Happy Birthday Festival, – happy Birthday, Ravel
14.10.2025 Kultur«Le Bois qui Chante», heisst es zum 25. Mal in Château-d’Oex. Noch bis zum 19. Oktober wird ein vielfältiges Programm mit grossartigen Künstlern präsentiert. Zum Jubiläum gibt es aber nicht nur ein besonderes Programm – es steht auch ein ...
«Le Bois qui Chante», heisst es zum 25. Mal in Château-d’Oex. Noch bis zum 19. Oktober wird ein vielfältiges Programm mit grossartigen Künstlern präsentiert. Zum Jubiläum gibt es aber nicht nur ein besonderes Programm – es steht auch ein Führungswechsel an. Die neue künstlerische Leiterin, Valentina Rebaudo, stellte am letzten Sonntagmorgen in der St. Peter’s Anglican Church in Château-d’Oex eindrücklich sich selbst, aber auch ihr musikalisches Können vor.
TINA DOSOT
Was haben Geige, Klavier, Cello und Gitarre gemeinsam? Sie alle sind Saiteninstrumente und besitzen eine Resonanzplatte aus Fichtenklangholz. Das Festival Le Bois qui Chante ehrt seit 25 Jahren die grosse Familie der Holzblasund Saiteninstrumente. Auch, weil sich einer der bekanntesten und ergiebigsten Fichtenholzwälder, der Wald von Arses, mit den schönsten Fichten der Welt in der Region befindet. Natürlich hat das Festival diesem Umstand seinen Namen zu verdanken.
25 Jahre «Singendes Holz»
Zum 25-Jahr-Jubiläum des erfolgreichen Festivals haben sich die Veranstalter nicht nur ein vielseitiges Programm für ein breites Publikum einfallen lassen. Auch ein Führungswechsel steht an. Die Sopranistin Beatrice Villiger, die lange Jahre die künstlerische Leitung hatte und das Festival mit viel Enthusiasmus und Herzlichkeit dahin führte, wo es heute ist, widmet sich in Zukunft neuen Herausforderungen. Sie hat pünktlich zum Jubiläum den Stab an die Klarinettistin Valentina Rebaudo übergeben. Die im Raum Lausanne ansässige Musikerin mit italienischen Wurzeln wünscht sich «den Ehrgeiz, Erbe und Neuheit zu verbinden» (siehe Interview auf der nächsten Seite).
Am vergangenen Sonntagmorgen gab sie eine Kostprobe von dem, was sie damit meint. Erstmals gab es ein Konzert in der St. Peter’s Anglican Church in Château-d’Oex, auf hohem Niveau aber – ganz im Sinne des Erbes, das sie antritt – in kleinem, intimem Rahmen.
150 Jahre Maurice Ravel
Als Thema für den gemütlichen und zugleich eindrücklichen Morgen hatte sie Ravels 150. Geburtstag ausgesucht. Und passend zur Ambiance wurde, abseits seiner grossen Formate, einmal der Mensch Maurice Ravel ins Licht gerückt. Valentina Rebaudo selbst «moderierte» das Konzert mit einem Einblick in das nicht ganz einfache Leben des lange unterbewerteten Komponisten, der sehr gegen Konventionen kämpfen musste, bevor er seinen berechtigten Durchbruch erfuhr. Wie viel Raffinesse und gleichzeitig Rebellion in Ravel steckte, unterstrich sie mit amüsanten und nachdenklichen Anekdoten rund um seine Person. Ein guter Einstieg in ein besonderes Konzert.
Das Herz spricht
Das Quartett «Quatuor Terpsycordes» präsentierte anschliessend Maurice Ravels einziges Streichquartett in F-Dur. Einfühlsam, ruhig und hingebungsvoll glitten die vier Streicher durch die vier Sätze. «Allegro moderato», «Ziemlich lebhaft und sehr rhythmisch (a-Moll)», «Sehr langsam (Ges-Dur)» und «Lebhaft und Ruhelos (F-Dur)». Entspannt und noch mit den treffenden Erläuterungen Valentina Rebaudos im Ohr, konnte man das ausgezeichnet vorgetragene Werk geniessen. Das Stück gehöre zu jener Kategorie von Werken, in denen der Meister sein Herz auf besonders zarte Art und Weise sprechen lasse, so Rebaudo.
Fast spanische Wurzeln
Maurice Ravels «Stück in Form einer Habanera» entstand 1907. Ravel war wie einige andere Komponisten in den Bann dieses langsamen, sinnlichen Tanzes aus Kubas Hauptstadt Havanna gezogen worden, berichtete Valentina Rebaudo. Die gleichzeitig spanisch beeinflusste Musik lag ihm wohl im Blut, stammte Ravel doch aus den Pyrenäen, aus einem Dorf unweit der spanischen Grenze.
Und überraschend – typisch für das Konzept des Festivals – schritt die taiwanesische Flötistin Yu-Hsuan Kuo langsam von hinten durch den Mittelgang der Kirche, während sie im Einklang mit der Turiner Harfenistin Letizia Belmondo spielte, die sie auf der Bühne schon erwartete. Einen romantischen, ja fast erotischen Moment hatten die beiden Ausnahme-Musikerinnen nur schon durch die Kombination ihrer Instrumente geschaffen.
Meisterwerk auf Bestellung
Zum grossen Finale präsentierten alle zusammen das «Introduction et Allegro», das Ravel für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett geschrieben hat. Das «Quatuor Terpsycordes», Letizia Belmondo, Yu-Hsuan Kuo und Valetina Rebaudo vereinten sich. Sie spielten mit viel Hingebung jenes Stück, das Ravel im Auftrag schrieb, ohne Freude daran zu haben, aber schliesslich dennoch ein kleines, feines Meisterwerk schuf.
Die renommierte Klarinettistin Valentina Rebaudo bedankte sich beim zahlreichen Publikum und zeigte abschliessend ihr eigenes Können eindrücklich. Mit den Worten «Happy Birthday, Maurice Ravel» schloss sie die gelungene Veranstaltung.
«Dieses Land hat mich mit Respekt und Vertrauen aufgenommen»
VALENTINA REBAUDO IM INTERVIEW
TINA DOSOT
Valentina Rebaudo, Sie stammen aus Italien und sind Klarinettistin. Sie haben in Frankreich, Deutschland und der Schweiz studiert. Heute sind Sie auch Professorin am Konservatorium von Lausanne und Mitglied der «Concerts du Cœur». Was hat Sie in die Schweiz geführt?
Gute Frage! Ich bin in Italien aufgewachsen, habe aber in Frankreich studiert. Ich komme aus Ventimiglia, einer italienischen Grenzstadt an der Côte d’Azur. Musikalisch bin ich also zwischen Menton, wo ich mein Studium begann, dem Fürstentum Monaco, wo ich das Glück hatte, beim Philharmonischen Orchester von Monte Carlo eine echte Ausbildung zu erhalten, und Nizza, einer Stadt, die mir sehr am Herzen liegt, aufgewachsen. In diesem – wenn ich so sagen darf – sehr französischen kulturellen Umfeld war das Conservatoire National Supérieur de Paris für mich eine absolute Referenz. Dennoch ahnte ich, dass es noch andere Horizonte gibt. Dank eines jungen Klarinettisten aus Lausanne, der nach Nizza gekommen war, um sich bei meinem Lehrer Michel Lethiec (der übrigens unser Ehrengast am Abschlusstag des diesjährigen Festivals sein wird) weiterzubilden, entdeckte ich nach und nach die Schweizer Musikwelt: zwar kleiner, aber von aussergewöhnlichem Reichtum, Vielfalt und Reiz.
Mit 22 Jahren, nach einem Jahr in Freiburg im Breisgau, wurde ich an der Haute École de Musique in Lausanne aufgenommen und wollte die Schweiz nicht mehr verlassen. Dieses Land hat mich mit Respekt und Vertrauen aufgenommen, eine Aufnahme, die ich nie vergessen werde. Hier habe ich gelernt, dass man sehr hart arbeiten muss, um sich zu beweisen: Diese Anforderung hat mir sehr gefallen, da ich im Herzen ein wenig stachanowistisch bin, und sie hat mir ermöglicht, meine Träume zu verwirklichen.
Wo leben Sie heute?
Heute fühle ich mich vollkommen erfüllt: Ich bin eingebürgerte Schweizerin, lebe in Corseaux an der Waadtländer Riviera, bin verheiratet (zufälligerweise mit einem Klarinettisten!) und Mutter von zwei Kindern im Alter von acht und drei Jahren. Das Konservatorium von Lausanne – eine Institution, die auf grundlegenden Werten wie Teilen, Respekt und Exzellenz basiert – ist zu meinem zweiten Zuhause geworden. Es ist eine wahre Freude, sowohl in künstlerischer, pädagogischer und beruflicher als auch in menschlicher Hinsicht, jeden Tag dort zu arbeiten.
Wie sind Sie zum Festival Le Bois qui Chante und nach Château-d'Oex gekommen, und welche Verbindung haben Sie zu diesem Ort?
Ich hatte das Vergnügen, mehrmals beim Festival Le Bois qui Chante in verschiedenen Formationen zu spielen. Jedes Mal war es eine sehr angenehme Erfahrung: Die Künstler werden dort mit grosser Aufmerksamkeit empfangen, das Publikum ist sowohl herzlich als auch kenntnisreich. Und die Einwohner sind einfach bezaubernd. Ich muss zugeben, dass ich die Region kaum kannte, bevor ich die künstlerische Leitung des Festivals übernommen habe. Als ich davon erfuhr, verbrachte ich sofort ein Wochenende in Châteaud'Oex, um diese friedlichen Orte und herrlichen Landschaften zu geniessen, die sich so sehr vom heissen Sand und dem Blau meines heimischen Mittelmeers unterscheiden! Die Schönheit der Region und die Freundlichkeit ihrer Einwohner haben mich sofort begeistert, und ich hoffe, dass ich auch in den kommenden Jahren eine tiefe und dauerhafte Verbindung zu ihnen aufbauen kann.
Sie sind nach Laurent Rochat und Beatrice Villiger die dritte künstlerische Leiterin des Festivals? Wie sind Sie zu dieser Position gekommen? Hat Beatrice Villiger Sie persönlich ausgewählt?
Beatrice Villiger stand zwölf Jahre lang an der Spitze des Festivals und hat es zu einem magischen Ereignis gemacht, das ein vielfältiges, neugieriges und begeistertes Publikum anzieht. Sie selbst hat mir angeboten, die künstlerische Leitung zu übernehmen, als sie sich entschloss, sich neuen Projekten zu widmen. Ich erinnere mich noch gut an die Emotionen in diesem Moment, an die Zeit, die ich brauchte, um ihr zu antworten, obwohl sie mir gesagt hatte, ich solle mir Zeit zum Nachdenken nehmen (ich brauchte etwa vier Minuten, bevor ich ein lautes Ja rief!). Und an die vielen Fragen, die ich mir stellte: Würde ich der Aufgabe gewachsen sein? Würde das Publikum meine Vision akzeptieren? Würde ich so kompetent sein wie meine Vorgängerin? Heute arbeite ich seit genau einem Jahr unermüdlich für dieses Festival: ein Jahr voller Glück!
Warum halten Sie dieses Festival für wichtig und erhaltenswert?
Sie haben die Association des Concerts du Cœur erwähnt, deren Mitglied ich bin. Es handelt sich um einen Schweizer Verein, der mit dem Kulturpreis 2023 ausgezeichnet wurde und sich dafür einsetzt, Musik in den Alltag von älteren Menschen, Krankenhauspatienten, Strafgefangenen oder Menschen in prekären Lebenssituationen zu integrieren, um ihre Isolation durch hochwertige Konzerte zu durchbrechen. Durch mein Engagement als Künstlerin in diesem Verein habe ich erkannt, wie gross das kulturelle Erbe der Schweiz ist und wie tief es in den Herzen der Menschen, in ihrem Stolz und ihrem Zugehörigkeitsgefühl verwurzelt ist. Wenn man in der Schweiz etwas unternimmt, dann macht man es richtig: Das Festival Le Bois qui Chante ist ein schönes Beispiel dafür. Dieses Festival bewahrt und vermittelt starke kulturelle, künstlerische und historische Werte. Es ermöglicht jungen Menschen, Musik zu entdecken, unterstützt lokale Geschäfte, wertet die kulturelle und historische Landschaft der Region auf und knüpft enge Beziehungen zu Schulen. Es bietet Familien gemeinsame Erlebnisse, fördert den Austausch zwischen den Generationen (insbesondere durch den Orchesterworkshop, an dem Amateurmusiker aller Altersgruppen teilnehmen) und bringt klassische Musik und lokale Folkloretraditionen auf einer Bühne zusammen. Schliesslich unterstützt es wichtige Institutionen wie das Kino und ermöglicht ihnen so, trotz der Konkurrenz durch digitale Medien und Instant-Konsum weiter zu bestehen. Was will man mehr?
Hat man Ihnen eine gute Basis hinterlassen, ist das Festival finanziell solide und profitieren Sie von der Unterstützung der Region?
Ja, dem Festival geht es hervorragend, und darüber bin ich sehr glücklich. Wir haben das Glück, von den Regionen und zahlreichen Sponsoren unterstützt zu werden, die an uns und an alles glauben, was wir mit Leidenschaft tun, und sich der enormen Wirkung bewusst sind, die diese Veranstaltung auf das Publikum, das Dorf und die gesamte Region hat.
Man bezeichnet Sie auch als Pionierin bei der Förderung von Musik als Form des gewaltfreien Widerstands. Das Programm lässt vermuten, dass Sie das Festival in Zukunft um Beiträge in dieser Richtung erweitern werden. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Das ist eine lange Geschichte! Ich war noch ein Teenager, als ich bereits davon träumte, die Welt zu bereisen, um benachteiligten Kindern zu helfen. Schon früh interessierte ich mich für den israelisch-palästinensischen Konflikt und reiste mehrmals mit konkreten pädagogischen und musikalischen Projekten in die Region. Mein Ziel war es, Kinder zu unterrichten, ihnen durch Kunst ein wenig Frieden zu schenken und gleichzeitig meiner Rolle als Künstlerin einen tieferen Sinn zu geben. Was ich in den Flüchtlingslagern im Westjordanland und im Gazastreifen erlebt habe, war erschütternd und lässt sich mit einfachen Worten nicht beschreiben.
Später, auf einer Reise nach Mexiko, in die Vororte von Guadalajara, wurde mir noch bewusster, welche Verantwortung wir für die Zukunft der jungen Menschen tragen. Ich habe verstanden, dass wir alle in unserem Rahmen für das Geschehen in der Welt verantwortlich sind und dass alles bei den Kindern beginnt. Ich bin überzeugt, dass junge Menschen überall Kunst und Bildung brauchen, um eine freie Gesellschaft aufzubauen. Wie Dostojewski sagte: «Die Schönheit wird die Welt retten.» In diesem Sinne wollte ich dieses Jahr zwei Höhepunkte in das Festival aufnehmen.
Und die wären?
Der erste findet morgen Mittwoch statt: ein Workshop zum Bau von Instrumenten aus recycelten Materialien. Im Laufe der verschiedenen Schritte (Sammeln, Entwerfen, Bauen, Spielen) erleben die Kinder in Begleitung ihrer Eltern eine spielerische und gemeinschaftliche Erfahrung, die Kreativität, ökologisches Bewusstsein und musikalische Freude verbindet.
Am selben Abend wird der für den traditionellen Kinoabend ausgewählte Dokumentarfilm das Leben in Kinshasa im Kongo thematisieren und zeigen, wie es den Einwohnern trotz der prekären Lage gelingt, mit Einfallsreichtum und Widerstandsfähigkeit die Musik am Leben zu erhalten.
Und der zweite Höhepunkt?
Das ist eine Konferenz am Sonntag, 19. Oktober, im Kino. Ich wollte einen Raum für Reflexion und Wissensvermittlung schaffen, um die Musik über die Bühne hinaus wirken zu lassen. Mein ehemaliger Lehrer Michel Lethiec, international renommierter Klarinettist und ehemaliger Direktor des Pablo-Casals-Festivals in Prades, wird über die Persönlichkeit Pablo Casals sprechen, den grossen Cellisten, aber auch leidenschaftlichen Verfechter des Friedens, der Freiheit und der Menschenrechte. Durch diese Begegnung wird dem Publikum eine ganze Vision von engagierter Kunst offenbart. Wenn diese Ansätze beim Publikum Anklang finden, möchte ich diesen Weg gerne weitergehen. Aber ich bin natürlich weiterhin offen für alle Vorschläge und Anmerkungen, die mir mitgeteilt werden. Ich freue mich schon darauf!