Künstlerische Dokumentationen mit Lokalbezug
19.12.2022 KulturIm Chalet Naegeli an der Promenade öffnete letzten Freitag deren vierte Kunstausstellung, die in der Tradition der ersten steht: Lokalbezug, familiäre Atmosphäre und die Verbindung von mehreren Generationen. Die Kunst und das übergeordnete Thema regen zum nachdenken an ...
Im Chalet Naegeli an der Promenade öffnete letzten Freitag deren vierte Kunstausstellung, die in der Tradition der ersten steht: Lokalbezug, familiäre Atmosphäre und die Verbindung von mehreren Generationen. Die Kunst und das übergeordnete Thema regen zum nachdenken an und lassen viel Interpretationsspielraum offen.
NICOLAS GEISSBÜHLER
«Crossing Dimensions» heisst die neue Ausstellung im Studio Naegeli im gleichnamigen Chalet an der Gstaader Promenade. Dort werden während des nächsten Monats Kunstwerke von Tashi Brauen, Chris Bünter und Anna-
Lena Winterberger ausgestellt. Ausserdem sind Werke der Residenz-Künstler Anthony Bannwart und Pierre und Cédric Koukjian ausgestellt, von denen die meisten Werke im Chalet Naegeli entstanden sind. Auch das Mobiliar ist Kunst: Erneut spannt das Studio Naegeli mit der Röthlisberger Kollektion zusammen, die Designermöbel herstellt. Die Ausstellung steht aber nach wie vor in einem Zusammenhang mit Jacques Naegeli, dem berühmten Gstaader Fotografen.
Das Erbe Naegelis
Kuratorin der Ausstellung ist wieder Anna Högl-Fatyanova, die zusammen mit ihrem Mann Christian Högl die Galerie führt. Christian Högl ist der Urenkel von Jacques Naegeli, der 1914 das Chalet Naegeli bauen liess und darin ein Fotogeschäft leitete. Er wurde in der Folgezeit einer der wichtigsten Fotografen des Saanenlandes und war auch als Grafiker tätig. «Dadurch passt die Umwandlung von seinem Studio in eine Kunstgalerie gut», findet Anna Högl-Fatyanova. Mitten unter den modernen Kunstwerken hängt auch eine Fotografie von Jacques Naegeli aus dem Geltental, das sich ebenfalls in das Thema der Ausstellung einfügen lässt: Das Bild zeigt dem Betrachter eine Dimension, die es heute so nicht mehr gibt. Ausserdem bildet es auch als Foto die subjektive Wahrnehmung von Naegeli ab.
Risse und Berge
Der Hauptkünstler dieser Ausstellung ist der Schweizer mit tibetischem Hintergrund Tashi Brauen. Er malt in satten Farben auf ein sogenanntes Finnboard, eine Art Karton. Dieses reisst er dann ein – teils gezielt und gesteuert, teils zufällig. Durch diese Risse und das Nutzen der Materialeigenschaften entsteht eine neue Dimension auf dem Papier. «Gefunden» hat er diese Technik durch Zufall, wie er an der Vernissage erzählte: Er habe früher fotografiert und musste öfters sein Studio wechseln und dadurch alles Material transportieren. «Beim Transport ist dann einer dieser Kartons gerissen und ich fand sofort, das hat was.» Er habe schon länger den Einstieg in die Malerei finden wollen und sah diesen Anstoss als Gelegenheit. Es gab ihm eine gewisse Freiheit, von der Perfektion der Fotos wegzukommen. «Wenn das Papier eingerissen ist, dann ist es nicht mehr möglich, dies rückgängig zu machen, dann ist das Werk einfach so wie es ist», erklärt Tashi. Heute vermisst er aber die Kontrolle, die man in der Fotografie hat und arbeitet in Zukunft wohl vermehrt mit beiden Kunstformen.
Zwischen den bestechend farbigen Bildern von Tashi hängen Schwarz-Weiss-Bilder. Es sind Fotografien von Anna-Lena Winterberger, einer jungen Fotokünstlerin aus dem Saanenland. Ihre Bilder haben, obwohl es Fotos sind, etwas Surreales. Sie zeigen die verschneite Gummfluh und das Wittenberghorn, aufgenommen von Turbach aus. Damit schaffen die Bilder einen perfekten Übergang zwischen der Landschaftsfotografie von Jacques Naegeli aus dem Geltental und Tashi Brauens moderner Kunst.
Dimensionen durchbrechen
Auch der dritte Künstler, dessen Werke ausgestellt werden, fügt sich gut in dieses Konzept ein: Chris Bünter arbeitet mit Formen und Grautönen. Bei den ausgestellten Werken machte er Collagen oder arbeitete mit verschiedenen Grafitstiften und Radiergummis. Dadurch entstehen wieder neue Dimensionen, sei es auch nur das Auseinandersei es auch nur das auseinanderschneiden und neu Zusammensetzen von Bildern.
Er und Tashi kennen sich gut und haben auch schon gemeinsame Projekte realisiert, bei denen sie gemeinsam am selben Objekt gearbeitet hatten – jeder in seinem Stil und mit seinen Methoden. Damit seien erneut neue Dimensionen geöffnet worden, auch mit dem Ausstellen der Werke, da sie immer anders inszeniert wurden. «Wir haben jeweils auf den Ort reagieren wollen, um so nochmals neue Ideen zu erhalten», sagt Bünter. Wäre doch perfekt für das Motto dieser Ausstellung gewesen? Dem stimmt Chris Bünter zu, allerdings hätten sie fast alle dieser gemeinsamen Bilder bereits verkauft.
Vor Ort erschaffen
Neben den eingeladenen Künstler waren auch Werke der Residenz-Künstler ausgestellt. Diese schufen im letzten Sommer, respektive Herbst ihre Werke direkt in den Räumlichkeiten des Studios Naegeli. Auch sie arbeiteten mit verschiedenen Dimensionen, so entstand beispielsweise auch das Werk des Lokalkünstlers Anthony Bannwart. Er schuf ein Bild, in dem er den Rahmen horizontal platzierte, diesen mit Farbpigmenten bestückte und dann mit Harz befüllte. Das Zusammenspiel von Harz und Farbe – teils zufällig, teils durch das Pusten Bannwarts beeinflusst – ergibt ein buntes und mehrdimensionales Bild.
Am Ende stehen alle Kunstwerke in einem gewissen Zusammenhang, wie Anna Högl-Fatyanova sagt: «Die Werke sind künstlerische Dokumentationen, die aus ihren gewohnten Dimensionen ausbrechen.» Alles schön inszeniert in einer modernen Galerie, sind die Designermöbel von Röthlisberger das Tüpfchen auf dem i. Die modernen Werke der bildenden Kunst sind dabei geschickt zwischen den Bildern aus der Region und den Möbeln eingebettet.
Mehrere Bezugspunkte zur Region
Neben dem Fortsetzen in einer leicht umgedeuteten Form des Studios von Jacques Naegeli gibt es mit den Bildern von Anna-Lena Winterberg und dem historischen Bild von Jacques Naegeli weitere Punkte, mit denen das Studio den Bogen zwischen der modernen Kunst und der Naturlandschaft des Saanenlandes zu schlagen versucht. Doch auch die modernen Werke stammen ausschliesslich von Schweizer Künstler:innen oder solchen Künstlern, die eine Zeit lang in Gstaad lebten.
Auch Tashi Brauen erzählt, er habe persönliche Erinnerungen an die Region: In seiner Jugend war er mehrmals in Saanenmöser im Skilager – und kann sich auch noch an den einen oder anderen Abend in der Grotte in Schönried erinnern.