Fachkräftemangel im Saanenland: Wo liegt der Hund begraben?
24.02.2023 WirtschaftMehr oder weniger jede Branche im Saanenland kämpft mit mangelndem Fachpersonal. Gstaad Saanenland Tourismus hat gemeinsam mit dem Gewerbe- und dem Hotelierverein eine Umfrage bei 80 einheimischen Unternehmen durchgeführt, um die Hauptgründe dieser ...
Mehr oder weniger jede Branche im Saanenland kämpft mit mangelndem Fachpersonal. Gstaad Saanenland Tourismus hat gemeinsam mit dem Gewerbe- und dem Hotelierverein eine Umfrage bei 80 einheimischen Unternehmen durchgeführt, um die Hauptgründe dieser wirtschaftlichen Problematik zu erörtern. Ein Interview mit Tourismusdirektor Flurin Riedi über die Ergebnisse und die Massnahmen.
Flurin Riedi, sind alle Stellen bei Gstaad Saanenland Tourismus (GST) besetzt?
Ja, wir hatten bisher grosses Glück. Wir müssen uns aber auch mehr anstrengen als früher. Die Arbeitnehmenden haben eine grössere Auswahl an Arbeitsstellen und in der Folge höhere Ansprüche. Der Lohn alleine ist nicht mehr ausschlaggebend, sondern es braucht mehr. Denn sie wollen eine Work-Life-Balance, und die müssen Unternehmen ermöglichen und die Region bieten können.
Gemeinsam mit dem Gewerbe- und dem Hotelierverein hat GST eine Umfrage zum Fachkräftemangel gemacht. Wie sieht das erste Fazit aus?
Unsere Annahmen wurden durch die Ergebnisse der Befragung bestätigt und darüber hinaus haben wir viele spannende und wertvolle Informationen erhalten. Nun haben wir es schwarz auf weiss: Das Problem des Fachkräftemangels ist immens und betrifft mehr oder weniger alle Branchen im Saanenland. Die Unternehmen mussten erfinderischer werden und nutzen nun Synergien, optimieren ihre Arbeitsmodelle und oftmals müssen die bestehenden Mitarbeitenden die fehlenden Stellenprozente auffangen. Künftig wird sich die Problematik bestimmt verschärfen, weshalb wir die Weichen heute stellen müssen.
80 Unternehmen haben an Ihrer Umfrage teilgenommen. Sind Sie zufrieden mit der Rücklaufquote?
Ja, es ist eine gute Zahl. Es zeigt, dass das Thema stark beschäftigt. Uns war die Menge aber nicht wichtig, sondern vielmehr die Qualität der Antworten.
Worauf gründet denn nun der Fachkräftemangel im Saanenland?
Es gibt verschiedene Faktoren, die zu dem Status geführt haben, dem wir heute begegnen. Die bedeutendsten Gründe sind zu wenige Kitaplätze und andere Betreuungsangebote, der mangelnde bezahlbare Wohnraum, schwierige Arbeitszeiten und im Vergleich mit anderen Branchen die eher niedrigeren Gehälter in der Tourismusbranche, hohe Lebenshaltungskosten und die fehlenden öffentlichen Transportmöglichkeiten während Randzeiten (siehe Grafiken und die dazugehörigen Antworten von den Befragten). Zudem müssen wir uns bewusst sein, dass von vielen, insbesondere jüngeren Arbeitskräften das fehlende Nightlife-Angebot bemängelt wird und nicht selten dazu führt, dass wir diese Fachkräfte nach einer Saison wieder verlieren.
Somit ist der Fachkräftemangel eine Kombination aus verschiedenen Faktoren?
Genau. Nehmen wir ein hypothetisches Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern möchte in die Region ziehen, weil der eine Elternteil hier eine Arbeitsstelle antritt. Da begegnet die Familie bereits der ersten Herausforderung: Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum gestaltet sich schwierig. Irgendwie schafft sie es dennoch einen Wohnsitz zu finden, der aber immer noch überdurchschnittlich viel kostet. Da der eine Elternteil keine Kaderstelle und entsprechend keinen hohen Lohn hat, will beziehungsweise muss der andere Elternteil ebenfalls einer Beschäftigung nachgehen, weil neben der Wohnungsmiete auch die Lebenshaltungskosten hoch sind. Eine Stelle ist zwar schnell gefunden, die Eltern erhalten aber keinen Kitaplatz; sie müssen andere Lösungen finden. Wegen der finanziellen Herausforderung liegt knapp ein Auto drin, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt aber der eine Elternteil nur schlecht nach Hause, da er bzw. sie im touristischen Schichtbetrieb arbeitet. Solcher und anderer Herausforderungen müssen wir uns bewusst sein und diesen müssen wir uns als Region unbedingt stellen. Das entsprechende Massnahmen von grosser Wichtigkeit sind, liegt auf der Hand.
Welche Lösungen gibt es denn?
Beispielsweise die Erhöhung der Kitaplätze: Wenn es mehr Betreuungsplätze gibt, können beide Elternteile arbeiten gehen und die Wirtschaft erhält automatisch mehr Fachkräfte. Es braucht aber auch andere Arbeitsmodelle, besonders im Tourismus. Viele sind es leid, jedes Wochenende oder an Randzeiten zu arbeiten. Sie wollen geregeltere Arbeitszeiten oder zumindest ein ausgeglichenes Schichtenmodell. Aber nicht nur die Unternehmen müssen aktiv werden, sondern auch die öffentliche Hand kann viel bewirken. Erst wenn alle zusammenarbeiten, können wir Lösungen anbieten.
Was hat Sie bei den Ergebnissen am meisten erstaunt?
Die Erwartungen der jungen Fachkräfte an unser Freizeitangebot. Als Bergler liebe ich unsere Region, denn es ist ein Paradies für Outdoor-Aktivitäten jeglicher Art. Persönlich empfinde ich das Freizeitangebot deshalb als ausgeglichen und attraktiv. Doch viele junge Arbeitskräfte sehen an dieser Stelle einen Mangel und dies ist auch legitim, denn die jüngere Generation hat andere Interessen und Prioritäten als z.B. 50-Jährige. Manche kommen aus städtischen Gebieten, in denen das Kultur- und Ausgehangebot gross und vielfältig ist. Auf diese Ansprüche und Bedürfnisse müssen wir eingehen.
Was geschieht nun nach dieser Umfrage? Werden Massnahmen getroffen?
Neben der Bestandesaufnahme war es uns mit der Umfrage ein Anliegen, allen
Akteuren jeglicher Branchen und Sparten die Probleme sowie ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten aufzuzeigen. Es ist nicht das Ziel, jemandem den schwarzen Peter zuzuschieben, sondern allen den Handlungsspielraum zu präsentieren, in dem sie sich bewegen und etwas verändern können. Und da gibt es schon einige positive Entwicklungen. Ein Beispiel ist die Ebnitmatte, auf der eine Überbauung mit bezahlbaren Wohnungen entstehen soll. Das Projekt haben Unternehmer initiiert (wir haben berichtet). Auch der Hotelierverein hat vor rund zehn Jahren eine Pionierrolle eingenommen, in dem er die Plattform yourgstaad.ch ins Leben gerufen hat. Die Fachkräfte erhalten Informationen über den Arbeitsalltag und das Leben in der Region, Stellenausschreibungen und Wohnungsanzeigen. Der Hotelierverein organisiert über diese Plattform aber auch Schulungen wie Sprachkurse und Staffpartys. Unter dem Fachpersonal entsteht ein Netzwerk. Die Politik ist ebenfalls aktiv geworden, indem sie mit «Zukunft Saanen» verschiedene Projekte ins Leben gerufen hat und sich wichtigen Themen annahm, wie der Schaffung weiterer Kita-Plätze. Das Chinderhuus Ebnit zeichnet sich dafür verantwortlich und ist an der Ausarbeitung von Konzepten dran (wir haben berichtet). Am Ende ist es wichtig, dass alle zusammenarbeiten, vom Individuum bis hin zu Unternehmen und dem Gemeinderat. Das Volkswirtschaftsgremium der Gemeinde Saanen, dem verschiedene Akteure aus Wirtschaft und Politik angehören, hat sich dies zur Aufgabe gemacht. Wir als GST sind auch involviert und arbeiten mit am Thema Standortförderung, denn sie ist ein wichtiger Schlüssel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.
Das Wort «Standortförderung» hört man oft, doch was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Die Standortförderung hat unter anderem zum Ziel, den Lebens- und Wirtschaftsraum zu stärken und bekannt zu machen. Dafür braucht es gute wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Im Sinne einer Standortpflege gilt es deshalb, diese Rahmenbedingungen zu erhalten und weiterzuentwickeln, denn dadurch steigt die Attraktivität unserer Destination nicht nur als Ferienregion, sondern auch als Arbeits- und Lebensraum. Dies ist einer der Schlüssel, um wieder genügend Fachkräfte zu finden. Dazu gehört unter anderem auch der einfache und unkomplizierte Zugang zu Informationen wie zu Betreuungs- und Wohnungsangeboten, Freizeit- und Nightlifeangeboten, Anlaufstellen für Arbeitsbewilligungen und Wohnsitzanmeldungen. Dies und viele weitere Massnahmen gehören zur Standortförderung, was wiederum ein wichtiger Bestandteil der Standortattraktivität ist. GST als DMO (Destinationsmanagementorganisation) sehe ich mit in der Pflicht, diese Aufgaben wahrzunehmen – denn ein gutes Destinationsmarketing beschäftigt sich zumindest teilweise auch immer mit dem Standortmarketing
Was möchten Sie den Arbeitnehmenden und Arbeitgeberinnen und -gebern mit auf den Weg geben?
Pauschal gibt es keine Zauberformel, damit wir den Fachkräftemangel und die damit zusammenhängenden Probleme auf einen Schlag loswerden können. Aber wenn jeder über den Gartenzaun blickt, anstatt in seinem Kämmerchen das Problem selber lösen zu wollen, kommen wir dieser Traumvorstellung näher. Wir müssen Ideen austauschen, einander gegenseitig Hilfe anbieten und gemeinsam die Region weiterentwickeln. Durch gegenseitigen Respekt und Vertrauen können wir dorthin gelangen. Am Ende ist jeder Job wichtig und es braucht jede Person, damit das öffentliche Leben und die Wirtschaft funktioniert. In diesem Winter haben wir gesehen, dass nicht alle Stellen besetzt werden konnten. Das bestehende Personal musste alles abfedern und auch die werden irgendwann müde. Und wenn wir uns nicht wappnen und etwas unternehmen, müssen wir damit rechnen, dass wir irgendwann vor einem Laden oder einem Restaurant stehen und an der Türe hängt ein Schild «Wegen Fachkräftemangel geschlossen».
BEMERKUNG ZU DEN GRAFIKEN UND BESCHREIBUNGEN:
Dies sind die Hauptgründe für den Fachkräftemangel, die sich aus der Umfrage herauskristallisiert haben. Die Beschreibungen sind eine Zusammenfassung von den meist genannten Problemen und Lösungsansätzen.
WOHNRAUM IST NICHT VORHANDEN ODER ZU TEUER
Es muss mehr bezahlbarer Wohnraum mit zweckmässiger Infrastruktur geschaffen werden, insbesondere für die Saisonarbeiter.
KEINE TRANSPORTMÖGLICHKEITEN ZU RANDZEITEN.
Bessere Möglichkeiten schaffen, damit Personen in Schichtbetrieben nach Hause kommen. Beispiele wären Nachtbusse, Mitfahrzentrale oder Taxi-Gutscheine.
FEHLENDES FREIZEITANGEBOT UND NACHTLEBEN
Der Anspruch müsste sein, ein intaktes Dorfleben zu erschaffen und dieses zu erhalten. Dabei muss an die jungen Menschen gedacht werden. Beispiele: Das Nachtleben zu bezahlbaren Preisen fördern und Ausgangsmöglichkeiten nach Mitternacht anbieten. Dabei müssen die Gastrobetriebe animiert werden, aktiv das Nachtleben mitzugestalten.
SCHWIERIGE ARBEITSZEITEN UND NIEDRIGE GEHÄLTER.
Die Arbeitszeitmodelle sollten sich ändern und attraktive Arbeitsplätze geschaffen werden. Benefits sollten den Leuten angeboten werden beispielsweise ein Ski-Abo, Taximöglichkeiten oder Sprachkurse. Zudem sollten die Aufstiegschancen aufgezeigt werden. Die Work-Life-Balance wird immer wichtiger.
LEBENSHALTUNGS-KOSTEN ZU HOCH.
Die Löhne müssten angepasst werden. Auf politischer Ebene könnte man die steuerlichen Nachteile zu anderen Kantonen ausgleichen. Auch hier fliesst das Thema von günstigem Wohnraum ein. Differenz sollte zum Ausland ausgeglichen sein, denn oft haben sie den gleichen Lohn, jedoch niedrigere Kosten. Die Gefahr der Abwanderung besteht, der Fachkräftemangel nimmt zu.
KITAANGEBOT ZU KLEIN ODER FEHLT.
Das Angebot sollte auf Randzeiten und Mehrsprachigkeit erweitert werden und kostengünstig sein.