad Saanenland Tourismus, PostAuto und dem Wirt des «Zitbödeli» gesprochen.
SIMON DÄNZER IM INTERVIEW
«Für das ganze Tal ist es ein grosser Mehrwert»
«Zahlen bitte!» – seit das E-Postauto nach Abländschen fährt, kommt es vor, dass gleich vier Tische gleichzeitig zahlen wollen, erzählt Simon Dänzer. Der Wirt im Restaurant Zitbödeli erklärt, welchen Unterschied das Angebot für das Tal macht.
JONATHAN SCHOPFER
Haben Sie seit der Einführung des E-Postautos im Sommer 2023 Veränderungen in Ihrem Restaurant gespürt?
Ja, auf jeden Fall. Wir merken, dass mehr Gäste kommen – gerade auch Leute ohne Auto, die sonst wohl gar nicht ins Tal gefunden hätten. Besonders an Spitzentagen fällt es auf: Manchmal wollen drei oder vier Tische gleichzeitig bezahlen, weil sie noch das Postauto erwischen müssen.
Sind Sie für eine Weiterführung des Projekts?
Unbedingt. Für das ganze Tal ist es ein grosser Mehrwert. Man kann eine Wanderung sehr gut mit einer Postautofahrt kombinieren – etwa zu den Gastlosen oder vom Mittelberg über den Jaunpass. Das sind lange Strecken, und mit dem Postauto ist man viel freier, diese Wanderungen in Etappen zu machen. Das macht den Aufenthalt für viele Gäste attraktiver.
Welche Gästegruppen kommen zu Ihnen ins Restaurant?
Querbeet: Wanderer, Pensionierte, ab und zu Familien – und auch Biker, die ihr Velo hinten am Postauto mitnehmen und dann hier eine Tour starten.
Sind Sie mit dem Fahrplan des E-Postautos zufrieden?
Ja, ich finde den Fahrplan sehr passend. Schade finde ich einzig den Unterbruch im September, wo das Postauto nur am Wochenende fährt – gerade im Herbst gäbe es viele Wanderer. Die Frequenz an sich finde ich aber ideal: Manche Gäste wandern, kehren bei uns ein, verbringen zwei Stunden im Restaurant und fahren dann mit dem Postauto zurück.
ANITA GROSSNIKL AUS IM INTERVIEW
«Mit diesem Erfolg hatten wir nicht gerechnet»
Im Gespräch erklärt Anita Grossniklaus, Key Account Managerin Postauto Berner Oberland, wie sich die Fahrgastzahlen entwickelt haben und wie der Fahrplan gemeinsam mit der Gemeinde Saanen entstand.
JONATHAN SCHOPFER
Anita Grossniklaus, wie hat sich die Zahl der Fahrgäste von 2023 bis heute entwickelt?
In der ersten Saison hatten wir rund 4500 Gäste – mit diesem Erfolg hatten wir nicht gerechnet. In der zweiten Saison, die etwas länger dauerte, weil wir schon im Mai starten konnten, waren es über 6400 Fahrgäste. Und in der dritten Saison können wir an diese Zahlen anknüpfen. Da haben wir plus/minus gleich viele wie in der zweiten Saison – es kommt jetzt noch auf das Wetter in den letzten Herbsttagen an.
Würde Postauto das Angebot auch ohne Gemeindebeiträge weiterführen?
Das hängt nun vom Kanton Bern ab. Wir haben dies mit dem Kanton thematisiert und die Verkehrskonferenz Oberland West möchte diese Linie als Teil des regionalen Angebotskonzeptes für die Jahre 2027 bis 2030 integrieren. Ziel wäre es, dass diese Linie vom Kanton mitfinanziert wird. Der Prozess ist aber noch im Gange: Das kantonale Angebotskonzept wird Anfang 2026 vom Grossen Rat verabschiedet.
Der Kanton hat signalisiert, dass das Budget sehr knapp ist und es schwierig wird. Es gibt für sie verschiedene Kriterien – eines davon ist zum Beispiel, dass aufgrund des Personenbeförderungsgesetzes mindestens 100 Personen ganzjährig in einer Ortschaft wohnen müssen. Das ist in Abländschen nicht der Fall.
Dann hängt das Weiterbestehen vom Kanton Bern ab?
Die Gemeinde Saanen hat die Finanzierung bis 2026 gesichert. Danach liegt der Entscheid beim Kanton – und dann sehen wir weiter.
Wie kam es eigentlich zu dieser Zusammenarbeit mit der Gemeinde Saanen?
Die Gemeinde Saanen hat das Projekt vorgestellt, und da sprang sofort der Funke über. Wir konnten auch unseren Beitrag einbringen – zum Beispiel mit der Idee zum E-Postauto. Damit konnten wir die Gemeinde begeistern: Sie haben die Linie in der Folge bei Postauto auch bestellt und tragen die damit einhergehenden Mehrkosten.
Haben Sie den Fahrplan gemeinsam erarbeitet?
Ja, den Fahrplan haben wir mit der Gemeinde Saanen festgelegt. Ein Beispiel: Im September, nach den Sommerferien, gibt es bewusst einen Unterbruch – das war ein Wunsch der Gemeinde. In dieser Zeitspanne fahren wir nur an den Wochenenden, da die Nachfrage während der Woche deutlich tiefer ist. Während der Herbstferien verkehren wir hingegen wieder täglich.
FLURIN RIEDI IM INTERVIEW
«Tourismusraum ist immer auch Lebensraum»
Für Gstaad Saanenland Tourismus (GST) steht die Postautolinie nach Abländschen exemplarisch für die Entwicklung der Destination. Wie es dazu kam und wer alles an diesem Weg mitgestaltet hat, erzählt GST-Direktor Flurin Riedi.
JONATHAN SCHOPFER
Wie passt die Postautolinie Mittelberg in die Ausrichtung von GST?
Das E-Postauto ist für uns ein Paradebeispiel für nachhaltige Tourismusentwicklung. Wir müssen das auch immer ganzheitlich anschauen: Tourismusraum ist immer auch Lebensraum. Darum ging es nicht nur um die Gäste, sondern auch um die Anliegen der Einheimischen, Zweitheimischen und der Landwirtschaft, welche die Entwicklung mitgestalten.
Nachhaltig heisst ausserdem nicht nur, dass wir einen Ökostempel aufgedrückt bekommen, sondern: Wie kann die Region Abländschen auch in Zukunft vom Tourismus profitieren?
Inwiefern kam es dazu, dass das Postauto nach Abländschen ein Thema für Gstaad Saanenland Tourismus wurde?
Die Dorforganisation Abländschen brachte ihre Bedürfnisse bei GST und der Gemeinde Saanen ein. Deshalb organisierten wir 2015 gemeinsam mit der Gemeinde eine Veranstaltung. Es ging darum: Abländschen ist Teil der Gemeinde, Teil der Destination – aber wie kann dieser Ort besser zugänglich gemacht und in Wert gesetzt werden? Wie stark soll Abländschen vermarktet werden? Aus den Gesprächen mit Dorforganisation, Einheimischen und Zweitheimischen sind verschiedene Bedürfnisse deutlich geworden.
Welche Bedürfnisse standen damals im Vordergrund?
Ein grosses Bedürfnis war von Anfang an eine Postautoverbindung – als Alternative zum Autoverkehr, aber auch als Beitrag zu einem sanften Tourismus. Daneben ging es um praktische Dinge wie Parkplätze, Wildcampieren oder die Abfallproblematik. Dabei thematisierten wir auch weitere touristische Produkte – wie z. B. das Fondue-Caquelon in Abländschen, das im Zuge des Projekts entwickelt und als fester Bestandteil ins «Fondueland» aufgenommen wurde.
Welchen Stellenwert hat die Linie aus touristischer Sicht heute?
Aus touristischer Sicht ist sie nicht mehr wegzudenken. Sie erleichtert den Zugang, entlastet die Strasse und stärkt das Tal als Ausflugsziel. Die Postautolinie bringt allen einen Mehrwert: weniger Autoverkehr, bessere Erreichbarkeit für Wanderer und Familien und zusätzliche Wertschöpfung im Tal.