Die Zukunft der IMMA
23.09.2024 KulturNach einem Investigativbericht der Westschweizer Zeitung «Le Temps» wurden finanzielle und strukturelle Probleme bei der International Menuhin Music Academy (IMMA) bekannt (wir haben berichtet). Daraufhin haben in unserer ...
Nach einem Investigativbericht der Westschweizer Zeitung «Le Temps» wurden finanzielle und strukturelle Probleme bei der International Menuhin Music Academy (IMMA) bekannt (wir haben berichtet). Daraufhin haben in unserer letzten Ausgabe der neue Vizepräsident des IMMA-Stiftungsrates Andrea E. Rusca und auch Jeremy Menuhin in zwei unterschiedlichen Medienmitteilung dargestellt, wie sie sich die weitere Ausbildung der Musikstudenten vorstellen. Wir fragten beide nach den Details der Transition.
ANDREA E. RUSCA, VIZEPRÄSIDENT DES IMMA-STIFTUNGSRATES, IM INTERVIEW
«Die Studierenden sollen von einer verlässlichen und leistungsfähigen Struktur profitieren»
Andrea E. Rusca betont im Interview, dass die IMMA nicht insolvent ist und nach wie vor existiert. Sie hat sich neu formiert, eine Ethikcharta entwickelt und arbeitet aktiv an angemessenen Bedingungen für die Studierenden.
SONJA WOLF
Andrea Rusca, wie ist der neue IMMA-Stiftungsrat konstituiert?
Der neue Stiftungsrat besteht nun aus fünf Mitgliedern. Ein zweiter Anwalt wurde gerade gewählt, und die Eintragungen ins Handelsregister werden folgen. Die neuen Mitglieder wurden aufgrund ihrer Kompetenzen und mit Blick auf eine Ergänzung der bestehenden Fähigkeiten ausgewählt. Es handelt sich um ein Engagement, nicht um eine Position zur Förderung persönlicher Interessen. Der erste gemeinsame Schritt bestand darin, eine mehrteilige Ethikcharta zu entwickeln. In der Presse liest man, dass zwei Organisationen um das Erbe von Lord Menuhin streiten würden. Das ist keineswegs der Fall. Die IMMA existiert seit 47 Jahren, sie ist nicht insolvent und wird alles tun, um das Vermächtnis ihres Gründers zu bewahren.
Sie schrieben in der Medienmitteilung von letzter Woche, dass Sie sich um einen konstruktiven Dialog mit der ehemaligen Mäzenin bemühen. Was, wenn diese Verhandlungen scheitern – gibt es einen Plan B?
Es ist offensichtlich, dass die Entscheidung, einen einzigen Mäzen zu mobilisieren, eine grosse Schwachstelle darstellte. Eine moderne Stiftung sollte auf vielfältige und breit gefächerte Unterstützung zurückgreifen. Es wäre wünschenswert gewesen, dass eine Mäzenin von solcher Qualität in erster Linie auf andere Weise gewürdigt worden wäre, da sie jahrelang an der Seite der Stiftung stand. Ihr berechtigter Unmut über die Verwendung der zugewiesenen Mittel richtet sich nicht an den neuen Stiftungsrat, dessen Mitglieder gebeten wurden, den Status quo zu bewerten, Lösungen zu finden und neu aufzubauen. Der zukünftige Ethikkodex, den wir einführen, wird dem Spender eine transparente Einsicht in die Verwendung der Gelder geben. Dies sollte diejenigen, die die Vision von Lord Menuhin teilen, wieder dazu motivieren, unsere Stiftung zu unterstützen. Diese Vision ist lebendiger und notwendiger denn je in der heutigen Welt. Unser Hauptanliegen ist es, dass die Studierenden von einer verlässlichen und leistungsfähigen Struktur profitieren, die ihnen ermöglicht, die künstlerischen und stilistischen Anforderungen der heutigen internationalen Szene zu erfüllen. Der neue Stiftungsrat distanziert sich von den Aussagen ehemaliger Mitglieder, sowohl in Bezug auf die Beziehungen zur Mäzenin als auch auf das Budget und die Finanzen der IMMA.
Werden Sie Kontakt mit Jeremy Menuhin aufnehmen? Die aktuellen Musikstudenten müssen wissen, unter wessen Leitung sie ihre Ausbildung fortsetzen werden. Diese ambivalente Situation ist vermutlich belastend für die Studenten.
Wir haben Herrn Jeremy Menuhin vor einigen Wochen in einem konstruktiven Geist der Zusammenführung kontaktiert, um ihn in ein prestigeträchtiges Unterstützungskomitee einzuladen, das Persönlichkeiten aus der Musikwelt vereint und somit die Stiftung seines Vaters in dieser schwierigen Zeit unterstützt. Wir möchten daran erinnern, dass die IMMA bis heute nicht geschlossen wurde! Er hat unsere Einladung jedoch abgelehnt und kurz darauf eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er die Gründung einer neuen Einrichtung ankündigt, die er leiten würde und deren Name zu Verwechslungen mit unserer Stiftung führen könnte. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedauerlich.
Wie stellen Sie sich den neuen Studienort in Gstaad vor? Es müsste so schnell wie möglich ein Unterrichtsort und eine Unterkunft gefunden werden. Haben Sie bereits Ideen oder Anlaufstellen?
Wir arbeiten aktiv daran und prüfen alle Möglichkeiten, da wir uns der Dringlichkeit und den Prioritäten bewusst sind. Wir erkunden verschiedene Optionen im Saanenland.
Wie viele Studierende sind derzeit betroffen? Wird es eine Übergangslösung für sie geben, bis ein Unterrichtsort und eine Unterkunft im Saanenland gefunden werden, oder müssen sie zunächst einmal eine Zwangspause einlegen?
Trotz wiederholter Anfragen an die frühere Verwaltung und die langjährigen Lehrkräfte wurde uns die Liste der Studierenden bisher nicht übergeben. Dennoch konnten wir Kontakt zu ihnen aufnehmen. Angesichts der aktuellen prekären finanziellen und logistischen Lage der IMMA, die wir nach dem Rücktritt der ehemaligen Stiftungsratsmitglieder geerbt haben, reichten die wenigen effektiven Wochen nicht aus, um angemessene Bedingungen für die Studierenden zu schaffen und ihnen einen Start im Oktober zu ermöglichen. Allerdings waren die Studierenden bereits seit Mai über die prekäre Lage informiert und die meisten konnten sich darauf vorbereiten. Bestimmte Voraussetzungen müssen geschaffen werden, bevor ein Semesterstart stattfinden kann. Da alle seit Mai von der prekären Situation wussten, haben die meisten bereits Übergangslösungen in anderen Institutionen gefunden.
JEREMY MENUHIN, LEITER DER NEUGEGRÜNDETEN MENUHIN AKADEMIE, IM INTERVIEW
«Die Tradition bleibt bestehen»
Jeremy Menuhin hat nach der Veröffentlichung der finanziellen und strukturellen Probleme der IMMA die Gründung einer neuen «Menuhin Akademie» bekannt gegeben. Doch wie möchte er konkret vorgehen?
SONJA WOLF
Jeremy Menuhin, Sie gaben letzte Woche bekannt, dass Sie die neue Menuhin Akademie leiten werden. Was bewegte Sie zu diesem Schritt?
Die IMMA, die International Menuhin Music Academy, hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, nämlich dem Verlust ihres einzigen Sponsors. Daher wurde ich von den Lehrern gebeten, einzuspringen, obwohl ich seit 2010 keine formelle Rolle mehr in der Leitung der Akademie hatte. Als Direktor des Menuhin Intellectual Property Managements und mit der Unterstützung der Lehrer, Schüler und Mitarbeiter haben wir beschlossen, dass es an der Zeit ist, die Menuhin Academy zu gründen. Die alte IMMA hat ausgedient, und wir alle sind uns einig, dass wir das Institut auf der Grundlage seiner ursprünglichen Prinzipien und seines Geistes reformieren wollen.
Gibt es einen Stiftungsrat, der Sie unterstützen wird?
Es gibt einen Vorstand, der sich aus folgenden Personen zusammensetzt: Oleg Kaskiv, Pablo de Naverán und Ivan Vukcevic als ständige Lehrer und ich selbst als Ehrenpräsident. Für die Mittelbeschaffung und den Betrieb benötigen wir noch ein oder zwei zusätzliche Mitglieder. Jedes Mitglied hat nur eine Stimme.
Wie wird die neue Akademie finanziert? Sind Sie in Verhandlungen mit Mäzenen oder gibt es ein anderes Businessmodell?
Wir stehen mit verschiedenen potenziellen und tatsächlichen Sponsoren in Kontakt. Die Akademie wurde ja auch vorher schon von verschieden Mäzenen getragen.
Werden Sie in Kontakt mit der IMMA und deren neuem Stiftungsvizepräsidenten Andrea Rusca treten? Denn die Situation ist im Moment ambivalent und die Musikstudenten müssen ja Klarheit darüber haben, unter welcher Leitung sie nun weiterstudieren.
Die Studenten, ebenso wie die Lehrer, erkennen meines Wissens Herrn Rusca oder die anderen neuen Stifungsratsmitglieder der IMMA nicht an.
An welchem Ort planen Sie die neue Akademie? Wird sie weiterhin in Rolle bleiben oder ist auch Gstaad oder ein ganz anderer Ort im Gespräch?
Die Akademie wird in Rolle bleiben.
Wie sieht es mit den Lehrpersonen aus? Wird es bei den drei angestammten Lehrern Oleg Kaskiv, Pablo de Naverán und Ivan Vukcevic bleiben oder kommen noch neue hinzu?
Der Kernunterricht und damit die Tradition bleiben bestehen. Gleichwohl werden wir, wie ich es als ehemaliger Direktor gewohnt bin, wunderbare zusätzliche Musiker einladen, damit sie ein paar Tage bei uns verbringen.
An dieser Stelle möchte ich übrigens auch eine Information aus der Medienmitteilung der IMMA in der letzten Ausgabe korrigieren: Die drei Hauptlehrer Oleg, Pablo und Ivan haben nie ein Stellenangebot oder eine Vertragsverlängerung bei der IMMA abgelehnt. Sie gingen zwar von einer Weiterbeschäftigung aus und erwarteten, in die strategische und pädagogische Planung für die Zukunft einbezogen zu werden, aber es gab nie eine Diskussion über ihre konkreten zukünftigen Aufgaben bei der IMMA.
Sie wissen vielleicht, dass die drei Hauptlehrer den ganzen August über gearbeitet haben, ohne von der IMMA bezahlt zu werden. Dazu gehörten Unterricht, Proben, Konzert- und Wettbewerbsvorbereitungen und Auftritte wie der Auftritt am 21.August beim Gstaad Menuhin Festival – alles, um den Ruf der IMMA in der Musikszene zu wahren. Die Bedürfnisse der Schüler wurden in den Augen der Lehrer seit dem 1. August 2024 nicht mehr vom IMMA-Management berücksichtigt und seit diesem Datum vom derzeitigen Vorstand vernachlässigt.
Wie viele Studenten studieren zurzeit an der Akademie? Konnten Sie diese Studenten bereits informieren, an welchem Ort und ab welchem Datum sie ihre Studien wieder aufnehmen können?
Derzeit sind es 13 Schüler, die in engem Kontakt mit den drei Lehrern stehen und über alle Entwicklungen umfassend informiert sind. Zunächst einmal geht alles so weiter wie bis bisher.
Wäre es eine Option für Sie, Teil des neu formierten IMMA-Stiftungsrates zu werden?
Absolut nicht. Es sind meiner Meinung nach Personen, die gerne die Namen Yehudi Menuhin und Alberto Lysy zitieren, ohne ganz genau zu wissen, was das bedeutet. Was sich exakt hinter dieser meines Erachtens ungerechtfertigten und fast schon bedrohlichen Initiative verbirgt, ist mir unbekannt. Meiner Ansicht nach sollte man nicht so vorgehen, wenn man eine erhabene Körperschaft mit Verbindungen zu grossen Musikern repräsentiert. Im Übrigen habe ich als Direktor von «Menuhin Intellectual Property Management» das alleinige Recht, würdigen Institutionen den Namen «Menuhin» zu verleihen.