Für «Gute Dienste» ist es nie zu spät
25.04.2025 KolumneAm 19. und 20. November 1985 fand in Genf eine spektakuläre Gipfelkonferenz statt. Es trafen sich ein Kapitalist und ein Kommunist, nämlich der amerikanische Präsident Ronald Reagan aus Washington und der UdSSR-Generalsekretär Michail Gorbatschow aus Moskau. Ziel des Treffens ...
Am 19. und 20. November 1985 fand in Genf eine spektakuläre Gipfelkonferenz statt. Es trafen sich ein Kapitalist und ein Kommunist, nämlich der amerikanische Präsident Ronald Reagan aus Washington und der UdSSR-Generalsekretär Michail Gorbatschow aus Moskau. Ziel des Treffens waren Gespräche über die Reduktion von Atomwaffen und über eine Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion. Die beiden Gesprächspartner waren die Hauptkontrahenten im Kalten Krieg. Empfangen wurden sie von Kurt Furgler, dem schweizerischen Bundespräsidenten.
Die Konferenz führte indessen keineswegs zum Ende des Kalten Kriegs. Aber sie war zweifellos ein wichtiger Schritt in Richtung Entspannung und Abrüstung. Allein die Tatsache, dass Reagan und Gorbatschow einander überhaupt an einem Tisch in der Schweiz gegenübersassen – sowie miteinander und nicht gegeneinander sprachen –, das war schon ein starker Hoffnungsschimmer. Der Anfang vom wirklichen Ende des Kalten Krieges kam jedoch erst Jahre später, nicht zuletzt dank der Reformen Gorbatschows und 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer.
Als Bundespräsident traf sich auch Adolf Ogi im Jahr 2000 mit Michail Gorbatschow. «Er war ganz anders als Putin», wird Ogi später dem «Blick-TV» anvertrauen. Liebenswürdig, aufmerksam, fast etwas demütig sei er gewesen, jedoch auch spürbar neugierig zu wissen, wie es der kleinen Schweiz gehe. «Das hat ihn vor allem interessiert: Wie wir in Frieden und Freiheit seit 1848 leben.» Und weiter: «Was mich am meisten beeindruckt hatte: Es war Gorbatschow, der Millionen von Menschen Frieden und Freiheit brachte.»
Seit dem Ende des Kalten Kriegs ist manches anders geworden. Denn dieser war, historisch betrachtet, nicht viel mehr als eine Pause zwischen dem letzten und dem nächsten Krieg. Einer der nächsten aber war und ist heute noch der russisch-ukrainische Krieg, welcher am 20. Februar 2014 begonnen hat. Dieser Krieg hat bis Ende März 2025 vermutlich beinahe 13’000 Menschen das Leben gekostet. Man ist noch nicht einmal in der Lage, die annähernd genaue Zahl der Todesopfer festzustellen. Es sterben jeden Tag Menschen, Kinder, Mütter und Väter. Wann, wenn nicht ganz bald, sollte es endlich der dafür prädestinierten Schweiz gelingen, mit ihren «Guten Diensten» mitzuhelfen, diesem Kriegstreiben ein Ende zu setzen?
Das ist keine rhetorische Frage. Denn die «hochrangige Konferenz um Frieden in der Ukraine» auf dem Bürgenstock vom 14. und 15. Juni 2024 hat denselben trotz gut gemeinter und perfekter Organisation jedenfalls noch nicht gebracht. Umso mehr muss etwas getan werden.
Im ABC der Diplomatie (herausgegeben vom Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA) lesen wir über den Begriff «Gute Dienste»: «Sammelbegriff für die Bemühungen einer Drittpartei (Staat, internationale Organisation usw.) zur friedlichen Beilegung eines Konflikts zwischen zwei oder mehreren Staaten. Die Guten Dienste sollen einen Dialog zwischen den Konfliktparteien zustande bringen.
Gute Dienste reichen von eher technischer oder organisatorischer Unterstützung (zum Beispiel Bereitstellen eines Konferenzorts) über Vermittlungsdienste (Fazilitation und Vermittlung) bis hin zur Teilnahme an internationalen Friedensoperationen. Auch die Übernahme eines Mandats als Schutzmacht gehört zu den Guten Diensten.»
Gerade auch in der aktuell aussergewöhnlich schwierigen Situation im Ukrainekrieg sollte der Bundesrat unbedingt mit seinen «Guten Diensten, aktiv weiterfahren. Nicht nur Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin werden ihm dankbar sein. Auch Millionen von Menschen, die sonst langsam, aber sicher alle Hoffnung verlieren.
OSWALD SIGG
JOURNALIST, EHEMALIGER BUNDESRATSSPRECHER oswaldsigg144@gmail.com