Länderübergreifende Harmonien

  16.09.2022 Gstaad

Holland, Polen, Ungarn, Amerika und viele Nationen mehr – vereint durch junge talentierte Musiker im gemeinsamen Konzert. Mit dabei auch Janne Kernen aus Saanenmöser. Das Internationale Jugendorchester Darmstadt gastierte bereits zum dritten Mal in der Partnergemeinde Saanen.

SONJA WOLF
Kannten Sie schon folgendes Rezept für ein gut gelingendes, nationenverbindendes Konzert? Die Ausführung des Rezeptes ist folgende: Die Stadt Darmstadt versendet seit 1988 jährlich an all ihre 16 Partnerstädte Einladungen, um junge Musiker zwischen 14 und 19 Jahren bei sich empfangen zu können. Zusammen mit jungen Darmstädter Musikern entsteht so jedes Jahr ein neues, bunt gemischtes Orchester aus verschiedene Nationen, verschiedenen Altersstufen, mit unterschiedlichen Instrumenten und auch unterschiedlichen Niveaus in der Beherrschung der Instrumente. Eine Herausforderung für den musikalischen Leiter Norbert Müller! Dieser hat gerade mal drei Halbtage Zeit, die Musiker in den Proben kennenzulernen und ein anspruchsvolles Programm mit ihnen einzustudieren. Höchste Flexibilität ist gefragt: Am Abend nach dem ersten Probetag kann es durchaus vorkommen, dass sich Müller noch einmal an den Computer setzen und Partituren umschreiben muss, weil einer der beiden Fagottspieler kurzfristig abgesagt hat oder ein ganzes Stück aus dem Programm nehmen muss, weil zu wenige Streicher da sind.

Und dann ist Showtime! Am vergangenen Sonntag trat das Internationale Jugendorchester zunächst in Darmstadt auf, am Montag war bereits die Reise nach Gstaad und am Dienstag die Aufführung im Kirchgemeindehaus. Denn das ist der zweite Teil der internationalen Konzertidee: Nach dem Hauptkonzert in Darmstadt geht es jeweils in eine andere der 16 Partnerstädte auf Konzertreise. Die Partnergemeinde Saanen kam schon drei Mal in den Genuss der Aufführungen: neben der diesjährigen auch in den Jahren 1995 und 2010.

Im Zeichen des Friedens
Das Ergebnis der kurzen Probezeit war jedenfalls beeindruckend. Der erste Teil war ganz im Zeichen der Friedens – oder wie der musikalische Leiter Müller es ausdrückte: «Wir möchten mit unserem heutigen Konzert Zuversicht verbreiten. Denn hier musizieren Menschen aus Europa und den USA in einer wunderbaren Harmonie. Sie sind unsere Botschafter für Frieden, Freiheit und Freude.» Der Abend begann gleich mit der Prélude aus Marc-Antoine Charpentiers «Te Deum». Die eingängige Melodie ist vielen als Eurovisionshymne bekannt, die auch im Fernsehen immer dann gespielt wurde, wenn eine Sendung in mindestens drei Ländern gleichzeitig live übertragen wurde.

In memoriam
Da das Darmstädter Konzert am 11. September stattfand, wurde symbolträchtig auch «Only Time» von Enya zum Besten gegeben. Das Stück war vor 21 Jahren zu trauriger Berühmtheit gelangt, als es regelmässig zur musikalischen Untermalung der Fernsehübertragungen zu den Terroranschlägen diente. «Der 11. September ist auch für Darmstadt ein besonderer Tag», ergänzte Müller, denn vor genau 78 Jahren wurde Darmstadt im Zweiten Weltkrieg in einer furchtbaren Brandnacht zum grossen Teil zerstört.

Gemeinsam gegen die Gräuel des Krieges
Auch der Krieg in der Ukraine wurde in verschiedenster Weise aufgenommen. Das «Sabbath Prayer» ist aus dem Musical «Anatevka». Die Handlung des Musicals passt auch in die heutige Zeit: Aus einem kleinen ukrainischen Dorf wurden Anfang des letzten Jahrhunderts Bewohner von russischen Soldaten vertrieben, damals wegen ihres jüdischen Glaubens. Zur eindrücklichen Melodie hatte Müller einen anderen Text arrangiert: Das bekannte Friedensgebet, das Franz von Assisi zugeschrieben wird. Es wurde von einer der Violistinnen mit glockenklarer Stimme vorgetragen. Kirchenmusiker Ulrich Pietsch, der für das Darmstädter Jugendkonzert jedes Jahr ein eigenes Stück beisteuert, hatte sich etwas Besonderes ausgedacht: Zu einer Melodie aus der Ukraine, die sich in den deutschen Kirchengesangbüchern findet, hatte er eine Orchesterfantasie komponiert. Dazu gab es gesprochene Texte aus dem «Stunden-Buch» von Rainer Maria Rilke.

Die Kollekte des Abends ging bezeichnenderweise an die Gemeinde Ushgorod in der Ukraine, eine weitere Partnerstadt von Darmstadt.

Musikalisches Geschenk an Saanen
Der zweite Teil des Abends war dann ganz der Schweiz gewidmet, als «unser musikalisches Geschenk an Saanen und Gstaad», so Norbert Müller.

Ulrich Pietsch etwa hatte ein zweites Mal komponiert: Variationen über den Schweizerpsalm. Dazu gab es Alphornklänge von Janne Kernen aus Saanenmöser, dem einzigen Teilnehmer aus dem Saanenland in der diesjährigen Formation des Internationalen Jugendorchesters.

Janne Kernen durfte als Solist noch einmal im «Blausee» performen, was sogar einen Bezug zum Berner Oberland herstellte. «Sie glauben gar nicht, wie erstaunt Darmstadt war, als ein junger Mann auf die Bühne kam mit einem Instrument, das etwa drei Meter fünfzig lang ist!», scherzte der musikalische Leiter Müller über die Wirkung, die Jannes Auftritt auf das Darmstädter Publikum ausgeübt hatte.

Der krönende Abschluss des Konzerts war schliesslich das Finale der Ouvertüre zu Rossinis «Wilhelm Tell», dem beliebten Schweizer Nationalhelden. Durchmischt wurde die Schweizer Hommage durch wunderbar engagiert vorgetragene «Ohrwürmer» wie ein James-Bond-Medley, Michael Jacksons «Heal the World» oder Ludwig van Beethovens «Ode an die Freude». In wenigen Worten: ein kurzweiliger und gleichzeitig doch politisch-sozial nachdenklich stimmender Abend.


EINE KOMPLEXE ORGANISATIONS AUFGABE!

Die 33 Jugendlichen aus aller Welt müssen natürlich untergebracht und verpflegt werden. Durch ein Kulturprogramm soll ihnen auch die jeweilige Gastgeberstadt näher gebracht werden. Eine spannende Aufgabe für die beiden organisierenden Gemeinden.

Irene Schewe aus dem Amt für Vielfalt und Internationale Beziehungen der Stadt Darmstadt und Markus Iseli, Leiter der Abteilung Bildung, Soziales und Sicherheit der Gemeinde Saanen, sind für die Städtepartnerschaften zuständig und kümmern sich jeweils darum, dass bei den Zusammenkünften des Internationalen Jugendorchesters alles rund läuft.

Die angereisten Jugendlichen waren während ihrer Darmstadt-Tage bei den Familien der teilnehmenden Darmstädter Musiker untergebracht, während der Saaner Konzertreise dann gemeinschaftlich in der Sport-Lodge. Die Reise wird jeweils von der entsendenden Gemeinde finanziell unterstützt, Kost und Logis übernimmt die empfangende Gemeinde.

Das Rahmenprogramm im Saanenland bestand dieses Mal aus einem Kulturprogramm in Saanen mit Menuhin-Center, Orgelspiel und Kirchturm, dem Besuch der Käsegrotte, einer Wanderung zum Lauenensee, den Angeboten im Sportzentrum und einem Kinoabend.

Laut Markus Iseli nehmen aus Saanen jährlich ein bis vier junge Musikerinnen und Musiker an dem internationalen Event teil.

SONJA WOLF


Zutaten

– 33 junge Musiker aus 10 verschiedenen Städten von überall auf der Welt: Italien, Grossbritannien, Holland, Polen, Ungarn, Amerika, der Türkei und Deutschland.
– 2 Dirigenten, die auf wundersame Weise arrangieren und komponieren, sodass die Vielfalt der Nationen und Musikniveaus zu einer Einheit verschmelzen.
– 2 Partnerstädte, die das vielschichtige Event organisieren.

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote