Energie von oben
21.04.2022 WirtschaftDurch den Krieg in der Ukraine wird auch in der Schweiz die Energiediskussion angefeuert: Sind wir zu abhängig von importiertem Öl und Gas? Investieren wir genügend in alternative Energiequellen? Das Saanenland jedenfalls scheint auf einem umweltfreundlichen Weg zu sein.
SONJA WOLF
Am 12. April war Energieunabhängigkeitstag in der Schweiz. Was bedeutet das? Hätte die Schweiz seit Anfang des Jahres ausschliesslich von einheimischer Energie gelebt, wäre seit letzter Woche, 13. April, Schluss damit. Dann wäre sie für den Rest des Jahres 2022 gänzlich auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Diese Rechnung stammt von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES). Denn laut SES werde ungefähr ein Viertel der benötigten Energie in der Schweiz produziert und drei Viertel würden importiert. Im europäischen Vergleich liegt die Schweiz damit nur im hinteren Mittelfeld. Andere Länder wie Estland oder Island könnten fast ein ganzes Jahr – nämlich rechnerisch bis November – aus eigenen Energiequellen bestreiten.
Auch Energieministerin Simonetta Sommaruga sind geringere Energieimporte ein Anliegen. Bereits vor der Ukraine-Krise wies sie häufiger darauf hin, dass erneuerbare Energien ausgebaut werden sollten. Seit dem Krieg nun scheint es noch naheliegender, nicht nur von einer allzu grossen Auslandsabhängigkeit – etwa bei russischem Öl und Gas –, sondern allgemein von fossilen Brennstoffen wegzukommen.
Alternative Energieformen im Saanenland gut etabliert
Wie sieht es im Saanenland mit dem Energiebewusstsein aus? Ist der Wille, erneuerbare Energien auszubauen, generell da? Und ist er seit dem Krieg stärker geworden?
«Es gibt auf jeden Fall schon seit längerer Zeit die Tendenz, vom Öl wegzukommen», beschreibt Jürg Hauswirth die Situation im Saanenland. Hauswirth kümmert sich in der Benz Hauswirth AG um Sanitär, Heizung und thermische Solarkraft. Er erinnert daran, dass es im Kanton Bern zwar noch kein Verbot von neuen Ölheizungen wie etwa im Kanton Zürich gibt, dennoch bemühen sich auch hier die Menschen um umweltfreundliche Alternativen, nicht zuletzt auch dank der attraktiven kantonalen Förderbeiträge.
Im Saanenland sieht Jürg Hauswirth eine grosse Nachfrage nach umweltfreundlichen Energiequellen wie Wärmepumpen, Holzfeuerungsanlagen oder eine Versorgung durch Fernwärme. (Diese wird zu 90 bis 95 Prozent mit Holzschnitzelfeuerung abgedeckt. Nur zur Sicherstellung des Spitzenwärmebedarfs und zur Versorgungssicherheit wird eine konventionelle Ölfeuerung eingesetzt. Anm. d. Redaktion).
Photovoltaik boomt
Auch Solarenergie wird gerne genutzt. Obwohl der Wirkungsgrad bei Solarthermieanlagen wesentlich höher ist als bei Photovoltaikanlagen, lässt sich momentan ein überproportionaler Nachfrageboom bei letzteren feststellen, informiert Roland Joss. Er ist bei der öffentlichen regionalen Energieberatung Thun Oberland-West tätig, die über 50 Gemeinden betreut und durch den Kanton Bern und drei Planungs regionen finanziert wird, eine davon die Bergregion Obersimmental-Saanenland. Joss bestätigt, dass gerade seit dem Ukraine-Krieg die Nachfrage nach Beratungsgesprächen im gesamten Einzugsgebiet stark zugenommen habe. Im Saanenland jedoch sei die Nachfrage nach Beratungsgesprächen bisher konstant, so Joss.
Dafür scheinen die Menschen im Saanenland umso öfter direkt zur Tat überzugehen. «Die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen», fasst Christoph Ogi vom Unternehmen Solar Up, das sich auf Photovoltaik spezialisiert hat, die hiesige Situation zusammen. «Den ersten zusätzlichen Schub lösten gewisse Medienberichte über eine mögliche Stromlücke im Jahr 2025 aus. Die Diskussionen über die Abhängigkeit im Energiesektor anlässlich des Ukraine-Konflikts lösten eine weitere steigende Nachfrage aus», präzisiert er. Spürbar sei auch die Zunahme von Anfragen, die Batteriespeicher einschliessen. Diese könnten mit einer Notstromfunktion im Blackoutfall die Versorgung überbrücken. Der Nachfrageanstieg sei so markant, dass die Firma momentan mit Objektbesichtigungen und Offerten im Verzug sei. Auch bei den Partnern dauere alles im Moment etwas länger als gewöhnlich. «Wir sind froh, dass unsere Kunden ein gewisses Verständnis dafür aufbringen», so der Fachmann. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage in der Solarbranche sei man auch auf der Suche nach geeignetem Montagepersonal. «Die Solarbranche ist ein typisches Umfeld für Quereinsteiger wie zum Beispiel Elektriker, Dachdecker, Spengler oder Zimmerleute», bemerkt Ogi.
Nur ein Bestandteil unserer Energieversorgung
Ein Nutzer aus Gstaad, der zwar schon längere Zeit ohne fossile Brennstoffe auskommt, sich aber gerade neu für eine Photovoltaikanlage auf dem Dach entschieden hat, erklärt: «Ich möchte umweltfreundlichen Strom produzieren und einsetzen. Zusätzlich zur PV-Anlage habe ich mich für einen Batteriespeicher entschieden, so kann ich bei einer allfälligen Überproduktion Energie speichern – zum Beispiel für einen späteren Nachtgebrauch – oder den überzähligen Strom ins Netz der BKW einspeisen. Auch möchte ich eine öffentliche Ladestation fürs Elektroauto davon betreiben.»
So vielseitig der Strom aus der Photovoltaikanlage auch einsetzbar ist, brauche es doch im Winterhalbjahr noch zusätzliche Varianten zur Energiegewinnung, gibt Berater Roland Joss zu bedenken. «Die Photovoltaik stellt nur einen Bestandteil unserer Energieversorgung dar. Gut gedämmte Gebäude und der Einsatz von Heizsystemen auf Basis erneuerbarer Energien sind wichtige Faktoren, welche zur Erreichung unserer Klimaziele beitragen», so sein Resümee.