Dritter Besuch beim Glacier de la Plaine Morte
25.08.2023 RegionZur symbolischen Unterstützung der eingereichten Gletscherinitiative wanderte die Klimagruppe Simmental im August 2021 zum ersten Mal von der Iffigenalp aus zum westlichen Rand des Glacier de la Plaine Morte. Verschiedene Referenzpunkte wurden damals als GPS-Daten festgehalten, um im ...
Zur symbolischen Unterstützung der eingereichten Gletscherinitiative wanderte die Klimagruppe Simmental im August 2021 zum ersten Mal von der Iffigenalp aus zum westlichen Rand des Glacier de la Plaine Morte. Verschiedene Referenzpunkte wurden damals als GPS-Daten festgehalten, um im folgenden Jahr über den Gletscherschwund zu berichten. Nun stand am 11. und 12. August der dritte Besuch bei «unserem» Gletscher auf dem Programm.
«Eines ist auch nach dieser zweitägigen ‹Expedition› klar: Der Plaine-Morte-Gletscher schmilzt rasant», schreibt die Klimagruppe Simmental in einer aktuellen Medienmitteilung. Das allein sei eigentlich keine Neuigkeit. «Es scheint jedoch, als müssten wir uns langsam von den herrlich weissen Gipfeln unserer heimischen Berge verabschieden.» Das würden auch offizielle Quellen bestätigen. So sind gemäss dem Schweizerischen Gletschermesswerk Glamos 2022 insgesamt rund acht Meter Eis abgeschmolzen.
Wie die Klimagruppe weiter schreibt, haben in der Schweiz die Gletscher letztes Jahr insgesamt 2,8 Billionen Liter Wasser verloren, was in etwa dem Gesamtvolumen aller Schweizer Stauseen entspricht. Diese dramatische Gletscherschmelze lässt sich auf drei Hauptgründe zurückführen: geringe Schneefälle im Winter und Frühjahr, Sand aus der Saharawüste, der das Rückstrahlvermögen verringerte, und eine aussergewöhnliche Hitzewelle im Sommer 2022 mit Rekordtemperaturen.
Wetterglück und beeindruckende Aufnahmen
«Trotz der aktuellen, alarmierenden Umwelthiobsbotschaften liessen sich die Teilnehmenden die Freude auf den erneuten Besuch des Gletschers nicht nehmen», so der Verein. Mit dabei war wie im Vorjahr der bekannte Naturfotograf Ernst Zbären (82). Dazu gekommen sind die beiden jungen Drohnenpiloten Renato Ramseier und Jean-Julien Wimmer – mit dem Ziel, Bilder und Videos aus der Höhe aufzunehmen, um nach der Rückkehr neue Ansichten des dahinschmelzenden Gletschers zu ermöglichen. Allfällige Flugbeschränkungen für die Region wurden im Vorfeld abgeklärt.
Die Gruppe hatte Glück mit dem Wetter und konnte den Gletscher bei optimalen Bedingungen erkunden. Dank dem kürzlich gefallenen Neuschnee sah der Gletscher aus der Ferne schön und sauber aus – im Gegensatz zu den dunklen Rillen und Schmelzwasserströmen des Vorjahres. «Es schien fast so, als hätte er sich für eine ‹Homestory› in der ‹Schweizer Illustrierten› herausgeputzt», schreibt die Klimagruppe. Von einem Aussichtspunkt (2884 m) nahe der Wisshorelücke aus starteten die Drohnen zu ersten Erkundungsflügen über den Gletscher und lieferten bereits beeindruckende Aufnahmen.
Nach lebhaften Diskussionen bei der SAC-Wildstrubelhütte (2788 m) in der warmen Abendsonne stand am Samstagmorgen der erneute Aufstieg zur Wisshorelücke an. Von dort aus begann der Abstieg zum Referenzfelsen am westlichen Rand des Glacier de la Plaine Morte (2700 m). «Als wir ihn im August 2021 zum ersten Mal besuchten, schaute der auffällige Felsblock nur wenig aus dem Gletschereis heraus. Im August 2022 konnten wir kaum glauben, dass unser Referenzfelsen jetzt ganz oben auf einem freistehenden Hügel stand, der von der Eismasse umgeben war. Und nun – ein weiteres Jahr später – ist der Felsblock endgültig ein Teil der steinigen Landschaft am Westrand des Gletschers geworden», erzählt der Verein.
Unter der Führung von Ernst Zbären marschierte die Gruppe von dort aus ein paar hundert Meter über den Gletscher zum nächsten Referenzpunkt. Aufgrund der Absenkung des Gletschers hat sich der ehemalige Steinhaufen in nur wenigen Jahren zu einem markanten Hügel entwickelt. Oben angekommen, holte Ernst Zbären seine Vergleichsbilder hervor. Am eindrucksvollsten war eine Schwarz-Weiss-Aufnahme aus dem Jahr 1925, welche aus ähnlichem Blickwinkel aufgenommen worden war. «Solche Erzählungen von Zeitzeugen wie Ernst Zbären lassen einen innehalten und darüber nachdenken, wie sehr sich die Landschaft um uns verändert. Es wird einem bewusst, dass wir zu den letzten Generationen gehören, die überhaupt noch heimische Gletscher bewundern können. Sind diese erst einmal verschwunden, werden sie nicht so leicht wieder zurückkehren», schreibt der Verein. Das Klima müsste über Jahrzehnte feucht und kalt sein, damit Gletscher langsam entstünden und wachsen könnten. Die Hochsommer müssten dazu so sein wie das Wetter im April oder Mai.
«Wenn wir als Region und Gesellschaft nur zuschauen, wie die Eisriesen dahinschmelzen, könnte es bald heissen: ‹Tschüss, Glacier de la Plaine Morte, war schön mit dir!› Also, lasst uns gemeinsam gegen den Klimawandel kämpfen und unserem Gletscher eine Chance geben, noch so lange wie möglich zu überleben», betont die Klimagruppe. Es wäre doch schön, wenn dort oben für zukünftige Generationen wenigstens genügend Schnee für eine fröhliche Schneeballschlacht oder der Bau eines Schneemannes übrig bleiben würde. Die Klimagruppe Simmental werde deshalb den grössten Plateaugletscher der europäischen Alpen auch im kommenden Jahr wieder besuchen.
PD/JOP
EINIGE GEDANKEN DER TEILNEHMENDEN VOR UND NACH DER GLETSCHEREXPEDITION
Jean-Julien Wimmer (31)
Vorher: «Ich finde Gletscher einerseits schön zum Anschauen und andererseits spannend, wie sie sich verändert haben. Insbesondere die Veränderung über die letzten Jahre ist bei vielen Schweizer Gletschern gut sichtbar. Der Schwund ist bildlich eindrücklich und macht zugleich traurig und Angst. Ich hoffe, mit der Expedition einen Eindruck vom Plaine-Morte-Gletscher zu erhalten und zu sehen, wie es um ihn steht.»
Nachher: «Den Gletscher hautnah zu betreten und anzuschauen, war sehr eindrücklich. So auf Eismasse zu gehen, war speziell. Ab und zu waren Spuren von Kies im Eis zu sehen. Sind diese Verunreinigungen stark, wirkt der Gletscher eher grau als weiss und das Abschmelzen beschleunigt sich zusätzlich. Wenn man am Fuss des Gletschers steht und hinaufschaut, wo er vor zwei Jahren, vor 100 Jahren stand, dann erschreckt einen der Unterschied. Rasant geht der Gletscherschwund voran. Noch zehn Jahre, und er ist weg!»
Hans Reuteler (72)
Nachher: «Als Gast durfte ich an dieser Expedition teilnehmen und zwei ganz eindrückliche Tage miterleben. Da ich viel in den Bergen unterwegs bin, war der Rückgang der Gletscher für mich nichts Neues. Auch dass sich der Prozess zunehmend beschleunigt, ist ja bekannt. Das Ausmass, das wir vor Ort angetroffen haben, präsentiert sich aber um einiges grösser als erwartet. Auf der Basis von alten Karten habe ich für die Zeit von 1945 bis 2000 eine Abnahme der Eisdicke von etwa einem Meter ermittelt. Heute sind wir bei fünf bis sechs Metern! Die aktuelle Situation lässt uns etwas ratlos zurück.»
Sonja Rubi (26)
Vorher: «Die dritte Expedition löst bei mir eine gewisse Anspannung und Besorgnis über die sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels auf den Gletscher aus. Ich überlege mir, wie stark der Gletscher im Vergleich zu den letzten beiden Jahren wohl abgenommen hat und was das für die Zukunft bedeutet.»
Nachher: «Aus einem ‹running gag› wurde bitterer Ernst. Denn noch vor zwei Jahren habe ich Werner nicht geglaubt, dass wir als Laien den Gletscherschwund nachweisen können. Nun, im dritten Jahr hintereinander auf dem Gletscher, überkommt mich ein Gefühl der Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit angesichts des rasant schwindenden Eises.»