Genossenschaft statt Spital STS AG
05.09.2025 GesundheitswesenIn einem offenen Brief an den Regierungsrat sowie an Volksvertreter:innen der Region Obersimmental-Saanenland reagieren «engagierte Bürgerinnen» auf die ablehnende Antwort des Regierungsrates auf die Petition «Chirurgie erhalten – Spital Zweisimmen retten!» ...
In einem offenen Brief an den Regierungsrat sowie an Volksvertreter:innen der Region Obersimmental-Saanenland reagieren «engagierte Bürgerinnen» auf die ablehnende Antwort des Regierungsrates auf die Petition «Chirurgie erhalten – Spital Zweisimmen retten!»
Am 15. August 2025 publizierte der Regierungsrat des Kantons Bern seine ablehnende Antwort auf die Petition «Chirurgie erhalten – Spital Zweisimmen retten!» Laut dem Regierungsrat liegt es im Ermessensspielraum der Verwaltungsräte der Spital STS AG zu entscheiden, welche Leistungen an welchen Standorten angeboten werden. Dabei stützt er sich auf die vom Gesetzgeber gewollte «unternehmerische Freiheit der Spitäler». Diese seien in der Region verankert und kennten aufgrund der in ihren Verwaltungsräten sitzenden regionalen Vertreter:innen die lokalen Begebenheiten besser als der Kanton. So kam der Regierungsrat zum Schluss, der Petition keine Folge zu leisten und den Leistungsauftrag der Spital STS AG für den Spitalstandort Zweisimmen anzupassen.
Nicht zufriedenstellende Antwort
Mit dieser Antwort des Regierungsrates wollen sich drei «engagierte Bürgerinnen», wie sich Marianne Herbst aus Oberwil, Rosmarie Willener aus Zweisimmen und Fränzi Kuhnen aus St. Stephan, selbst bezeichnen, nicht zufrieden geben. «So wie das klingt, verlässt sich der Regierungsrat auf die Führung der Spitalunternehmen und hat selbst nicht den nötigen Überblick über die Situation. Dies wäre im Idealfall akzeptabel. Tatsache ist aber, dass die regionale Vertretung im Verwaltungsrat der STS AG ihre Aufgabe nicht zu erfüllen scheint», schreiben sie und sind der Ansicht, dass Thomas Straubhaar, VR-Präsident, und David Roten, CEO der STS AG, und jetzt auch die Antwort des Regierungsrates suggerierten, dass die Einstellung des Operationsbetriebes in Zweisimmen per 30. September 2025 «als einzigen Wermutstropfen» kein Problem darstelle. Wäre das so, sei die angekündigte Stärkung der 24/7-Notfallversorgung zu hinterfragen, denn: «Wie sollen Notfälle verantwortungsvoll versorgt werden, wenn je nach Fall notwendige Strukturen wie Operationssaal und Anästhesie fehlen und für die chirurgische Grundversorgung keine Fachärzte vor Ort sind?»
Planung einer Genossenschaft
Die drei genannten Bürgerinnen planen die Gründung einer Genossenschaft, um die regionale Gesundheitsversorgung zu koordinieren und zu organisieren, da sie die Spital STS AG nicht als «geeignete Institution für diese Aufgabe» ansehen. «Wir organisieren uns mit Menschen aus dem Gesundheitsbereich, dem Gewerbe, dem Tourismus, der Politik und weiteren Interessierten, welche ihr Wissen und ihre Zeit für eine verantwortungsvolle Gesundheitsversorgung in unserer Region einsetzen möchten», heisst es im Schreiben der engagierten Bürgerinnen, und: «Wir suchen einen gemeinsamen Nenner, definieren und analysieren, was nötig, sinnvoll und möglich ist. Es kann ja nicht sein, dass viel Geld und persönliche Ressourcen in Wirtschaft, Tourismus und Kultur investiert werden und die Gesundheitsversorgung als Lebensader für alles andere vernachlässigt wird.»
PD/KMA
EINIGE FRAGEN AUS DEM OFFENEN BRIEF VON MARIANNE HERBST AN DIE GESUNDHEITS-, SOZIAL- UND INTEGRATIONSDIREK TION DES K ANTONS BERN (GSI) UND DIE SPITAL STS AG
Als unabhängige Patientenberaterin mit langjähriger Erfahrung im Gesundheitswesen und enger Verbindung zur Region fühlt sich Marianne Herbst verpflichtet, dringliche Fragen öffentlich zu stellen. Sie weist darauf hin, dass diese Fragen «keiner polemischen Haltung, sondern einer tiefen persönlichen und regionalen Betroffenheit» entspringen.
1. Wer übernimmt im Notfall die ärztliche Verantwortung?
2. Telemedizin als Ersatz – ist das ausreichend?
3. Eingriffe ohne Facharzt – zulässig?
4. Wie wird im Rahmen von Ausbildung und Qualitätssicherung die fachgerechte Ausbildung ohne Fachärzte vor Ort gewährleistet?
5. Wie wird in Sachen Lehrauftrag, Weiterbildung und Infrastruktur sichergestellt, dass die notwendige medizinische Infrastruktur (Geräte, OP, Notfall, Anästhesie etc.) vor Ort vorhanden ist, um Ausbildung und Patientenversorgung auf qualitativ hohem Niveau zu ermöglichen?
6. Die Facharztweiterbildung Chirurgie umfasst sechs Jahre: u.a. 45 – 69 Monate klinische Chirurgie inkl. Notfallstation, drei bis sechs Monate Anästhesie/Intensivmedizin, durchgehend mit Supervision in anerkannten Weiterbildungsstätten. Wie wollen Sie diese Anforderungen am Standort Zweisimmen kompatibel halten, wenn die chirurgische Basisstruktur ab Oktober 2025 wegfällt?
7. Wie werden beispielsweise in der Akutversorgung mit fehlender Fachschaft Anästhesie und fehlendem OP künftig Patienten mit schweren Schmerzzuständen und bei kritischen sowie lebensbedrohlichen Zuständen ohne Anästhesie versorgt, die eine Überwachung und Unterstützung der lebenswichtigen Funktionen erfordern?
8. Wie werden in Sachen Evakuation und Transportinfrastruktur Transfers beispielsweise bei winterlichen Verhältnissen oder Strassensperrungen sichergestellt?
AUSZUG AUS DEM OFFENEN BRIEF DER DREI ENGAGIERTEN BÜRGERINNEN AN DEN REGIERUNGSRAT DES K ANTONS BERN UND DIE VOLKSVERTRETER DER REGION SIMMENTAL-SA ANENL AND, ALS REAK TION AUF DIE ANT WORT DES REGIERUNGSRATES AUF DIE PETITION «CHIRURGIE ERHALTEN – SPITAL ZWEISIMMEN RETTEN!» IM WORTL AUT
Ist der Regierungsrat darüber informiert, wie das Spital Zweisimmen ab 1.Oktober 2025 gemäss Betriebskonzept für den Spitalstandort Zweisimmen der STS AG für Notfälle aufgestellt wäre, welche einen Operationssaal und Anästhesie erfordern?
Das vorgestellte Vorgehen ist aus unserer Sicht unverantwortlich und gefährlich. Es ist eine Zumutung für die Fachpersonen, die Patientinnen und Patienten weiterschicken müssen, und ein Risiko für die Sicherheit in unserer Region.
Wir fragen Sie: Wer von Ihnen würde akzeptieren, dass im eigenen Regionalspital Strukturen so stark abgebaut werden, dass im Notfall bis zu 70 Kilometer und 90 Minuten Fahrzeit nö- tig sind, für Behandlungen die bisher vor Ort möglich waren?
Wenn es dumm läuft, sind die Barrieren bei einem oder mehreren Bahnübergängen geschlossen oder die Strasse ist wegen eines Unfalls oder eines Hangrutsches gesperrt. Dann dauert die Reise noch länger. Ist das rechtlich überhaupt zulässig, nach schweizerischen Vorgaben, mit einem der besten Gesundheitssystemen weltweit? Ist es überdies nicht so, dass die Zentrumsspitäler schon jetzt stark ausgelastet sind?
Die Schliessungen der Spitäler in Erlenbach und Saanen waren damals sicher einschneidend für die Bevölkerung, aber noch tolerierbar. Eine derartige Reduktion des Angebotes am Standort Zweisimmen (als einziges in der Region verbleibendes Spital mit solchen Distanzen zu nächsten Angeboten) auf eine Triagestelle ohne Operationssaal und Anästhesie geht jedoch zu weit!
Unser Brief ist lang. Das ist aber nötig, um die Ereignisse der letzten Jahre zusammenzufassen und unsere Fragen zu stellen und um damit unsere Forderung zu begründen sowie eine Lösung aufzuzeigen. Es ist leider so, dass Fragen an die Verantwortlichen der GSI und der STS AG ausweichend, nicht zufriedenstellend oder bislang überhaupt nicht beantwortet wurden. Damit und mit dem ganzen Hin und Her wurde viel Vertrauen zerstört und Unsicherheit erzeugt.