«Ich muss nicht moralisieren, ich will Geschichten erzählen!»
31.10.2024 InterviewSimon Hefti gibt demnächst seine erste CD mit Buch heraus.Er ist im Saanenland verwurzelt, bodenständig und verkörpert die Jodlerei wie kaum ein anderer – obschon er selbst kein «Chüjer» ist und nicht in der Landwirtschaft arbeitet. Warum dies kein ...
Simon Hefti gibt demnächst seine erste CD mit Buch heraus.Er ist im Saanenland verwurzelt, bodenständig und verkörpert die Jodlerei wie kaum ein anderer – obschon er selbst kein «Chüjer» ist und nicht in der Landwirtschaft arbeitet. Warum dies kein Widerspruch ist, erzählt er im Interview und spricht über seine bislang revolutionärste Komposition.
KEREM S. MAURER
Simon Hefti, welche Musik hören Sie aktuell in ihrem Auto, wenn Sie unterwegs sind?
(Lacht) Eine, die sonst noch niemand hat! Nämlich «Für d’Heimat». Das ist meine CD, die am 9. November herauskommt. Die Master-CD wird von mir gerade verinnerlicht. Ich höre genau hin und prüfe, ob da auch wirklich alles so ist, wie es sein muss.
Schlägt Ihr Jodlerherz auch für andere Musikrichtungen, schlummert in Ihnen vielleicht sogar ein Rocker?
In jungen Jahren mochte ich durchaus auch rockigere Töne. Beispielsweise von Queen oder AC/DC. Hauptsächlich das, was in der Hitparade lief. Aber es brauchte für mich schon immer Melodien und Harmonien. Aber ja, wenn am Radio älterer Rock gespielt wird, drehe ich heute noch lauter. «Äs Rockfüdli bin i geng no!»
Wann und wie haben Sie Ihre Affinität zur Volksmusik definitiv entdeckt, gab es so etwas wie eine Initialzündung?
Ich wurde in diese Kultur hineingeboren. Meine ganze Familie hat immer schon gejodelt. Dennoch gab es eine Art Auslöser: Zu meinem 16. Geburtstag habe ich eine Adolf-Stähli-CD bekommen. Weil ich selbst schon von Kindesbeinen an Gedichte schrieb und mit Worten jonglierte bis es sich reimte und vom Versmass her aufging, war ich fasziniert von Stählis Art, Gedanken in Musik zu verpacken. Dahinter steckte für mich die perfekte Logik. Da hat es mich gepackt und ich fing an, mich ernsthaft für die Jodlerei zu interessieren.
Spielen Sie auch ein Instrument?
Nicht wirklich. Während der Ausbildung zum Chorleiter lernte ich etwas Klavierspielen. Zuvor hatte ich es leider nie gelernt, es würde mir heute das Leben in der Jodlerei deutlich erleichtern. Es macht durchaus Sinn, wenn man sich die komponierten Melodien vorspielen kann, um zu hören, wie sie klingen.
Hatten Sie nie den Wunsch, Klavierspielen zu lernen oder hatten Sie als Kind keine Möglichkeit?
Nicht, dass ich es nicht gedurft hätte, aber damals wollte ich nicht. Fussball war mir wichtiger. Für eines musste ich mich entscheiden und ich bevorzugte den Fussball. Was ich im Nachhinein etwas bereue. Klavierspielen hätte mir definitiv mehr gebracht, schliesslich spiele ich heute kein Fussball mehr. Wenn ich mehr Zeit habe, lerne ich vielleicht noch richtig Klavierspielen.
Wie werden Sie zu neuen Kompositionen, seien dies nun Texte oder Melodien, inspiriert?
Grösstenteils durch die Natur, in der ich mich oft aufhalte. Die Grundidee zu einer Komposition muss passieren, die lässt sich nicht erzwingen. Eine Melodiesequenz, ich nenne dies ein «Chehrli», das gut klingt und mich draussen, zu Hause oder auch unter der Dusche erreicht und mich nicht mehr in Ruhe lässt, halte ich mit der Diktierfunktion meines Handys fest. Im besten Fall entwickelt es sich zu einer Grundmelodie, auf der ich aufbauen kann. Daraus erwächst dann ein Gefühl, das mir sagt, in welche Richtung der Text gehen und was das Thema sein könnte.
Ist eigentlich zuerst die Melodie da oder eine Textidee?
Manchmal geistert eine Textzeile in meinem Kopf herum bis ich sie aufschreibe. Daraus entwickelt sich – im Idealfall – ein Vier- oder Sechszeiler, der dann in meiner Schublade landet, die voll solcher Textschnipsel ist. Wenn ich Zeit habe und in der Schublade nach Ideen suche, fällt er mir wieder in die Hände und ich lese ihn einige Male durch. Weil der Text selbst schon einen Rhythmus hat, findet sich ein Takt und der Vers beginnt, als einfache Melodie zu klingen. Bis daraus ein fertiges Lied geworden ist, braucht es dann noch einen langen Prozess.
Und manchmal ist die Musik zuerst da...
Genau. Melodien erklingen ganz plötzlich und laufen mir quasi nach. Oft weiss ich noch nicht, was sie mir sagen wollen oder was ich mit ihnen anfangen kann. Also nehme ich sie auf und höre sie mir einige Male an. Und dann passiert etwas und plötzlich weiss ich genau, was ich damit machen kann. Ein Feuer in mir beginnt zu brennen und ich muss dranbleiben. Manchmal wird auch nichts aus solch einem «Chehrli». Dann lass ich es los, gebe es zurück in die Schublade oder verwerfe es ganz.
Jodelmelodien werden seit dem 18. Jahrhundert überliefert. Gibt es nach so langer Zeit und so vielen Liedern überhaupt noch neue Melodien?
Oh ja! Melodien und Harmonien entwickeln sich stetig weiter. Denken Sie an die klassische Musik, die sich sehr weit zurückverfolgen lässt und dennoch immer wieder neu erfunden wird. So verhält es sich auch mit der Jodlerei. Natürlich kommt es bei der Fülle an Melodien vor, dass man ähnliche Melodien touchiert. Ich versuche dies tunlichst zu vermeiden und gebe neue Melodien meiner Frau und anderen Leuten zum Probehören. Wenn die sagen, es komme ihnen nicht bekannt vor, passt es für mich.
Also ist die Vielfalt der Melodien auf dieser Welt noch nicht erschöpft...
Nein, es ist verrückt, oder? Wir haben zwölf Töne zur Verfügung und daraus hat es auf der ganzen Welt eine derart gigantische Vielfalt an verschiedenen Melodien gegeben. Und ich bin überzeugt, dass es mindestens noch einmal so viele irgendwo im Universum gibt, die es nur zu entdecken gilt.
Wovon handeln Ihre Liedtexte?
Oft von Begebenheiten in der Natur. Ich erzähle gerne Geschichten. Was ich hingegen bewusst nicht mache, sind Lebenshilfen, Ratgeber oder Tipps, wie andere etwas besser machen können. Ich muss nicht moralisieren oder belehren, ich will unterhalten. Manchmal geht es auch um Themen, bei denen ich persönlich Trost suche und finde. Aber auch in diesen Liedern geht es nicht darum, was andere tun müssen, um Trost zu finden.
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Begebenheit aus der Natur?
Ein grosser Baum kann mich dazu inspirieren, darüber zu philosophieren, was er im Lauf der Zeit schon alles gesehen hat oder was an ihn herangetragen wurde, was er vernommen hat. Da lasse ich meiner Fantasie freien Lauf. So entstehen Gedankengerüste für Liedtexte.
Kommen Ihre Texte auch mal gesellschaftskritisch daher?
Eher nicht. Moralisieren ist nicht meine Aufgabe. Natürlich ist die Liebe zur Heimat ein generelles Thema. Ich erzähle gerne, dass ich das Saanenland, das Berner Oberland, den Turbach und die Berge liebe und dass ich mich glücklich schätze, hier zu Hause sein zu dürfen. Jodellieder erzählen grundsätzlich von einer heilen Welt, das will ich nicht kaputt machen.
Muss denn ein Jodellied nicht zwingend vom bäuerlichen Leben handeln?
Nein. Das war zwar vor 50 Jahren noch gang und gäbe, hat sich aber in letzter Zeit geändert Nicht zuletzt deshalb, weil rund die Hälfte aller Jodler in den Klubs keinen direkten Bezug mehr zum Bauernstand haben. Und ich will ja in meinen Liedern ehrlich sein und nichts besingen oder rühmen, das ich nicht bin. Ich kann nicht davon singen, wie schön es ist mit den Kühen z Bärg zu gehen und dort zu käsen. Hätte ich einmal das Bedürfnis, den Chüjerstand zu besingen, würde ich dies nur aus der Perspektive des Beobachters heraus tun.
Haben Sie schon mal ein sehr untypisches, vielleicht gar revolutionäres Jodellied geschrieben?
Ja. Ich durfte einmal für ein Stück der Theatergruppe Turbach eine Jodel-angehauchte, trostspendende Melodie zu einer Kinderbeerdigung komponieren. Das war sehr anspruchsvoll und ich dachte zuerst, dass ich das nicht hinkriege. Im Theater haben es die Leute dann mit Kerzen in den Händen gesungen. Das war sehr ergreifend und ist mit Sicherheit jenes Lied, das sich am meisten von allen anderen unterscheidet.
Kennen Jodelchöre keine Nachwuchsprobleme?
Bei uns haben wir noch keine grossen Nachwuchsprobleme, dennoch müssen auch wir dran bleiben. Im Saanenland gibt es gemessen an der Einwohnerzahl relativ viele Jodelchöre. Es wird sehr viel gesungen hierzulande. Grössere Probleme gibt es dagegen in städtischen Gebieten, wo Klubs fusionieren oder sich infolge Überalterung auflösen. Dennoch müssen wir uns bemühen, junge Leute zu finden, die dieses Kulturgut weitertragen wollen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine CD herauszugeben?
Die Idee entstand in der Coronazeit, als das Singen verboten war und ich viel Freizeit hatte. Ich schaute damals oft in meine Schublade, las Textschnipsel und habe angefangene Kompositionen zu Ende gebracht. Es würde Jahre dauern, diese mit den Chören einzustudieren, weil ich ja nicht nur mit meinen eigenen Liedern arbeiten kann. Es braucht Abwechslung. Letztlich war es ein Jodel- und Jurykollege, der mir sagte, meine Lieder müssten raus in die Welt. Er meinte, wenn man eine CD gemacht habe, würden die Lieder auch gesungen werden. Ich habe das nicht unbedingt gesucht und gewollt, habe mich aber überzeugen lassen.
ZUR PERSON
Simon Hefti, Jahrgang 1982, ist in Turbach aufgewachsen und wohnt bis heute mit seiner Frau und den beiden Kindern dort. Der gelernte Elektroinstallateur arbeitet ab heute als Siegrist und Liegenschaftsverwalter bei der Kirchgemeinde Saanen-Gsteig. Hefti ist ausserdem Jodellehrer bei der Musikschule Saanenland Obersimmental (MSSO), ausgebildeter Chorleiter, Kursleiter und Juror beim Eidgenössischen Jodlerverband. Er ist Gründungsmitglied, Dirigent und Sänger der «Horeflue Jutzer» Saanenland sowie im Jodlerchörli «Abeglanz» und im Terzett «Farbeklang». Im Jodlerklub «Gruss vom Wasserngrat» ist er Sänger und Dirigent.
KMA