Gemeindewahlen 2024: «Mit der Mistgabel nach Bern»
18.10.2024 Saanen15 Gemeinderatskandidatinnen und -kandidaten sowie drei Anwärter:innen auf das Gemeindepräsidium stellten sich den Fragen von Moderator Frank Müller. Das Wahlpodium für die Gemeinderatswahlen war spannend, gut besucht und unterhaltsam.
KEREM S. MAURER
Gesundheitswesen, Schulstrategie, Ausgehmöglichkeiten für die Jugend, Wohnungsnot, öffentlicher Verkehr, Kinderbetreuung, erneuerbare Energie, Tourismus, Landwirtschaft, kantonaler Finanzausgleich, Gastarbeiter und Fachkräftemangel, lokale Wirtschaft, Biodiversität, Sicherheit der Bevölkerung, Klimawandel, die Boutiquen in der Promenade, Lebensqualität im Saanenland, Familienförderung und die grossen, anstehenden Bauprojekte: Es gab kaum ein aktuelles Thema, welches Moderator Frank Müller, CEO, Inhaber und Verleger bei Müller Medien AG, in seinen Fragen an die Kandidierenden nicht angesprochen hat. Die einen Kandidaten antworteten kurz und stichhaltig, andere eher ausschweifend, ohne zwingend mehr gesagt zu haben. Dasselbe gilt auch für die Podiumsdiskussion mit den Anwärter:innen auf das Gemeindepräsidium, die im Anschluss stattfand.
Der grosse Saal im Saaner Landhaus war sehr gut gefüllt. Insgesamt war es ein informativer, kurzweiliger und unterhaltsamer Abend. Organisiert wurde das Wahlpodium von den vier grossen Parteien GLP, FDP, SP und SVP sowie vom parteilosen Martin Göppert.
Für den Ausbau von Photovoltaikanlagen
Nach dem Scheitern von SolSarine war die erneuerbare Energie ein grosses Thema, schliesslich sollen laut dem Saaner Energierichtplan 2030 ganze 80 Prozent des Stromverbrauchs durch Photovoltaik oder andere erneuerbaren Energien abgedeckt werden. Philipp Marmet (GLP) findet, die Gemeinde sollte Hauseigentümer bei der Installation von PV-Anlagen unterstützen, will dies aber nicht im Gesetz verankert haben. Auch Martin Hefti (SVP) könnte sich Fördergelder von der Gemeinde vorstellen und will Solaranlagen auf vorhandenen Dächern fördern.
Wohnungsnot als Thema allgegenwärtig
Patricia Matti (SVP) reagierte auf Kritik, wonach nicht alle Baugesuche gleich behandelt würden und will sich für eine bedingungslose Gleichbehandlung einsetzen. Und sie wies darauf hin, dass die Wohnungsnot teilweise hausgemacht sei. Einheimische müssten sich überlegen, ob sie ihre Grundstücke wirklich verkaufen müssen/wollen oder ob es andere Lösungen gäbe. René Schopfer (FDP) will diesbezüglich die Projekte Ebnitmatte, Alpenblick und Walischi vorantreiben, falls er gewählt wird.
Auf die Frage, welches die wichtigsten Infrastrukturen seien, in welche die Gemeinde investieren sollte, meinte Simon Moratti (FDP), dass es an der Zeit wäre, alle bisher aufgegleisten Projekte wie Concert Hall, Eisbahnareal, Unter Gstaad, die Schulhäuser und die Wohnungsnot zu Ende zu bringen. Apropos Schulhäuser: Robin Romang (GLP) kritisierte, dass in den letzten vierzig Jahren kaum in Schulanlagen investiert worden sei.
«Schön, wenn man für Touristen investiert, doch bei den Schulen wäre es essenziell», sagte sie, schliesslich wären die Kinder unsere Zukunft. Zudem würden neue, schöne, moderne Schulhäuser Lehrer:innen anziehen. Stichwort Lehrermangel.
Hilfe für Jugendangebote
Freizeitangebote für die Jungen seien rar, aber es gebe sie, sagte Petra Schläppi (SVP). Um die Situation zu verbessern, sei eine Nightlife-Gruppe ins Leben gerufen worden, welche sich zweimal jährlich treffe. Daraus sei beispielsweise das Fête de la Musique Gstaad entstanden. Zudem sei eben das neue Pub im Saanerhof eröffnet worden. Dieses Angebot müsse jetzt genutzt werden, damit es auf längere Sicht bestehe, so Schläppi.
Elio von Grünigen (FDP) fand es «cool», dass sich Leute in seinem Alter oder jünger organisieren, um Angebote für Jugendliche zu schaffen. Er sieht es als Aufgabe der Gemeinde, für solche Innovationen ideale Rahmenbedingungen zu schaffen und den Veranstaltern, sollte es finanziell kritisch werden, – vielleicht mit einem Fonds – unter die Arme zu greifen. Er ist überzeugt, dass es auf diese Weise mehr kreative Projekte gäbe.
In Grundversorgung investieren
Petra Schläppi (SVP) will mit Sarinamed eine gute Grundversorgung erreichen und in Zusammenarbeit mit der GIH (Gstaad International Healthcare) weitere Möglichkeiten prüfen, die auf dem Spitalareal möglich sind. Sie betonte, dass die GIH nicht nur für die Reichen etwas machen wolle, sondern für alle.
Auf die Frage, ob die Gemeinde Saanen bei einer allfälligen erneuten Anfrage das Spital in Zweisimmen mit einem jährlich Beitrag unterstützen soll, meinte Sigi Feller (FDP), er würde diesen Beitrag lieber in eine gute Grundversorgung stecken, als nach Zweisimmen zu schicken, wo man Gefahr laufe, dass das Spital in Kürze schon nicht mehr stehe.
Schliesslich sprächen Experten schweizweit von eher weniger Spitälern als von mehr.
Innovationen von der Landwirtschaft
Thomas Frei (FDP) findet es toll, wie die Landwirtschaft in Saanen gelebt werde und verwies auf die Gstaad Züglete. Ihm würde es sehr gefallen, wenn von Seiten der Landwirtschaft künftig «ein Acker voller Innovationen» käme. So sei er überzeugt, dass es viele Hotels gebe, die sich über Gemüseanbau in der Region freuten und dieses abnehmen würden.
Für Klaus Romang (SVP) wäre es nicht schlecht, wenn die Landwirtschaft eine lautere Stimme hätte. Wenn Bauern in einer Sache ein anderes Vorgehen wünschten, sei es wichtig, dass sie gehört würden, sagte er. Romang hofft, dass die Landwirtschaftliche Vereinigung künftig eine gleichwertige Stimme habe, wie der Hotelierverein oder der Gewerbeverein.
Sicherheit und ÖV
Polizist Fabian Blum (GLP) wurde zum Thema Sicherheit befragt. Er belegte anhand von Beispielen, dass das Saanenland in Sachen Einbrüchen weit unter dem kantonalen Durchschnitt liege und bezeichnete die Region als «sehr sicher». Hinsichtlich Überwachungskameras auf der Promenade mahnte er zu Umsicht und fragte, wie man vorgehen wolle, wenn ein Jugendlicher an einen Laternenpfahl pinkle, ein Graffiti darauf spraye und im Nachgang beispielsweise die AAS Security wissen wolle, wer das war. Andererseits, so Blum, sei es natürlich wesentlich einfacher, Täter schwerer Straftaten zu ermitteln, wenn es Kameras habe.
Der öffentliche Verkehr sei sehr wichtig und müsse gut funktionieren, fand Martin Kurmann (GLP). Es gebe aber noch verbesserungswürdige Kleinigkeiten. Vor allem brauche es eine Lösung, dass nicht alle Jahre darüber diskutiert werde, wer wie viel bezahlen und wer gratis fahren dürfe. Es brauche gute Angebote. Ihm sei aufgefallen, dass insbesondere die Postautos nicht ausgelastet seien, was seiner Meinung nach an den teilweise etwas unfreundlicheren Chauffeuren liege. Diesem Umstand würde er, sollte er gewählt werden, mit Gesprächen entgegenwirken.
Gemeindeversammlung oder Urnenabstimmung?
Am Anschluss an die Fragerunde trafen sich die drei Anwärter:innen für das Gemeindepräsidium – Petra Schläppi (SVP), David Schmid (FDP) und Martin Göppert (parteilos) – zum Podiumsgespräch. Angesprochen wurden neben zahlreichen anderen Punkten auch neue Arten der Gemeindeversammlung. Denn – die Coronakrise hats gezeigt – die Stimmbeteiligung ist wesentlich höher, wenn nicht an einer öffentlichen Versammlung abgestimmt wird. Auch Mütter, Kranke oder Ferienabwesende können nicht an einer Gemeindeversammlung teilnehmen. David Schmid räumte ein, dass tatsächlich jeweils nur eine Handvoll Stimmberechtigte über Millionenbeträge abstimmten. «Da müsste man einmal über die Bücher und sich überlegen, was für andere Modelle es gibt», sagte er. Für Petra Schläppi wäre es passend, wenn man kleinere Geschäfte nach wie vor an einer Gemeindeversammlung abhandeln würde, grössere dagegen sollten an der Urne entschieden werden. Sie sprach sich für einen Mittelweg aus. Martin Göppert erzählte in diesem Zusammenhang von der Infoveranstaltung der Grubenstrassen-Barrieren und fragte, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn der Gemeinderat über Angelegenheiten im Rahmen bis 300’000 Franken alleine bestimmen könnte.
Gemeindefusion mit Zweisimmen?
Bei der Frage, ob eine Gemeindefusion zwischen Saanen, Gsteig, Lauenen und Zweisimmen ein in Zukunft gangbarer Weg wäre, weil grundsätzlich alle Gemeinden mit den gleichen Problemen kämpften und sich so die Kräfte besser bündeln liessen, gingen die Meinungen auseinander. Während sich Martin Göppert eine Fusion vorstellen könnte, meinte David Schmid, dass diese Initiative wenn schon von Saanen als finanzkräftige Gemeinde ausgehen sollte. Ob die anderen Gemeinden Saanens ausgestreckte Hand ergreifen wollen oder nicht, müsste ihnen überlassen bleiben. Für Petra Schläppi ist eine Fusion eher undenkbar. Sie habe es im sozialen Bereich oft mit allen sieben Gemeinden der Region Obersimmental-Saanenland zu tun und da treffe man auf ganz unterschiedliche Kulturen, warf sie ein. Sie würde zwar helfen, eine Fusion aufzugleisen, aber diese umsetzen wolle sie nicht.
Muss man sich in Bern mehr zur Wehr setzen?
Man höre des Öfteren, dass man sich in Bern mehr zur Wehr setzen müsse, insbesondere wenn es um die amtlichen Werte oder um Geld gehe, sagte Frank Müller und fragte, ob man sich in Bern wirklich mehr zur Wehr setzen müsse. Martin Göppert fand, man müsse sich sehr stark wehren und er würde, sollte er gewählt werden, den Hebel an den richtigen Orten ansetzen, um etwas zu erreichen. Und auch Petra Schläppi ist dafür, dass man sich in Bern stärker wehrt. Man hätte hier viele Zentrumsangelegenheiten, wofür Bern jedoch sämtliche Zahlungen ablehne. «Ich hab schon gedacht, man sollte vielleicht einmal mit der Mistgabel nach Bern fahren, um uns da stark zu machen. Auch wenn es nicht viel nützt!», sagte sie. David Schmid unterstützte diese Tonart. Auch er habe das Gefühl, dass immer nur nicken nichts bringe. «Man muss auch mal eine Ansage machen.»
Es wurden noch viele andere Fragen beantwortet. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.





























