Zur 13. Ausgabe der Gstaad Vocal Academy fand eine Stabübergabe statt. Silvana Bazzoni Bartoli, Mutter und Lehrerin der weltberühmten Cecilia Bartoli, hat über viele Jahre diese Meisterkurse gegeben. Nun übernimmt eine jüngere Generation das Zepter. Mit Ludovic Tézier konnte ein herausragender Bariton unserer Zeit als Professor der Vocal Academy gewonnen werden.

ÇETIN KÖKSAL
«Mehr Vibrato wie ein Geiger», unterbricht Ludovic Tézier eine Studentin, die ihm eine Richard Strauss-Arie vorsingt. Dabei vibriert er tatsächlich (fast…) wie ein Geiger mit seiner linken Hand, um dem Gesagten noch mehr Gewicht zu verleihen. Wie sich im anschliessenden Gespräch herausstellte, hat Tézier eine seit früher Kindheit bestehende Admiration für die grossen Geiger und die Klänge, die sie ihren Instrumenten entlocken konnten. «Gerne hätte ich als Kind das Geigenspiel erlernt, doch meine Eltern hätten sich das schlicht nicht leisten können. Also benutzte ich das Instrument, das wir alle bereits haben – die Stimme. Meine Liebe für die Geige ging sogar so weit, dass ich beispielsweise das berühmte Mendelssohn-Geigenkonzert auswendig lernte und sang.» Ein Zufall, dass Ehefrau Cassandre Berthon, welche ebenso als seine Assistenz an der Vocal Academy aktiv ist, vor ihrer Ausbildung zur Sängerin professionelle Geigerin war?

Unmittelbare Transformationen
Spannend für den aufmerksam beobachtenden Zuhörer von Meisterkursen ist die unmittelbare Entwicklung, die ein Professor mit seinen Hinweisen bei den Kursteilnehmenden auslösen kann. Anna aus Georgien beispielsweise sang die berühmte Arie «Sì. Mi chiamano Mimì» aus «La Bohème» von Puccini vor. Ein zuerst kontinuierlich kräftiger Sopran. Ludovic Tézier gelang durch das verständlich machen der Figur Mimì im Kontext der Handlung eine äusserst beeindruckende Transformation bei Sopranistin, bzw. Musikerin Anna. In Kombination mit technischen Tipps bezüglich Tempi, Artikulation oder auch der Körperhaftigkeit der zu kreierenden Töne entstand ein kleines Wunder. Anna sang zum Schluss ihres Unterrichts ein «Sì. Mi chiamano Mimì», das die Tragik und Menschlichkeit der Figur Mimì so eindrücklich ausdrückte, dass sie selbst – und das Publikum – von den Emotionen überwältigt wurde. Geht es nicht genau auch darum in der Musik und in der Kunst überhaupt? Dem scheinbar Unergründlichen, Verborgenen, nicht Offensichtlichen, dem schwer zu Erfassenden, schwierig Auszudrückenden und Diffusen, den Zwischentönen, den leisen wie den lauten Ausdruck zu verleihen?

Auf meine Frage, nach welchen Kriterien er und seine Frau die acht Kursteilnehmenden ausgesucht hätten, antwortete Tézier folgendermassen: «Selbstverständlich musste ein gewisses Grundniveau vorhanden sein, doch wir bevorzugten manchmal auch musikalisches Potenzial vor technischen Fähigkeiten.» Ganz im Sinne Yehudi Menuhins könnte man sagen. Menuhin, den Tézier als Junge gesehen und gehört und der einen grossen Eindruck auf ihn gehabt hatte. «Gerade Knaben brauchen ja unbedingt jemanden, zu dem sie aufschauen können – Männer die Vorbilder sind. Menuhin war ein solches für mich, musikalisch, aber auch seine enorme Präsenz und Ausstrahlung sind mir in Erinnerung geblieben – und diese sympathische Bescheidenheit.»

Die Antwort auf die Frage, mit welcher Technik man am besten ein schönes piano kreieren könne, ist «I think piano». Sie könnte von Menuhin gewesen sein – war es aber nicht. Es war die Antwort der grossen Monserrat Caballé.

Ein Hoch auf die Singstimme

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