Josefs Schweigen
24.12.2024 GstaadDie Weihnachtsgeschichte ist auch Josefs Geschichte. Ausgerechnet Josef. Gewiss, er gehört zum Personal jeder Krippenszene, doch zumeist hält er sich im Hintergrund. In der ganzen Geschichte, wie die Bibel sie erzählt, sagt er kein einziges Wort. Andere finden Sprache für das, ...
Die Weihnachtsgeschichte ist auch Josefs Geschichte. Ausgerechnet Josef. Gewiss, er gehört zum Personal jeder Krippenszene, doch zumeist hält er sich im Hintergrund. In der ganzen Geschichte, wie die Bibel sie erzählt, sagt er kein einziges Wort. Andere finden Sprache für das, was ihr Herz bewegt: Maria, die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland. Josef aber spricht nicht. Das ist nicht ungewöhnlich für Männer, wenn es um Persönliches geht. Viele Männer finden keine Worte, wenn sie verletzt oder hilflos sind. Josef spricht nicht, aber es rumort in ihm. Maria, seine Verlobte, ist schwanger. Doch das Kind ist nicht von ihm. Dieser Vertrauensbruch entzieht ihm den Boden unter den Füssen. Er ist gekränkt, vielleicht verärgert, und möchte raus aus dieser ganzen Geschichte.
Viele kennen das: Wenn ich verletzt oder enttäuscht werde, muss ich von Wünschen oder Vorstellungen Abschied nehmen; es fühlt sich an, als ob ich ein Stück meiner selbst zu Grabe tragen muss. Und immer stellt sich die Frage: Bleibe ich oder ziehe ich mich zurück?
Und Josef? Er ist sich sicher, dass er gehen muss. Er kann diese fremde Geschichte nicht leben. Er legt sich zurecht, Maria heimlich zu verlassen, denn öffentlich will er sie nicht blossstellen. So will er gehen, ohne sie zu beschämen.
Josef hat meinen Respekt, denn er verzichtet auf Vergeltung. Obwohl er beschämt wurde, will er sich nicht rächen. Das ist eine starke Haltung. Wenn das öfter gelingen könnte: nicht zurückschlagen, nicht mit gleicher Münze heimzahlen – die Welt wäre ein freundlicherer Ort.
Aber die Geschichte geht anders weiter, als Josef sich vorgestellt hat. Im Traum erscheint ihm ein Engel und sagt: «Fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen. Was sie empfangen hat, ist vom heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Jesus geben.»
Wenn einer entschieden hat, zu gehen, dann braucht es eine starke Kraft, um ihn zu halten. Manchmal muss sich ein Engel in den Weg stellen, um zu verhindern, sich davonzustehlen. So tut Josef, was er sich hat träumen lassen. Vom Engel ermutigt, lernt er, ein empfänglicher Mensch zu werden. Mag ihm das Kind noch so befremdlich erscheinen, er bleibt. Er wird an einem Leben beteiligt, das er nicht selbst hervorgebracht hat. Das Bild «ein Kind vom heiligen Geist» bedeutet: Dieses Kind hat eine andere Herkunft und seinen Ursprung in Gott. Und es wird die Welt für immer verändern: Es wird heilen und trösten. Es wird die Grenzen zwischen Völkern und Klassen, zwischen Sprachen und Geschlechtern überwinden. Es wird sich zu den Ohnmächtigen gesellen und den Versehrten nahe sein. Es wird Feinden die Hand reichen und Hass mit Liebe begegnen.
Dieses Kind bringt Heil in Josefs Leben. Denn er lernt, sich beschenken zu lassen. Das ist wohl das Geheimnis von Weihnachten: empfänglich werden. Das bedeutet: Ich übe eine Haltung ein, in der ich nicht erschaffe, sondern empfange. Ich verzichte darauf, zu erwirken und zu erzeugen und lasse zu, dass etwas auf mich zukommt. Gewiss, eine solche Haltung fällt vielen nicht leicht. Es fällt uns schwer, nicht immerzu etwas zu tun und anzupacken.Wir sind uns gewohnt, uns selbst immer wieder neu zu erfinden und darzustellen. Dahinter steckt die Drohung: Scheitern ist verboten. Weihnachten ist der Einspruch gegen dieses Diktat der Selbstoptimierung. Die Geburt Christi warnt: Wir zerstören uns, wenn wir uns einzig auf uns selbst verlassen: Und sie lehrt: Das Leben ist ein Geschenk und manchmal führt uns ein Engel auf ungewöhnliche Wege.
Josef schweigt noch immer. Aber er tut, was zu tun ist. Er nimmt Maria zur Frau und empfängt das Kind Gottes. Er bejaht eine Lebensgeschichte, die er sich nicht selbst ausgedacht hat. Vielleicht spüren wir das manchmal auch: Ich habe mir das alles nicht ausgesucht, aber ich kann mich trotzdem darin einfinden. Oder: Manches habe ich mir anders vorgestellt, aber es ist doch mein Leben. Ich nehme es an und bleibe offen für das, was Gott noch mit mir vorhat.
BRUNO BADER