Daniel Hope: «Diese Rolle übernehmen zu dürfen, war immer ein grosser Traum»
28.06.2024 InterviewDaniel Hope wird das übernehmen, was Christoph Müller fast ein Vierteljahrhundert lang gestaltet, programmiert und geprägt hat: das Gstaad Menuhin Festival & Academy. Wie ist die Gefühlslage? Welche Erwartungen haben beide? Und welche Ratschläge gibt der ...
Daniel Hope wird das übernehmen, was Christoph Müller fast ein Vierteljahrhundert lang gestaltet, programmiert und geprägt hat: das Gstaad Menuhin Festival & Academy. Wie ist die Gefühlslage? Welche Erwartungen haben beide? Und welche Ratschläge gibt der scheidende künstlerische Leiter seinem Nachfolger mit auf den Weg? Ein Gespräch über die Leidenschaft zur klassischen Musik, den Kampf um ihren Erhalt und die Frage, wie das Festival wohl als Musikstück klingen würde.
JOCELYNE PAGE
Herr Hope, Sie werden die Nachfolge von Christoph Müller antreten: Ab Herbst 2025 werden Sie der neue künstlerische Leiter des Gstaad Menuhin Festivals & Academy sein. Wie haben Sie diese Neuigkeit aufgenommen?
Daniel Hope (DH): Mit enormer Freude. Aber ich habe auch grossen Respekt und Demut vor dieser Position, da ich mit dem Festival eine lange Geschichte verbinde, die sehr weit zurückreicht (siehe Kasten «Zur Person»). Ich habe es aber erst richtig realisiert, als ich im Saanenland angekommen bin. Ich reiste nach einem stressigen Auslandsaufenthalt am Montagabend hierher. Während der Autofahrt habe ich das Fenster geöffnet und einfach nur tief eingeatmet. Es war wie Heimkommen, denn die Assoziationen zur Bergluft und zum Saanenland sitzen noch so tief. Es war deshalb auch emotional.
Sie standen mehrmals auf der Menuhinbühne, auch dieses Jahr treten Sie zweimal auf. Zukünftig werden Sie bestimmen, wer auf der Bühne steht. Was macht dies mit Ihnen?
DH: Ich freue mich sehr darauf, zukünftig auch im Publikum sitzen zu können! Ich möchte erleben, wie die Menschen auf das reagieren, was sich auf der Bühne abspielt. Und natürlich ist dies ein völlig anderer Ansatz, als ich ihn bisher als Künstler gekannt habe. Bis es soweit ist, habe ich aber zum Glück noch zwei Festivalausgaben Zeit. Christoph Müller konzipiert die Festivals auf sehr intelligente Weise, indem er reichlich Geschichte und Kreativität einbringt. Und das gefällt mir. Ich werde einen eigenen Weg finden müssen, wie ich das Festival nach Christoph weiterführen kann. Es ist eine grosse Herausforderung, vor der ich stehe, aber es ist auch ein Geschenk. Ich bin überzeugt, dass es kein Rezept dafür gibt. Man hat den Anspruch, seine Ideen durch Emotionen zu verkörpern, um die Menschen für klassische Musik zu begeistern. Natürlich gibt es in der Musik verschiedene Geschmäcker, aber am Ende lieben wir alle die Musik, und das ist es, was uns verbindet.
Haben Sie schon Ideen, Visionen oder Pläne für die Zukunft des Gstaad Menuhin Festivals?
DH: Ja, viel zu viele. (lacht)
Das ist doch gut, dann haben Sie grosse Ambitionen.
DH: Es ist natürlich noch viel zu früh, um näher darauf einzugehen. Ich möchte erst einmal das Festival aus Sicht des Publikums kennenlernen und die Epoche von Christoph studieren. Er war während fast einem Vierteljahrhundert künstlerischer Leiter, das muss man sich mal vorstellen!
Christoph Müller (CM): (lacht) Ja, es war schon unglaublich, denn ich war gerade mal 30 Jahre alt, als ich den Job übernahm. Das Festival war in einem Zustand, in dem man sich fragte, wie es weitergehen soll. Die damalige Leitung hatte nichts zu verlieren und entschied sich, mir, einem jungen Typen, eine Chance zu geben. Das war für beide Seiten ein grosses Risiko. Mein grosses Glück war jedoch, dass man mir die Zeit gegeben hat, etwas zu entwickeln. Wir konnten organisch wachsen, anstatt sofort grosse Veränderungen vorzunehmen. Mit jedem neuen Projekt und Element haben wir uns Schritt für Schritt voran gearbeitet. Dieses kontinuierliche Wachstum brachte auch neues Publikum und erweiterte das Festival. Im Laufe der Zeit hat sich so die Diversität und das Profil des Festivals entwickelt. Ich hoffe einfach, dass man dir diese Zeit auch gibt.
DH: Ich bin leider nicht mehr ganz so jung wie du damals, Christoph! (beide lachen)
CM: Wie Goethe sagte in seinem berühmten Zitat: «Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.» Es ist ein wunderschönes Gefühl, das man nun geniessen sollte. Aber danach brauchst Du Zeit, um zu spüren, was wie funktioniert und was mit den eigenen Visionen kompatibel ist. Ich zweifle nicht daran, dass du sehr schnell den Schlüssel dazu finden wirst. Es ist wichtig, dass das Festival zukünftig deinen eigenen Stempel trägt und dies auch erkennbar ist.
Apropos Übergabe: Gibt es schon einen bestimmten Fahrplan? Wird Herr Hope Ihnen im nächsten Jahr über die Schulter schauen?
CM: Die Türen sind immer offen!
DH: Das ist ein schönes Angebot! Und mich muss man niemals überreden, nach Gstaad zu kommen! Meine Familie hat ihren Lebensmittelpunkt nun auch in die Schweiz verlegt, damit ich in nur wenigen Stunden hier sein kann. Diese Rolle übernehmen zu dürfen, war immer ein grosser Traum und ich kann es kaum erwarten, dieses Kapitel zu starten.
CM: Wenn du dich so freust und für dich ein Traum in Erfüllung geht, ist das ein grosses Glück für die Institution. Damit ist auch ein starkes Verantwortungsgefühl verbunden, welches du gegenüber dem Anlass verspürst, und das wird sicher auf eine lange Partnerschaft hinauslaufen. Im Hinblick auf die Übergabe mache ich mir keine Sorgen. Du bist ein alter Hase im Musikgeschäft, da muss ich dir nicht viel übergeben (zwinkert DH zu). Was für dich bestimmt entscheidend sein wird, ist das Wissen zu erlangen, wie unsere Institution funktioniert, welche Feinmechanismen und besonderen Eigenheiten vorherrschen. Nach 24 Jahren nehme ich für mich in Anspruch: Ich kann Gstaad Menuhin Festival. Ich weiss, was geht und was nicht geht. Das würde ich dir gerne vermitteln und dazu bin ich auch bereit, dieses Wissen auf den Tisch zu legen.
Was wäre denn eine Besonderheit, die Herr Hope berücksichtigen müsste?
CM: Das Festival ist herausfordernd, weil es nicht in einem urbanen Umfeld stattfindet, sondern in einer Ferienregion. Obwohl das Einzugsgebiet gross ist, sind dennoch Anreisen für ein grosses Publikum notwendig, obwohl wir erfreulicherweise auch viele einheimische Gäste haben. Aber ein Grossteil unserer Konzertbesucher reist extra wegen der Konzerte an. Andererseits müssen unsere Angebote mit touristischen Ansprüchen und Wünschen kompatibel sein, weil viele Besuchende ihren Festivalaufenthalt mit Ferien verbinden. Dennoch stellen wir immer den Anspruch an uns, ein spannendes und manchmal auch herausforderndes Programm zu bieten und nicht nur Weichspülprogramme und rein Unterhaltendes. Wir möchten ein gewichtiges Sommerfestival in Europas Festivallandschaft sein, welches aber die Bedürfnisse einer Ferienregion miteinbezieht. Dies ist unsere Formel und diese Besonderheiten gilt es zu berücksichtigen, aber genau das macht es auch faszinierend.
Welchen besonderen Ratschlag geben Sie Herrn Hope für seine zukünftige Aufgabe?
CM: Ich habe Daniel als innovativen Künstler und Programmierer kennengelernt, der immer nach neuen Vermittlungsformen und Formaten sucht. Deshalb halte ich ihn für die Ideallösung, da wir auch versuchen, neue Plattformen zu schaffen und jüngeres Publikum zu erreichen. Eine von uns durchgeführte Publikumsumfrage vom letzten Jahr ergab, dass 38 Prozent der 18 bis 35-Jährigen bereits Berührungspunkte mit Klassik hatten, oft durch Playlists oder Filmmusik. Das war überraschend hoch und zeigt eine riesige Chance, diese Menschen zu erreichen. Und es ist gleichzeitig eine Aufgabe und Pflicht für uns als Programmierer und Festivalmacher, die nächste Generation abzuholen. Ich glaube, dass Daniel mit seinen Projekten genau die Menschen ansprechen kann, die wir erreichen wollen. Das macht ihn zur perfekten Wahl.
Was sagen Sie, Herr Hope, zu dieser Herausforderung?
DH: Die Welt hat sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren massiv verändert, und Menschen konsumieren Musik heute anders. Jugendliche wie mein zehnjähriger Sohn gehen anders mit Musik um. Sie können sich heute alles sofort holen, auf was sie gerade Lust haben. Diese Herangehensweise ist eine völlig andere, als wir sie kennen, denn wir sind mit Schallplatten und CDs aufgewachsen. Somit haben sich auch die Konzentrationsspannen verändert und das ist ein Problem, denn klassische Musik benötigt Zeit und Raum, sie lässt sich nicht in Acht-Sekunden-Clips abspielen. Das ist eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was wir zeigen möchten – die beste klassische Musik an den besten Orten – und dem, was das jüngere Publikum oft erleben will: sofortige intensive Erlebnisse. Deshalb sind Konzepte von Christoph wie das Electronic Music Event auf dem Eggli auch wichtig. Ich habe beobachtet, dass das Publikum seit der Pandemie emotionaler geworden ist. Sie wollen längere Konzerte und mitgenommen werden auf musikalische Reisen. Sie sind offener für Musik, die man ihnen früher vielleicht nicht zugetraut hätte. Diese Veränderungen könnten womöglich eine grosse Chance bieten.
CM: Oft fühlen sich Menschen ohne musikalische Vorbildung plötzlich von der Musik wie beispielsweise Iannis Xenakis emotional sehr berührt und sind dann wirklich auch abzuholen. Es muss nicht immer die grosse Brahms- oder Beethoven-Sinfonie sein, um sie zu erreichen. Genau deshalb finde ich die Projekte von Daniel so interessant. Er erschliesst Themen mit Musik aus ganz verschiedenen Richtungen. Projekte wie «Dance!» mit dem Zürcher Kammerorchester, bei dem verschiedene Stilrichtungen zusammenfinden, sind sehr spannend. Solange die Musik gut und auf hohem Niveau gespielt wird, ist das der richtige Weg. Denn wir haben uns zum Ziel gesetzt, hier Exzellenz zu produzieren und uns von den vielen anderen Angeboten abzuheben. Denn bei aller Diversifizierung ist dies das stärkste Argument für das Festival: Dass wir einzigartige Konzerte anbieten können. Und es knüpft auch an die Zeit von Yehudi Menuhin an, der schon damals grosse Künstler ins Saanenland gebracht hat.
Stichwort Yehudi Menuhin: Ihre Mutter war lange Managerin des Künstlers. Er war auch der Grund, weshalb in Ihnen die Leidenschaft zur Musik gewachsen ist. Verspüren Sie einen Erwartungsdruck gegenüber Ihrem Lehrmeister?
DH: Natürlich. Wie ich bereits gesagt habe, ist es eine grosse Aufgabe und Herausforderung. Inzwischen wissen viele junge Menschen vielleicht nicht mehr, wer Yehudi Menuhin war, und das möchte ich ändern. Menuhin hat nicht nur mein Leben verändert – ohne ihn wäre ich heute nicht hier –, sondern auch das Leben vieler anderer Menschen durch Projekte wie «Live Music Now». Menuhin brachte junge Künstler mit Menschen zusammen, die aufgrund ihrer Umstände klassische Musik nicht erleben können, wie Patienten in Krankenhäusern oder Insassen in Gefängnissen. Ich möchte, dass die Menschen von Menuhin und seinem Vermächtnis erfahren. Er war in jeder Hinsicht einmalig und liebte diesen Ort sehr. Die Geschichte des Festivals ist faszinierend. Alles begann in der Kirche von Saanen, wo er seine Kollegen Benjamin Britten, Peter Pears und Maurice Gendron für ein Konzert ein lud. Heute, fast 70 Jahre später, haben wir ein riesiges Festival, das Tausende von Menschen anzieht. Dieses Vermächtnis gilt es zu bewahren.
CM: Vielleicht ist das der Unterschied zwischen uns. Ich habe von Anfang an versucht, «im Geiste Menuhins» ab 2002 ein neues Festival zu konzipieren, indem ich partizipative Formate etablierte wie jährliche Kinderund Jugendprojekte, Laienorchester, die Academy mit fünf Fachgebieten oder spartenübergreifende Projekte unter dem Label «Todays Music», inspiriert von Menuhin nahestehenden Künstlern wie Ravi Shankar und Stéphane Grappelli. Ich habe versucht, den Geist von Menuhins Wirken und seiner Philosophie in die Festivalstruktur einzubauen. Du knüpfst nun an diesen inhaltlichen Traditionen an und bringst zusätzlich deine persönliche Beziehung zu Menuhin als Mensch ein, den ich persönlich nie erlebt habe. Ich finde es schön, wie sich der Kreis nun schliesst.
Was würden Sie sagen: Welche Eigenschaften unterscheidet das Gstaad Menuhin Festival & Academy gegenüber anderen Festivals?
CM: Es ist die Verbindung von Exzellenz unserer Konzertangebote, atemberaubender Natur und dem Festival als konsequente Förderplattform des musikalischen Nachwuchses. Unser Alleinstellungsmerkmal sind die Akademien, insbesondere die europaweit einzigartige Conducting Academy, die wir alle im Geiste Menuhins belebt haben. Kein anderes Festival bietet Vergleichbares, denn die Kombination aus Festival- und Akademiebetrieb ist einzigartig. Unser Ziel ist es, nicht nur Unterhaltung zu bieten, sondern auch in die Zukunft zu investieren und junge Talente auszubilden. Im Akademiebereich können wir experimentell und innovativ vorgehen und jedes Jahr etwas Neues kreieren, indem wir musikalische Werte schaffen und vermitteln. Es gibt auch andere Festivals an tollen Orten auf der Welt, aber hier kommt diese einzigartige Melange wie nirgends sonst zum Tragen.
Wie sehen Sie das, Herr Hope? Als international gefeierter Geiger haben Sie viele Festivalbühnen dieser Welt erlebt.
DH: Ich finde das Gstaad Menuhin Festival & Academy fantastisch. Es hat einen exzellenten Ruf und ist bekannt für seine Vielseitigkeit und die Förderung junger Talente durch die Akademie. Das Festivalorchester geniesst hohes Ansehen und die Verbindung zu diesem magischen Ort ist einzigartig. Ich weiss, ich wiederhole mich, aber die besondere Schönheit des Saanenlands überträgt sich auf die Konzerte und diese Euphorie spürt das Publikum. Es macht sie glücklich. Diese Ausstrahlungskraft ist ein wesentlicher Bestandteil des Festivals.
Sie haben viele Engagements, unter anderem als Präsident des Bonner Beethovenhauses und als künstlerischer Leiter der Frauenkirche Dresden. Wie schaffen Sie es, diese vielfältigen Aufgaben miteinander zu vereinbaren?
DH: Ich möchte den ganzen Sommer in Gstaad verbringen. Dafür gebe ich allerdings einen grossen Teil meiner internationalen Tätigkeiten im Sommer auf. Ich stehe auf der Bühne seit ich 15 Jahre alt bin und nach 35 Jahren intensiven Spielens ist es schön und wichtig, im Sommer kürzer zu treten, um sich auf Gstaad zu konzentrieren. Während des Rests des Jahres fokussiere ich mich auf meine Projekte mit meinen festen Ensembles. Gastauftritte sind weniger geworden, und ich plane meine «Special Projects» sehr präzise und langfristig. Mein unermüdliches Team unterstützt mich dabei und sorgt dafür, dass alles reibungslos funktioniert. Ohne sie und diese Planungssicherheit und Strategie wäre es nicht möglich. Aber besonders wichtig ist die Unterstützung meiner Frau und meiner Kinder. Sie stehen hinter mir und ermöglichen mir, meinen Traum zu verwirklichen. Mein grosser Wunsch ist es, dass wir Gstaad als unseren Familienort sehen und den ganzen Sommer hier verbringen, damit meine Kinder hier gross werden können, so wie ich es durfte. Für mich ist das nicht nur ein Job, sondern eine Lebensaufgabe.
Und Sie werden ein spannendes Kapitel abschliessen, Herr Müller. Wie sehen Ihre Pläne und Projekte nach Ihrem Abschied vom Gstaad Menuhin Festival & Academy aus?
CM: Manchmal kommen Leute auf mich zu und denken, ich sei zu Tode betrübt. Das ist nicht der Fall. Alles im Leben hat seine Zeit, und das klingt vielleicht weise und altmodisch, aber es ist wirklich so. Zusammen mit einem grossartigen Team habe ich hier das erreicht, was ich mir bei meinem Jobantritt vorgenommen habe: ein lebendiges und diverses Festival, das auf verschiedenen Ebenen spielt. Ich hätte noch zehn Jahre in der Komfortzone weitermachen können, aber das bin nicht ich. Ich brauche neue Herausforderungen und Projekte, die mich aufs Neue fordern. Nach fast einem Vierteljahrhundert ist jetzt der richtige Moment, das Festival weiterzugeben. Neben dem Festival habe ich ja immer auch andere Projekte betreut, die in letzter Zeit an Umfang zugenommen haben. Meine Aufgaben in Basel sind gewachsen, und ich habe dort mehr Verantwortung zu tragen. Neue Vorhaben sind an mich herangetragen worden. Ich freue mich sehr, dass meine Erfahrung und mein Wissen in der Musikwelt gefragt sind, und sehe gespannt neuen Aufgaben entgegen.
Das ist ein sehr schönes Kompliment, oder nicht?
CM: Ja, es ist auch eine Genugtuung, denn es gibt ja immer auch Ups und Downs und es freut mich, wenn mein Wirken während einer solchen Epoche von fast 25 Jahren im Rückblick so positiv beurteilt wird. Das berührt mich ehrlich.
DH: Wir brauchen Menschen wie Christoph, die sich für unsere Musik einsetzen und sie aufrechterhalten. Wir müssen dafür kämpfen und brauchen Menschen, die «out of the box» denken. Es gibt genügend, die das nicht tun und gegen uns arbeiten, weil sie die Musik in eine andere Richtung ziehen wollen. Aber klassische Musik ist für jeden da! Deshalb brauchen wir Menschen, die diesen Funken, diese Energie und Leidenschaft haben und teilen.
CM: Ich bin überzeugt, dass Musik eine Kraft hat und etwas Emotionales im Menschen bewirkt. Es ist wirklich eine Mission, ich bin fast wie ein Pfarrer mit seiner Religion (beide lachen).
Eine letzte Frage an Sie beide: Wenn das Gstaad Menuhin Festival & Academy ein Musikstück wäre, welches Stück wäre es und warum?
CM: Boah, das ist eine schwierige Frage! (DH nickt, beide denken nach) Für mich ist es Beethovens Violinkonzert, denn es hat ein langes Vorspiel (lacht), wie viele Prozesse in der Musikszene. Es ist ein Stück, welches ich immer und immer und immer wieder hören kann wie jedes Konzert in der Kirche Saanen, dem schönsten Konzertort der Welt. Es ist unglaublich berührend und an emotionalen Höhepunkten ist alles dabei.
DH: Uff, touché!
Und bei Ihnen?
DH: (denkt weiter nach) Ich würde sagen Schuberts Unvollendete. In diesem Stück ist alles vereint: überirdische Schönheit, Vollkommenheit, Liebe zur Natur, und es ist längst nicht zu Ende.
ZUR PERSON
Daniel Hope wurde 1973 in Südafrika geboren. Wegen der zunehmenden Repressionen im Apartheidstaat sahen sich seine Eltern gezwungen, das Land zu verlassen. Sein Vater hatte das regimekritische Literaturmagazin «Bolt» mitgegründet, was zur Überwachung der Familie führte. Durch einen glücklichen Zufall konnte Hopes Mutter die irische Staatsbürgerschaft für die Familie erhalten. 1975 zogen sie nach London, wo seine Mutter eine Stelle bei Yehudi Menuhin bekam. Menuhin bestand darauf, dass sie ihre Kinder mit nach Gstaad nahm, wo die Familie «viele unvergessliche Sommer verbrachte», erinnert sich Hope.
In Gstaad entfachte seine Liebe zur Musik. Er besuchte die Proben des Gstaad Menuhin Festivals und erlebte erstmals Werke von Beethoven, Mozart, Bartók und Vivaldi sowie das Zürcher Kammerorchester unter Edmond De Stoutz. Mit elf Jahren durfte er bei den Festivalkonzerten die Seiten umblättern, was ihm Einblicke in das Leben hinter der Bühne verschaffte. 1992 gab der Geiger sein offizielles Debüt beim Festival mit einem Konzert, das ausschliesslich Werke von Alfred Schnittke enthielt, auf Einladung von Yehudi Menuhin. Hope studierte Violine bei Zakhar Bron und Itzhak Rashkovsky an der Londoner Royal Academy of Music. Heute steht er seit über 35 Jahren als Solist auf der Bühne. Seit 2007 ist er Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon und bereist als Kammermusiker und Solist die ganze Welt. Seit 2016 ist er Music Director des Zürcher Kammerorchesters und übernahm 2018 dieselbe Position beim New Century Chamber Orchestra in San Francisco. 2019 wurde er Artistic Director der Frauenkirche Dresden und ist seit 2020 Präsident des Bonner Beethovenhauses.
Hope ist ein gefragter Gast in berühmten Konzertsälen und bei renommierten Festivals weltweit – auf der Menuhinbühne stand er mehrfach und auch diesen Sommer tritt er zweimal auf. Er arbeitet regelmässig mit führenden Dirigenten und Orchestern und hat enge Verbindungen zu Komponisten wie Alfred Schnittke und Tan Dun. Seine Diskografie umfasst mehr als 30 preisgekrönte Alben.
Neben seiner Karriere als Geiger ist Hope passionierter Kammermusiker und war jahrelang Mitglied des Beaux Arts Trios. Er hat mit Künstlern wie Sting und Mia Farrow zusammengearbeitet und moderiert seit 2016 die Radiosendung «Daniel Hope persönlich» auf WDR3. Hope hat vier Bücher geschrieben und schreibt für das «Wall Street Journal» und den «Guardian». Während des Lockdowns 2020 initiierte er mit dem Fernsehsender Arte die Livestream-Serie «Hope@ Home», um Künstler zu unterstützen.
Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen, darunter das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland und der Europäische Kulturpreis. Hope ist verheiratet und hat zwei Kinder. Kürzlich haben sie ihren Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegt.
PD/JOP