Aviation der Zukunft
15.04.2024 GstaadElektrisch betriebene Flugzeuge, die der Umwelt weder mit schädlichen Emissionen noch mit Lärm zusetzen. Die Firma H55 aus Sion hat einen vielversprechenden Prototyp auf seine erste Reise geschickt. Auf dem Gstaad Airport ist er zwischengelandet. Ist die Zukunft bereits da? Wir ...
Elektrisch betriebene Flugzeuge, die der Umwelt weder mit schädlichen Emissionen noch mit Lärm zusetzen. Die Firma H55 aus Sion hat einen vielversprechenden Prototyp auf seine erste Reise geschickt. Auf dem Gstaad Airport ist er zwischengelandet. Ist die Zukunft bereits da? Wir waren bei der Landung auf dem Flugplatz dabei.
SONJA WOLF
Fast geräuschlos kommt sie ins Blickfeld geschwebt, die Bristel-B23. Die zweisitzige Maschine ist ein komplett elektrisch betriebenes Flugzeug. Sanft setzt Testpilot Markus Scherdel auf der Landebahn des Gstaad Airports auf und ist sogleich für ein Gespräch zu haben (siehe Interview mit Markus Scherdel).
Auf Promotour
Der Elektroflieger landete aber nicht etwa in Saanen, weil es der Ladestand erforderte. Vielmehr startete er am 5. April vom Firmensitz in Sion aus in Richtung Friedrichshafen/DE, wo er ab morgen, 17. April an der AERO-Messe einem breiten Fachpublikum vorgestellt werden soll. Unterwegs landete die Bristel-B23 auf mehreren Schweizer Flughäfen, damit das Team den Journalisten und anderen Interessierten Frage und Antwort stehen und ihnen das Elektroflugzeug aus der Nähe zeigen konnte. Nach dem Start um 9 Uhr war als erste Station Saanen an der Reihe. Nach einer halbstündigen Ladephase ging es weiter zum Flugplatz Ecuvillens bei Freiburg/CH.
Mit im Team dabei war auch der Kanadier Gregory Blatt, einer der Mitbegründer der Firma H55, der im Interview weitere Hintergründe erklärte (siehe Interview mit Gregory Blatt).
André Borschberg in ungewohnter Mission
Der Pilot André Borschberg, der in den Jahren 2015/16 mit Bertrand Piccard und der «Solar Impulse 2» die Welt umrundete, war auch beim Jungfernflug dabei, allerdings diesmal in anderer Mission: im Hubschrauber, der das E-Flugzeug begleitete, um Foto- und Videoaufnahmen aus nächster Nähe zu machen. «Sehr praktisch», wie Borschberg verrät, «denn die Tür des Hubschraubers kann man aushängen. Das gibt schöne Aufnahmen ohne das Plexiglas dazwischen.»
Wie geht es weiter mit der E-Aviation?
Wieder am Boden gibt André Borschberg noch einen Ausblick über den Stand der aktuellen und künftigen Entwicklung der E-Antriebe bei H55: Diese kommen heute bereits nicht nur bei kleineren Flugzeugen zum Einsatz, so wie bei dem komplett elektrischen Zweisitzer des Fabrikanten BRM Aero, der auf dem Gstaad Airport landete. Sie können auch im regionalen Transport (bis zu 1000km) in grösseren Flugzeugen mit 20 bis 100 Sitzen Anwendung finden. Die grösseren fliegen laut Borschberg zwar im Moment noch mit hybridem Antrieb, sparen aber dennoch bis zu 30 Prozent Treibstoff ein im Vergleich zu traditionell angetriebenen Flugzeugen. «Es ist der Anfang einer sauberen Luftfahrt und ausserdem einer geräuschlosen, was für touristische Orte wie Gstaad für die Zukunft sehr interessant sein könnte», sagt der erfahrene Pilot mit einem Augenzwinkern.
MIT DEM TESTPILOTEN MARKUS SCHERDEL
Markus Scherdel ist seit 30 Jahren Testpilot. Seit der Gründung der Firma H55 im Jahr 2017 testet er nun die Flieger mit umweltfreundlichen Antriebssystemen. FOTOS: SONJA WOLF
Markus Scherdel, wie viele Stunden sind Sie schon mit diesem Prototypen geflogen?
Über zwanzig Stunden. Dieser Flug hier ist jetzt aber der erste weg von Sion zu einem anderen Flugplatz.
Und wie hat es geklappt?
Perfekt. Eine halbe Stunde Flugzeit über eine wunderschöne Landschaft. Was will man mehr?
Wozu sind die vielen Fäden auf der Tragfläche gut?
Wir können daran sehr gut beobachten, wie die Strömung anliegt. Wenn während des Fluges nicht mehr alle Fäden nach hinten zeigen, wissen wir, dass es Verwirbelungen gibt. Der Strömungsabriss ist leider immer noch eine der Hauptursachen von Flugunfällen.
Jetzt gehen Sie sicher das Flugzeug aufladen. Wie funktioniert das?
An den Standard-Steckdosen der normalen Ladestationen für Autos. Den Lader fürs Flugzeug bringen wir mit dem Begleitauto mit.
WIE ALLES BEGANN
Ein Blick ins Cockpit des E-Flugzeugs.
Die «Solar Impulse 2» war das erste Solarflugzeug, das die Welt umrundete – ein Weltrekord. Sie startete im März 2015 von Abu Dhabi aus zu ihrer Weltreise in 17 Etappen. Die Piloten: Bertrand Piccard und André Borschberg. Am 26. Juli 2016 setzte Piccard die Maschine wieder auf der Landebahn von Abu Dhabi auf und rief: «We made it!»– ein globales Medienereignis.
Doch trotz dieses Erfolgs: Dass Solarflugzeuge eines Tages Passagiere befördern, daran hatte Bertrand Piccard eigentlich nie gedacht. Stattdessen sah er in seinen Abenteuern vor allem eine medienwirksame Werbung für eine nachhaltige Energieversorgung der Menschheit:
«Es geht nicht so sehr um ein Flugzeug mit Sonnenenergie, sondern um ein neues Denken. Solar Impulse ist ein Symbol. Es beweist, dass es möglich ist, auf die Verbrennung fossiler Rohstoffe zu verzichten. Dafür brauchen wir das Abenteuer, um für alle sichtbar zu machen, dass es geht.»
aus: www.deutschlandfunk.de/interkontinentalflug-solarflugzeug-100.html
MIT GREGORY BLATT, MITBEGRÜNDER VON H55
Gregory Blatt, einer der drei Mitgründer von H55. FOTO: HANS-PETER ZIMMERMANN:
Gregory Blatt, inwiefern handelt es sich bei diesem Flugzeug um einen Prototyp?
Bei H55 entwickeln wir Antriebssysteme, also Motoren, Batteriepacks und Energiemanagementsysteme. Das Flugzeug, das Sie hier sehen, kommt von unserem ersten Kunden, dem Fabrikanten BRM Aero in Tschechien, der zweisitzige Schulungsflugzeuge herstellt. Wir haben es mit einem 100-prozentig elektrischen Antriebssystem ausgestattet. Das ist der zweite, bereits stark verbesserte Prototyp. Der dritte Prototyp wird dann reif sein für die Zertifizierung.
Wann wird es voraussichtlich soweit sein?
Wir erwarten die Zertifizierung Anfang 2025. Darauf folgt dann die Serienproduktion.
Sie bezeichnen die Firma H55 als Spinoff von «Solar Impulse». Was bedeutet das?
Ich arbeitete bereits bei «Solar Impulse» mit. Nach Abschluss des Projekts der Erdumrundung mit dem Solarflugzeug 2015/16 übernahm ich 2017 zusammen mit Bertrand Piccards Mitstreiter André Borschberg und Sebastian Dumont, dem Chef der Antriebssysteme, die Technologie. (Siehe dazu auch Kasten: Wie alles begann, Anm. d. Red.)
Dieses Flugzeug hier funktioniert aber ohne Solarenergie?
Korrekt. Der B23-Prototyp ist ein rein elektrisches Flugzeug. Es hat eine Höchstflugdauer von etwa 60 Minuten plus die vorgeschriebene Reserve von 30 Minuten.
Wie lange dauert das Aufladen?
Für eine volle Ladung etwa eine Stunde.
Inwiefern können Sie von Ihren Erfahrungen mit der Solar Impulse-Technologie profitieren?
Das Projekt hat uns gezeigt, wie der Antrieb und das Energiemanagement funktionieren. Und das Wichtigste von allem: Wir wissen, welche Sicherheitsstandards wir einhalten müssen. Wenn in einem Auto eine Batterie brennt, kann man rechts ranfahren und sich in Sicherheit bringen. Das funktioniert in der Fliegerei leider nicht, und daher ist Sicherheit oberstes Gebot. Nur so können wir ein Elektroflugzeug zertifiziert bekommen.
Wir sind mit «Solar Impulse» fast 50’000 Kilometer unfallfrei geflogen. Auf Basis dieser Erfahrung machen wir bei H55 weiter in Richtung Zertifizierung.