Hommage an Betty Lambert

  19.07.2022 Kultur

Betty Esther Charlotte Laure Lambert (1894–1969) war die letzte private Eigentümerin der Campagne Bellerive in Thun. Da, wo heute die Musikschule Region Thun zu Hause ist, gingen von 1922 bis 1961 Persönlichkeiten aus Politik und Kunst ein und aus. Wie erst vor Kurzem bekannt wurde, betätigte sich Baronin Betty Lambert während der Kriegsjahre auch als tatkräftige Fluchthelferin für Naziverfolgte. Am 26. Juni gab ein Hommageanlass zu ihren Ehren an diesem historischen Ort Einblicke in ein bewegtes, schicksalhaftes und mutiges Frauenleben.

ÇETIN KÖKSAL
Armando Piguet ist es zu verdanken, dass das Projekt «Hommage an Baronin Betty Lambert» realisiert werden konnte. Inspiriert durch den Roman «Die Baronin im Tresor» von Franziska Streun, reifte in ihm die Überzeugung, dass man dieser beeindruckenden Frau an ihrem Lieblingswohnort, dem Landgut Campagne Bellerive, im Volksmund auch Bonstettengut genannt, mit einem entsprechenden Anlass die Ehre erweisen soll. Genau 100 Jahre nachdem Betty Lambert das Gut gekauft hatte, traf man sich wieder auf der Campagne und weihte den Betty-Lambert-Saal ein, wo man unter der kundigen Moderation von Kurt Aeschbacher so einiges über diese Grande Dame des letzten Jahrhunderts erfuhr. Bereichert wurde der Anlass mit viel klassischer Musik. Es musizierte die Junior Camerata der Musikschule Region Thun und die junge Geigerin Elea Nick mit der erfahrenen Pianistin Natalia Morozova, welche regelmässig am Gstaad New Year Music Festival auftritt. Die künstlerische Leiterin des Festivals, Prinzessin Caroline Murat Haffner, übernahm die Schirmherrschaft der Hommage, während Armando Piguet in seiner Funktion als Geschäftsführer der Steinway Hall Suisse Romande ebenso ein langjähriger Partner des New Year Festivals ist.

Bewegtes Leben
Betty Lambert wurde 1894 als drittes von vier Kindern von Zoé Lucie Betty Baronne de Rothschild geboren. Ihr Vater Léon Baron Lambert war Bankier, Rothschild-Agent und Financier von König Léopold II. von Belgien. 1912 wurde sie mit ihrem Cousin dritten Grades, Rudolf von Goldschmidt-Rothschild, verheiratet, worauf sie 1913 Ferdinand und 1917 Alexis gebar. Als Belgierin in Frankfurt a.M. leben zu müssen, während die Deutschen in ihre Heimat einmarschierten, war eine schwierige Herausforderung. Dieses Leben an einem ungeliebten Ort mit einem ebenso ungeliebten, «zugewiesenen» Ehemann empfand die junge Betty Lambert als unerträglich. Nach dem Ersten Weltkrieg verliess sie Deutschland und ihren Mann, wobei sie die beiden Söhne zurücklassen musste. Sie liess sich scheiden und heiratete 1921 in London den Berner Patrizier Jean-Jacques von Bonstetten. Ein Jahr später kaufte sie von dessen Vater die Campagne Bellerive in Gwatt mit dazugehörigem Park (Bonstettenpark). Die von Bonstettens waren zu jener Zeit in finanziellen Engpässen und froh um die äusserst wohlhabende Betty, die das Leben mit neuem Gemahl und die Erneuerungen des Bellerive-Guts vollumfänglich finanzierte. Das neue Eheglück hielt wiederum nicht sehr lange und so lebte die Baronin ab 1930 allein mit der 1923 geborenen Tochter Ynes auf dem Bonstettengut. Selbstverständlich hiess allein wohnen für eine Dame ihres Standes, mit Bediensteten und allem, was dazu nötig war, zusammenzuleben, um angemessen «Hof zu halten». Die Winter verbrachte Betty Lambert gerne entweder in Gstaad oder St. Moritz.

Gästebuch
Patrick Cramer verbrachte manche Sommerferien bei seiner Grossmutter Betty Lambert auf der Campagne und erinnert sich lebhaft an die einerseits strengen Haus- bzw. Hofregeln der Baronin und andererseits an das lebhafte Treiben auf dem – gerade für Kinder so spannenden – Gut. Aus dem Erbe der Nachfahren von Betty Lambert tauchte plötzlich ein Gästebuch der Baronin mit 1200 Unterschriften aus den Jahren 1937–1961 auf. Patrick Cramer überbrachte 2013 dieses Gästebuch der Stadt Thun, welche ihrerseits Franziska Streun beauftragte, ein Büchlein daraus zu machen. Die Autorin machte sich also an die Arbeit und fing mit dem Entziffern der 1200 Unterschriften an. Wie sich zum grossen Erstaunen dabei allmählich herausstellte, entpuppte sich besagtes Gästebuch als ein Who is who der damaligen Intelligenzia. Namhafte Persönlichkeiten verschiedenster «Branchen» gehörten zu Bettys Gästen und gingen in der Campagne ein und aus. Carl Zuckmayer (Autor), Nathan Milstein (Geiger), Graf Alexander von Stauffenberg (Bruder des Hitler Attentäters Claus), Olga Picasso (erste Frau von Pablo Picasso) oder auch Paul Baechtold (Chef der eidgenössischen Fremdenpolizei), Richard N. Coudenhove-Kalergi (Gründer der Paneuropa-Union) und Antoinette Petitpierre (Frau von Bundesrat Max Petitpierre und Schwester von Denis de Rougemont) sind nur ein paar wenige Beispiele. Im Lauf der nunmehr umfassenden Recherchen von Franziska Streun stellte sich heraus, dass Betty Lambert während des Zweiten Weltkriegs unzähligen Juden bei der Flucht vor den Nazis geholfen hatte. Zum einen mit Geld, aber auch mithilfe ihres weitreichenden Netzwerks. Europäische Diplomaten wie auch Geheimdienstler der Alliierten trafen sich bei Betty Lambert und trugen das ihre dazu bei, dass die Campagne im Gwatt zur geheimen Drehscheibe im Widerstand gegen Hitler wurde. Wäre das illustre Gästebuch nicht in langer, aufwendiger Arbeit «entschlüsselt» worden, würde man von alledem bis heute nichts wissen …

Garage wird Ehrensaal
Ende 1960 verkaufte Betty Lambert die Campagne Bellerive der Stadt Thun und dem Kanton Bern, welche bis heute Eigentümer des Herrenhauses mit weiträumiger Parkanlage sind. Zweifellos wurde das heutige Erscheinungsbild des Guts durch die Baronin geprägt. Unter anderem ergänzte sie die ursprünglich zweiflüglige Anlage um einen dritten Bau, der als Garage für ihre Limousinen diente. Seit 1976 mietet die Musikschule Region Thun die Dreiflügelanlage, und die Garage wurde in einen Konzertsaal umfunktioniert. Dieser heisst nun, in Erinnerung an die prägende Baronin, Betty-Lambert-Saal. Viele weitere Schüler der Musikschule werden darin ihr öffentliches «Debut» geben und durch ihre Liebe zur Musik einen Teil von Bettys Geist weitertragen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Teilnehmer dieses gelungenen Hommage-Anlasses vom Mut, der Courage und Menschlichkeit dieser Grande Dame anstecken liessen – auch unsere Zeit hat Menschen von ihrem Format dringend nötig!


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