Von Interlaken nach Gstaad ohne Umsteigen: der Testbericht
08.12.2022 TourismusAb Sonntag ist die neue Direktverbindung von Interlaken Ost nach Montreux im offiziellen Betrieb. Wir haben die neuen Züge des GoldenPass Express und vor allem die weltweit einzigartige Umspuranlage in Zweisimmen an der Avant-Premiere für Sie getestet. Weshalb sich eine Fahrt ...
Ab Sonntag ist die neue Direktverbindung von Interlaken Ost nach Montreux im offiziellen Betrieb. Wir haben die neuen Züge des GoldenPass Express und vor allem die weltweit einzigartige Umspuranlage in Zweisimmen an der Avant-Premiere für Sie getestet. Weshalb sich eine Fahrt lohnt und warum die neuen Verbindungen ein klarer Mehrwert für die Region sind, lesen Sie hier.
NICOLAS GEISSBÜHLER
Pünktlich um 10.08 Uhr verlässt der Testzug, der ein gemeinsames Projekt der MOB und der BLS ist, den Bahnhof Interlaken Ost. An Bord sind Vertreter der Presselandschaft Schweiz und Projektverantwortliche aus fast allen am Projekt beteiligten Abteilungen. Diese erklären auf dem ersten Teil der Fahrt, woraus ihr Beitrag am Projekt bestanden hat und stehen Red und Antwort auf die vielen Fragen der Journalisten. Das Konzept wirkt vielversprechend, die Reise in den neuen Zügen lässt Komfort erahnen.
«Ein Traum wird Realität»
Man spürt, dass dieses Projekt, das jetzt kurz vor dem Abschluss steht, für alle Beteiligten auch eine Herzensaufgabe ist. Jérôme Gachet, Kommunikationsverantwortlicher der MOB, spricht davon, dass ein langjähriger Traum nun endlich Realität werde. Der Plan einer durchgehenden Bahnstrecke von Montreux bis Interlaken bestehe schon seit über einem Jahrhundert. «Lange hat man den Plan verfolgt, zwei Gleise – also ein Normalspur- und ein Schmalspurgleis – nebeneinander zu bauen, musste dann aber feststellen, dass dies viel zu teuer wäre.» So habe man sich für diese innovative Lösung mit der Umspuranlage entschieden, so Gachet.
Diese Umspuranlage musste aber erst noch entwickelt werden. Das tat die MOB gleich selbst. In einem nächsten Schritt wurde die Idee mit der Firma Alstom ausgereift und in die Realität umgesetzt. Eine besondere Herausforderung war dabei, dass es zwar Vorschriften für den Betrieb von Normalspurbahnen und auch für den Betrieb von Schmalspurbahnen gibt, nicht aber für die Umspuranlage. So mussten diese erst mit den Behörden erarbeitet werden.
Einfaches Prinzip, schwierige Umsetzung
Die Umspuranlage macht den Wechsel eines Zuges von einem Normalgleis auf ein Schmalspurgleis möglich. Dabei wird der Zug mit einer Rampe angehoben, sodass keine Last mehr auf den Rädern liegt. Alsdann sorgt eine Distanzvorrichtung dafür, dass die Radabstände verbreitert respektive verschmälert werden und so die Spurbreite geändert werden kann. Das ist aber noch nicht alles, was die Umspuranlage bewerkstelligen muss: Die Bahnsteighöhe ist nämlich bei Schmalspuranlagen tiefer als bei Normalspuranlagen. Somit wird auch gleich noch die Höhe des gesamten Zuges verändert.
Der ganze Vorgang kann während der Fahrt durchgeführt werden, der Zug kann dabei mit maximal 15 Stundenkilometern fahren. Das Umspuren dauert dabei keine 20 Sekunden. Die Passagiere im Zug spüren von diesem ganzen Vorgang nichts – wer das Umspuren beobachten will, muss sich auf dem Bahnsteig ausserhalb des Zuges positionieren. So verlässt auf der Testfahrt der gesamte Medientross den Zug, um die Anlage von Nahem zu sehen und dabei gleich auch einen Zug beim Umspuren zu beobachten. Allgemeines Erstaunen ist bei der Weiterfahrt spürbar, als unser Zug auch unmerklich umgespurt wird.
Eine andere Herausforderung konnte nur in Zusammenarbeit mir der BLS bewältigt werden: Schmalspurbahnen haben andere Netzspannungen als Normalspurbahnen. So kommt es dazu, dass in Zukunft in Zweisimmen die Lokomotiven gewechselt werden müssen: Von Interlaken bis Zweisimmen zieht eine Normalspurlok der BLS das Gespann. Diese wird dann in Zweisimmen zusammen mit dem dahinterliegenden Verbindungswagen abgekoppelt und die zum Vorschein kommende Schmalspurlok der MOB übernimmt die Zugarbeit. Der Zwischenwagen ist übrigens ein normaler Zweitklasswagen, in dem bis Zweisimmen auch Passagiere mitgeführt werden können.
Unsicherheit bei Winterbedingungen
Eine gewisse Unsicherheit herrscht bei den Produzenten der Anlage hinsichtlich des Betriebes mit den Winterbedingungen: Da die letzten beiden Winter sehr warm waren, konnte die Anlage nirgends bei extremen Wetterbedingungen getestet werden. Uwe Heinrich, Ingenieur bei Alstom, macht sich dennoch keine Sorgen: «Die Kälte und der Schnee sollten grundsätzlich kein Problem darstellen, da die Anlage diese Wetterbedingungen aushalten sollte. Sie wurde absichtlich so konzipiert, dass sie praktisch keine kälteanfälligen Teile aufweist.» Wichtig sei dabei aber eine korrekte und aufmerksame Wartung der Anlage.
Von Kaviar bis Käse: alles lokal
Die Züge, die Fahrgestelle und auch die Umspuranlage wurden von den Schweizer Firmen Stadler und Alstom in der Nordostschweiz gebaut. Auch bei der Verpflegung der Gäste während der Reise hat man sich einiges an Regionalität überlegt. Es gibt Wein aus dem Waadtland, Plättli aus dem Saanenland und Pays-d’Enhaut sowie Kaviar aus dem Tropenhaus Frutigen. Natürlich wird auch das kulinarische Angebot auf der Testfahrt geprüft und wir bekommen nach Kaffee und Gipfeli einen Apéro: Als ich mich kurz von meinem Platz entferne, um den Zug zu erkunden, steht bei meiner Rückkehr plötzlich eine Flûte Champagner und ein Brötchen mit dem Frutiger Kaviar an meinem Platz. Erfreut stosse ich mit meinen Sitznachbarn auf diese Testfahrt an. Es folgt das mit grosser Spannung erwartete Saanenland-Plättli. Besonders der Hobelkäse und die Trockenwurst schmecken vorzüglich. Dabei kommen alle Produkte aus den Regionen, welche die Züge auf ihren Reisen durchqueren – mit ein paar wenigen Ausnahmen: Beispielsweise kommt der Champagner aus Frankreich. Dies habe vor allem mit den hohen Kundenansprüchen zu tun, erklärt Frédéric Delachaux, Leiter Marketing der MOB. Er hat in den letzten paar Wochen auch zahlreiche Reisen nach Indien, Thailand, Japan und in die USA unternommen, um das neue Produkt «Golden-Pass Express» zu vermarkten und dort Reiseanbieter für sich zu gewinnen.
Tourismus als Hauptmotivation
Das Erschliessen von neuen touristischen Märkten sei auch der Hauptgrund für dieses aufwendige Bauprojekt, erklärt Delachaux den Presseschaffenden auf der Zugfahrt. So konnte man in der Vergangenheit kaum asiatische Reisegruppen in die Region holen, da die Reise zu umständlich war. Vor allem für geführte Reisegruppen sei es äusserst unattraktiv, eine Reise zu machen, auf der man mehrmals von einem Verkehrsmittel in ein anderes umsteigen muss. Mit dem neuen Angebot sei es möglich, Touristen direkt aus der Jungfrauregion oder vom Flughafen Zürich in unsere Region zu bringen, auf der anderen Seite können Touristen aus der Region um den Genfer See, dem Wallis aber auch vom Genfer Flughafen aus wesentlich unbeschwerter ins Berner Oberland reisen.
Doch auch für die Lokalbevölkerung bietet das Projekt Verbesserungen: Die Züge ersetzen keine bisher bestehenden Verbindungen, sondern werden zusätzlich zum bereits bestehenden Fahrplan eingeschoben. Diese halten dann als Expresszüge nicht an allen Haltestellen, die wichtigsten werden aber immer bedient. So werden die Züge in Zukunft im Saanenland immer in Saanenmöser, Schönried und Gstaad einen Stopp einlegen. Ab Sonntag verkehren so jeweils zwei Züge pro Tag von Interlaken nach Montreux und umgekehrt, bis im Sommer sollen es doppelt so viele sein. Das bedeutet, dass bis im Sommer pro Tag mindestens acht der neuen Züge durch das Saanenland fahren.
Grosser Fahrkomfort
Die neuen Züge entsprechen den modernsten technischen Errungenschaften. So gibt es beispielsweise die neue Prestige-Klasse, in welcher alle Sitze gedreht werden können. So kann man sich sein Abteil sozusagen selbst zusammenstellen oder auch mal Abstand von seinen Reisegefährten nehmen.
Die Wagen sind aber vor allem darauf ausgelegt, dass sich die Passagiere möglichst stark als Teil der Landschaft fühlen können. So haben alle Wagen Panoramafenster, die bis in die Dachschräge gehen. Die Fenster der Prestige-Klasse sind noch etwas grösser, ausserdem ist die gesamte Prestige-Klasse leicht erhöht und die Fenster noch etwas weiter an den Boden gezogen. So sieht der Passagier fast keine Fensterrahmen und bekommt einen weitreichenden Ausblick auf die pittoreske Landschaft, die diese Zugstrecke zu bieten hat.
Fazit
Bei der Ankunft in Montreux am Bahnhof sind alle entspannt und wohlgenährt. Die Reise war trotz der langen Dauer von über drei Stunden kurzweilig und angenehm: Einerseits ist die Strecke abwechslungsreich und sehenswert, andererseits sorgen die bequemen Sitze und das kulinarische Intermezzo, das allen Passagieren der höheren Klassen in Zukunft geboten wird, für die nötige Entspannung. Schliesslich ist es eine Zugfahrt auf einer weniger bekannten Strecke, die aber mindestens so schön wie die bekannten Zugstrecken der Schweiz ist und auf der man in den Genuss des höchsten Fahr- und Reisekomforts kommt. Ausserdem ist die Umspuranlage und der Umspurvorgang äusserst spannend zu beobachten– auch wenn man kein eingefleischter Technikfan ist.
INFOBOX
Ganz vorne sitzen wie früher?
In den bisherigen Zügen der MOB konnte man gegen einen Aufpreis ganz vorne reisen, dort wo normalerweise der Lokführer sitzt. Weshalb ist dies in den neuen Zügen des GoldenPass Express nicht mehr möglich und was bringt die Problematik sonst noch mit sich.
NICOLAS GEISSBÜHLER
Sitzplätze an der Zugspitze, wie man sie bei den aktuellen Panoramazügen der MOB kennt, wird es in den neuen Zügen nicht mehr geben. Die Passagiere können in der Prestige-Klasse trotzdem die Aussicht durch das Frontfenster bestaunen, indem sie dem Lokführer über die Schultern schauen. Das ist möglich, weil der Führerstand aus Glas und damit transparent ist.
Dass die Passagiere wie in den aktuellen Zügen der MOB ganz vorne, dort wo sich normalerweise der Lokführer befindet, sitzen können, ist laut Thomas Bucher, Projektleiter GoldenPass Express der MOB, aber rechtlich nicht mehr möglich. Die neuesten Sicherheitsvorschriften verlangten grössere Knautschzonen und damit seien solche Sitzplätze unmöglich.
Dies wäre laut Bucher auch das Problem, wenn man die Züge in Zukunft von Gstaad direkt nach Bern fahren lassen wollte. Dort müsste zuerst eine Bewilligung für diese Strecke erarbeitet werden und da auf dieser Schnellzugstrecke ganz andere Vorschriften betreffend Knautschzonen gelten als auf einer «normalen» Zugstrecke, dürfte dies schwierig werden.








