Einfach mal reden
24.10.2024 GesellschaftAngeregtes Reden, Lachen und die wohltuende Erkenntnis, dass es anderen ähnlich geht wie einem selber. Eine kleine Schar von Personen, die zu Hause kranke oder beeinträchtigte Familienangehörige betreuen, fand sich vergangenen Dienstag im Café «Délice» ...
Angeregtes Reden, Lachen und die wohltuende Erkenntnis, dass es anderen ähnlich geht wie einem selber. Eine kleine Schar von Personen, die zu Hause kranke oder beeinträchtigte Familienangehörige betreuen, fand sich vergangenen Dienstag im Café «Délice» in Saanen ein.
SONJA WOLF
Teils fröhliche, teils ernsthafte Gesprächsfetzen schwirren durch den Raum. Acht Personen, die ihre Liebsten zu Hause pflegen, sitzen bei Kaffee, Schöggelis und Gebäck zusammen und diskutieren fleissig. «Danke, betreuende Angehörige!» – so hiess es auf der Einladung des Kantons Bern anlässlich des interkantonalen Tages der betreuenden Angehörigen am 30. Oktober. Mit sechs «Austausch-Cafés» in verschiedenen Regionen des Kantons Bern soll in den zwei Wochen vor dem interkantonalen Gedenktag das grosse Engagement von Personen gewürdigt werden, die sich für ihre Angehörigen einsetzen. Gleichzeitig wird ihnen die Gelegenheit gegeben, sich mit Menschen in ähnlicher Situation auszutauschen, zu vernetzen sowie mit Fachpersonen ins Gespräch zu kommen.
Und Letztere waren am Dienstag in grosser Zahl vertreten. Interessiert lauschten Anita Boller von beocare – Entlastung Angehörige SRK, die Vorsteherin der Saaner Sozialbehörde Petra Schläppi, Fachleiterin Soziales Béatrice Baeriswyl, der Präsident des Seniorenrats Ueli Müller und auch Stefanie Matti von der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) des Kantons den verschiedenen Schicksalen der betreuenden Personen. Auch Gemeindepräsident Toni von Grünigen war zur Begrüssung vorbeigekommen.
Wohltuender Austausch mit anderen Betreuenden
Besonders konzentriert in die Gespräche vertieft war Eve Bino, Co-Geschäftsleiterin vom Projekt «malreden» – denn das aktive Zuhören und Teilhaben am Schicksal anderer ist nicht zuletzt auch ihr Beruf (siehe Kasten). Daher hat der Kanton Bern «malreden» vor vier Jahren mit der Organisation der Begleitaktivitäten zum Tag der betreuenden Angehörigen beauftragt. Die Caféreihe in den verschiedenen Regionen des Kantons organisiert und betreut Eve Bino und ihr Team dieses Jahr bereits zum zweiten Mal.
«Der Wunsch nach Austausch ist gross. Viele Leute haben niemanden zum Reden. Wenn man zum Beispiel den dementen Ehemann betreut, dann verbringt man extrem viel Zeit zu Hause und kann womöglich seine sozialen Kontakte ausserhalb gar nicht mehr pflegen», sagte Bino. Beim gemeinsamen Kaffee wirkte sie als behutsame Moderatorin und aufmerksame Zuhörerin. Ratschläge zu geben, sei dagegen nicht ihr Ziel, wie sie sagte. Sie berichtete aus ihrer Erfahrung bei vorhergehenden Austausch-Cafés: «Oft hilft der Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen oder auch einfach, etwas auszusprechen, was die Betroffenen sonst als Tabu empfinden würden. Einfach mal zuzugeben: ‹Jetzt geht es mir nicht mehr gut. Jetzt brauche ich Hilfe und müsste die Verantwortung abgeben.›»
Der Austausch unter Betreuenden – ein Bedürfnis im Saanenland?
Wie geht es nun weiter? Das Austausch-Café wird vielleicht nächstes Jahr wieder an anderen sechs Orten des Kantons stattfinden. Werden sich die betroffenen Betreuenden des Saanenlandes und Obersimmentals dennoch wieder treffen? Fachleiterin Soziales Béatrice Baeriswyl dazu: «Ich empfand den Austausch als sehr lebendig und gut besucht. Der Kanton hat den Anstoss gegeben und wir nehmen das Thema als Gemeinde auf und machen weiter, wenn wir sehen, dass es einem Bedürfnis entspricht.»
Und entspricht es einem Bedürfnis? Bei einer Nachfrage in die Runde der Betreuenden kamen recht differenzierte Antworten. «Ja, wir finden die Idee gut, sich auch weiterhin zu treffen», meinten zum Beispiel Rosmarie und Ernst Bach aus Saanen. Allerdings würden sich die Anwesenden mehr Zuspruch wünschen. So fragte sich Ernst Bach, wo denn die jüngeren Leute seien, die ihre pflegebedürftigen Eltern betreuen? Tatsächlich gab es an der Veranstaltung eher Eltern, die ihre beeinträchtigten Kinder betreuen. Schade fand Marianne Brunner aus Zweisimmen auch, dass in der Runde niemand aus dem Obersimmental dabei war. Oder auch niemand mit einem pflegebedürftigen Ehepartner. Sicher wäre der Austausch besser mit einer Vielzahl von verschiedenen Personen mit unterschiedlichen Betreuungssituationen. Doch das sei laut Aussage der Anwesenden wiederum gar nicht so leicht, denn für so einen Anlass müssten Aufsichtspersonen organisiert werden, die während der Abwesenheit zu Hause auf den oder die Pflegebedürftige:n aufpassten. Daher: Zu oft dürften die Treffen dann .auch nicht stattfinden.
Das Problem mit der Entlastung
Und wenn man für eine künftige allfällige Selbsthilfegruppe Entlastung für die betreuenden Teilnehmenden organisieren würde, damit die Betreuenden unbeschwert teilnehmen können?
Dazu meinte Anita Boller von beocare – Entlastung Angehörige SRK auf Anfrage: «Nichts lieber als das. Im Moment habe ich allerdings einfach zu wenige Freiwillige in der Region, die eine Entlastung für die Betreuenden leisten könnten!» Aber auch die Anfrage von Seiten der Betreuenden selbst sei teilweise spärlich: «‹Darf ich oder soll ich Hilfe annehmen?› ist eine grosse Frage hier in der Region. Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, wie viel sie eigentlich leisten», so Boller.
Tag der betreuenden Angehörigen: tinyurl. com/3b33byft Beteiligte Organisationen: www.malreden.ch, www.spitexsaane-simme.ch/Entlastung-Angehoerige. Freiwillige können sich jederzeit bei den entsprechenden Organisationen melden.
WAS IST «MALREDEN»?
«malreden» ist ein dreiteiliges Telefonangebot für ältere Menschen, die einfach mal reden möchten. Geschulte Freiwillige hören zu, nehmen Anteil und ermutigen zur Selbsthilfe. Es besteht aus einem Alltagstelefon, einem Gesprächstandem und bei Bedarf der Infovermittlung zu weiteren passenden Angeboten von Fachstellen oder Organisationen.
Initiantin ist Eve Bino, die damals noch als Physiotherapeutin tätig war. Bei ihrer Arbeit stellte sie fest, dass sie bei vielen älteren Menschen der einzige soziale Kontakt war. Der gewünschte Austausch hatte jedoch während der therapeutischen Arbeit – meist aus zeitlichen Gründen – zu wenig Platz. Später las Eve Bino in einer Zeitung einen Artikel über ein telefonisches Gesprächsangebot in Berlin, war sofort von der Einfachheit und Sinnhaftigkeit der Idee überzeugt und wollte diese Form der niederschwelligen Gespräche auch in der Schweiz ermöglichen. In Sylviane Darbellay fand sie ihre Mitstreiterin, und gemeinsam begannen sie Anfang 2019 mit dem Aufbau von malreden. 2020 erfolgte die Gründung des Trägervereins Silbernetz Schweiz und 2021 konnte der Betrieb von malreden starten. aus: www.malreden.ch
SWO