Knochenjob im Beinhaus
24.03.2023 KulturMit Amaury Faivre stand am Samstag, 18. März im Beinhaus der reformierten Kirche ein Künstler auf dem Programm, der trotz zwei Jahrzehnten erfolgreicher Bühnenpräsenz noch als Geheimtipp gelten kann. Der in Besançon geborene und inzwischen bei Genf lebende Musiker ...
Mit Amaury Faivre stand am Samstag, 18. März im Beinhaus der reformierten Kirche ein Künstler auf dem Programm, der trotz zwei Jahrzehnten erfolgreicher Bühnenpräsenz noch als Geheimtipp gelten kann. Der in Besançon geborene und inzwischen bei Genf lebende Musiker hat sich nach Jahren in Gruppen und Duos vor einiger Zeit ganz dem Solo-Auftritt verschrieben und zelebriert seine Musik als direkten Austausch mit seinem Publikum. Kein Wunder also, dass der Funke übersprang und die rund 80 Zuhörer im ausverkauften Beinhaus sich von Faivres Energie schnell anstecken liessen.
Ein unscheinbares Kästchen, in bequemer Griffhöhe etwas neben Amaury Faivre platziert, sollte an diesem Abend noch zu Bedeutung gelangen. Oder besser gesagt, der Inhalt dieses Kästchens. Denn mit zwölf unterschiedlichen Mundharmonikas, die dort fein säuberlich sortiert und griffbereit eingesteckt waren, brachte Faivre seine ganz eigene Interpretation des Blues nach Zweisimmen.
Begleitet nur durch sich selbst an der Gitarre, einem dezent abgestimmten Fuss-Percussion brachte Faivre eigene Stücke ebenso zum Klingen wie die Musik alter Jazz- und Bluesmeister wie John Lee Hooker oder Fats Domino.
Musik als harte Arbeit
Ganz allein? Ja, ganz allein und dennoch alles andere als dünn, monoton oder gar langweilig. Faivre war trotz seines minimalistischen Auftritts von Mensch, Gitarre, Mundharmonika und Mikrofon geradezu die Antithese zum weltschmerzlastigen Friedensliedsänger à la Nicole oder Joan Baez. «Blues rocks» hätte stattdessen das Motto lauten können.
Launig begrüsst vom umtriebigen Jules van Enckevort, der bei dieser Gelegenheit zur Überraschung des Publikums selbst gekonnt zur Mundharmonika griff, verwandelte sich Faivre mit Beginn des Konzerts vom etwas unscheinbaren «Jungen mit der Gitarre» zu einem Energiebündel, das nicht zu stoppen war.
Sein Gesang, nicht selten in schnellem Wechsel mit einer per Haltegestell stets einsatzbereiten Mundharmonika, und gleichzeitig virtuoser (Selbst)-Begleitung an der Gitarre, liess schnell vergessen, dass hier keine Band am Werk war. Ein Einsatz, der sichtbar Kraft kostete, aber beim Publikum ankam.
Variable Stimme statt Geknarze
Faivres Stimme mag man als nicht so «bluesig» einordnen – kein knarzigharter Klang, der einem langjährigen Stimmtraining am Bartresen und in Fumoirs zu verdanken wäre. Vielmehr überraschte er mit einer Wandlungsfähigkeit und Präzision auch in höheren Stimmlagen und leisen Passagen. Und überhaupt: Geschickt gestaltete er sein Programm mit einer Mischung aus langsameren balladenhaften Titeln und rockig-aggressiveren Tönen.
Zugute kam ihm, der oftmals als «Akustik»-Musiker gehandelt wird, die perfekt abgestimmte, sanfte elektrische Verstärkung, mit der das Publikum auch in der letzten Reihe und bei den leisesten Tönen noch das Gefühl haben durfte, unmittelbar neben dem Musiker zu sitzen.
Nach zwei Zugaben und einer Konzertdauer von rund anderthalb Stunden verabschiedete sich der Solist von seinem Publikum. Ein Publikum, dass er zuvor zum Mitwippen, Mitklopfen und Mitklatschen gebracht hatte.
Faivre spielte an diesem Abend nicht einfach nur Musik, er liess Emotionen entstehen. Technische Beherrschung der Instrumente und der Stimme war nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck. Ansteckend und ins Mark treffend.
ARMIN BERGER/«SIMMENTAL ZEITUNG»

