Gemeinsam für bezahlbare Wohnungen

  24.10.2022 Gstaad

Eine moderne, zentral gelegene Dreizimmerwohnung in Gstaad zu moderatem Mietpreis, der langfristig sogar stabil bleibt... eine Utopie? Nein, es handelt sich um den sogenannten gemeinnützigen Wohnungsbau, den drei findige Köpfe gerne im Saanenland etablieren möchten. Der «Anzeiger von Saanen» hat sich mit ihnen zum Gespräch getroffen.

SONJA WOLF
«Gemeinnütziger Wohnungsbau ist im Prinzip nichts Neues. In den Schweizer Städten sind mehr als 10 Prozent der Wohngebäude gemeinnützig, in Zürich sogar mehr als 20 Prozent», informiert Architekt Hanspeter Reichenbach. Vor vielen Jahren hat er selbst in gemeinnützigen Wohnhäusern in Winterthur und Zürich gewohnt und weiss, wovon er spricht. Und warum sollte das Konzept nicht auch auf dem Land erfolgreich sein? 60 Wohnungen in fünf neuen Wohnhäusern auf der Ebnitmatte sollen es werden. Beste Lage in Bezug auf Arbeitsstätten, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen – und vor allem: bezahlbar.

Doch von vorne: Hanspeter Reichenbach hörte – so wie viele andere Unternehmer – immer wieder die Klage: «Wir haben zu wenige Fachkräfte hier in der Region!» Und in der Tat: Einheimische, gut ausgebildete junge Fachkräfte kehren der Bergregion den Rücken, um in städtische Gebiete zu ziehen. Und auswärtige Fachkräfte kommen erst gar nicht hierher oder bleiben nur für eine begrenzte Zeit. Laut der Studie «Wohnraumproblematik in der Gemeinde Saanen»1 gaben 46 Prozent der hiesigen Unternehmen an, dass sie schon mindestens einmal offene Stellen nicht mit Fachkräften besetzen konnten, weil bezahlbarer Wohnraum für deren Ansiedlung fehlte.

Kein Profit aus Mieteinnahmen
«Und dann war da dieser Vortrag zum Thema ‹Gemeinnütziger Wohnungsbau›, der im Rahmen des Gemeindeprojekts ‹Zukunft Saanen› stattfand», berichtet der Architekt. Wohnungen zu Mietpreisen, die sich ausschliesslich an den Kosten orientieren – ganz ohne Profit (siehe Kasten «Gemeinnütziger Wohnungsbau»). Das sollte doch auch im Saanenland möglich sein! Schnell hatte er ähnlich gesinnte Mitstreiter an Bord – Bauunternehmer Claudio Thoenen und Elektrounternehmer Louis Lanz –, welche mit ihm zusammen die Idee weiterentwickelten.

1) Joe Bürki, impulse communication gmbh: Wohnraumproblematik in der Gemeinde Saanen, Schönried, Dezember 2021. www.saanen.ch/de/aktuelles/aktuellesinformationen/ (Eintrag vom 21. Oktober). Die Studie wurde von der Projektgruppe «Wohnraumproblematik im Saanenland» in Auftrag gegeben, welche im Rahmen des Projektes «Zukunft Saanen» gegründet worden war.

Der unabhängige Berater Daniel Blumer vom Kompetenzzentrum Gemeinnütziger Wohnungsbau wurde von da ab der unabdingbare Begleiter der drei Initianten, der ihnen mit Rat und Tat zur Seite stand. Und ihnen als gemeinnützigen Bauträger die Gründung einer Unternehmergenossenschaft empfahl.

Offen für alle
Warum eine Unternehmergenossenschaft? «In einer einfachen Wohnbaugenossenschaft würden die interessierten Mieter selbst Anteilsscheine kaufen und damit ihr Eigenkapital in die Genossenschaft einbringen», erklärt Reichenbach. Nicht so in einer Unternehmergenossenschaft. «Im Moment suchen wir Firmen und Privatpersonen, die in das Projekt investieren möchten», fasst Claudio Thoenen den aktuellen Stand zusammen. «Je mehr Unternehmen sich an der Genossenschaft beteiligen, desto besser natürlich.» Denn für das Grossprojekt auf der Ebnitmatte ist ein Eigenkapitalanteil von rund 3,6 Millionen nötig. Der Rest der insgesamt knapp 34 Millionen Anlagekosten muss durch Fremdfinanzierung sichergestellt werden.

Der Vorteil für die Mieter, die später in die 60 Wohnungen einziehen: Sie selbst müssen nicht Genossenschafter werden. Sie bezahlen lediglich ihre monatliche Miete, die zudem nicht profitorientiert sein wird. Das heisst, die Mieteinnahmen werden schlicht und einfach dazu verwendet, das Darlehen der Investoren abzubezahlen, einen Erneuerungsfonds aufzubauen, die laufenden Kosten und die Verwaltung zu decken. Sie fliessen also vollumfänglich wieder in das Gebäude zurück. «Da mit den Jahren die Hypothek auf den Gebäudekomplex allmählich getilgt wird, also der Fremdanteil sinkt und der Eigenanteil steigt, kann längerfristig der Mietzins stabil gehalten werden», betont Thoenen.

Gemeinnützig und doch auch eigennützig
Da stellt sich natürlich die Frage, warum Unternehmer in das Projekt investieren sollten, da sie doch keinen Gewinn aus den Mieten haben. Louis Lanz erklärt: «Es gibt eine bescheidene Verzinsung des investierten Eigenkapitals.» Der entscheidende Faktor sei aber eher ein anderer: «Die Unternehmer müssten von einem Interesse an einer langfristigen positiven Entwicklung der Region geführt werden – gegen die Entvölkerung der Berggebiete!»

Und Claudio Thoenen ergänzt: «Schlussendlich kommt die Investition uns allen zugute: Wenn wir mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen für Personen, die sich hier niederlassen, respektive für Einheimische, die wir hier halten können, dann bedeutet das automatisch: mehr Arbeitskräfte für uns Unternehmer, mehr Kinder, die unsere Schulen füllen, mehr Familien, die unsere Dörfer beleben. Insofern ist die Investition nicht nur gemeinnützig, sondern auch eigennützig.»

Wohlwollende Unterstützung durch die Gemeinde
Auch für die Gemeinde Saanen hat sowohl die Wohnraumproblematik als auch die Familienpolitik einen hohen Stellenwert. Daher steht sie dem gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaftsprojekt wohlwollend gegenüber. Sie selbst wollte nach Abschluss der Projektgruppe «Wohnraumproblematik im Saanenland» als nächsten Schritt in den entsprechenden Kommissionen weiterarbeiten, um Lösungen für die Erkenntnisse aus der Wohnraumstudie zu finden, gibt Gemeinderat Martin Hefti Einblick. «Wir sind nun aber froh, dass der Impuls zur Verbesserung der Wohnsituation aus der Bevölkerung selbst kommt.» Hefti, der als Vertreter der Gemeinde die Planungsgruppe eng begleitet, hofft, dass Private und das Gewerbe das Projekt im Interesse aller möglichst breit unterstützen. Das gemeindeeigene Grundstück auf der Ebnitmatte soll der Genossenschaft «zu günstigen Konditionen» überlassen werden, so Hefti, damit die Mietzinsen niedrig bleiben und dadurch eine noch breitere Mieterschaft in der Gemeinde angesprochen werden kann.
Vom 27. bis 30. Oktober kann das Wohnprojekt an einem Infostand an der Gstaader Messe eingesehen werden. Am Samstag, 29. Oktober um 19 Uhr stellt es Daniel Blumer am Speakers’ Corner der Gstaader Messe vor.


GEMEINNÜTZIGER WOHNUNGSBAU

«Der gemeinnützige Wohnungsbau spielt eine wichtige Rolle für die Wohnungsversorgung mit Mietwohnungen. Diese kommen einer breiten Bevölkerungsschicht zu, die insbesondere in überhitzten Bodenmärkten wenig Chancen auf eine ihrem Einkommen angemessene Wohnung haben. Die gemeinnützigen Bauträger – Wohnbaugenossenschaften, Stiftungen, Vereine etc. – orientieren sich an der Kostenmiete und wirtschaften ohne Gewinnabsichten. Ihre Wohnungen sind dank Kostenmiete langfristig preisgünstig.»

Die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus ist als Verfassungsauftrag ein Ziel der Wohnungspolitik. Es handelt sich dabei nicht um subventionierten (bzw. sozialen) Wohnungsbau.

Quellen: Bundesamt für Wohnungswesen (Bwo), Wohnbaugenossenschaften Schweiz, Daniel Blumer, Kompetenzzentrum, gemeinnütziger Wohnungsbau


ZWEITER VERSUCH FÜR DIE EBNITMATTE

Auch die Gemeinde Saanen hatte bereits den Versuch unternommen, auf der Ebnitmatte bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das Projekt wurde allerdings von der Gemeindeversammlung im Januar 2015 abgelehnt. Damals herrschte die Meinung vor, dass es durch die Annahme der Zweitwohnungsinitiative genügend Erstwohnungen gebe. Der Souverän befand, die Gemeinde solle private Investoren nicht zusätzlich konkurrenzieren.

Nun stellt sich die Situation allerdings anders dar, Erstwohnungen werden dringend gebraucht. Ausserdem geht es beim aktuellen Projekt um Vermietung an definierte Bevölkerungsteile; ein gewinnorientierter Weiterverkauf ist nicht möglich.

SONJA WOLF


Vier Fragen an Daniel Blumer

Daniel Blumer ist Geschäftsführer und unabhängiger Berater beim Kompetenzzentrum Gemeinnütziger Wohnungsbau.

INTERVIEW: SONJA WOLF

Um wie viel günstiger werden die gemeinnützigen Genossenschaftswohnungen im Verhältnis zu vergleichbaren normalen Objekten in Gstaad sein?
Schweizweit sind Genossenschaftswohnungen im Schnitt um 15 Prozent günstiger. Die Wohnungen im Berggebiet werden tendenziell aber aufgrund des vorgegebenen Landbaustils nicht so viel günstiger sein. Denn man kann hier beispielsweise nicht wie in der Stadt ein mehrgeschossiges Haus mit 60 Wohneinheiten und Flachdach hochziehen.

Können Vorgaben gemacht werden, wer einziehen darf und wer nicht?
Ja, in den Statuten können Vermietungsrichtlinien festgelegt werden. In die Genossenschaftsgebäude an der Ebnitmatte sollen gemäss dieser Richtlinien Einwohner:innen und Arbeitnehmende der Gemeinde Saanen bevorzugt werden, die also hier Steuern zahlen. Auch sollen die Wohnungen angemessen belegt werden. Bei der Vergabe wird also darauf geachtet, dass maximal ein Zimmer mehr als dauernd anwesende Personen vorhanden ist.

Werden die drei Initianten der Idee das Projekt als Unternehmer auch realisieren?
Die Initianten sind nicht von Vorneherein als Ausführende gesetzt. Der Vorstand der zu gründenden Genossenschaft wird spezielle Vergaberichtlinien im Sinne der Genossenschaft ausarbeiten. Dabei werden insbesondere regionale Unternehmer und natürlich auch die künftigen Genossenschafter zur Offertstellung eingeladen. Das beste und gleichzeitig günstigste Angebot bekommt jeweils den Zuschlag. Denn gemäss BWO liegt die zulässige Anlagenkostenlimite für dieses Projekt bei knapp 34 Millionen. Nur wenn diese Limite unterschritten wird, ist eine auf gemeinnützige Wohnbauträger ausgerichtete Bundesförderung möglich.

Können die künftigen teilhabenden Unternehmer ihre Anteile an der Genossenschaft auch wieder verkaufen?
Auf dem freien Markt: nein. Sie können die Anteilsscheine allerdings an die Genossenschaft zurückgeben.

 


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