Lauenen feiert den Beitritt als Bergsteigerdorf
04.08.2025 LauenenAm 1. August wurde Lauenen im feierlichen Rahmen der Bundesfeier offiziell in das internationale Netzwerk der Bergsteigerdörfer aufgenommen – als erstes Dorf im Kanton Bern. Zahlreiche Ehrengäste aus der Politik, von Alpenvereinen der Nachbarländer und aus der ...
Am 1. August wurde Lauenen im feierlichen Rahmen der Bundesfeier offiziell in das internationale Netzwerk der Bergsteigerdörfer aufgenommen – als erstes Dorf im Kanton Bern. Zahlreiche Ehrengäste aus der Politik, von Alpenvereinen der Nachbarländer und aus der Region wohnten dem Anlass bei. Die Initiative steht für naturnahen Tourismus, gelebte Alpinkultur und die Philosophie: «Weniger, dafür besser.»
SONJA WOLF
«Jetzt schnell mal langsam – so tönt es in meinem Grusswort in unserer neuen Broschüre über das Bergsteigerdorf Lauenen», eröffnete Gemeindepräsidentin Ruth ihre Rede zur feierlichen Beitrittsfeier auf dem Geltenhorn-Platz. Es schien tatsächlich ein langer Weg zu sein vom Anstoss zur Kandidatur bis zum offiziellen Beitritt, doch «der Weg hat sich gelohnt», so Ruth Oehrli.
Wir erinnern uns: Die Idee entstand nach der Coronazeit, als der Lauenensee von Besucherströmen überrollt wurde. Viele Einheimische äusserten daraufhin beim «Forum Lauenen» 2021 den Wunsch nach einem gemässigteren, naturverbundenen Tourismus. Der Gemeinderat griff den Impuls auf und reichte 2022 die Kandidatur zum Bergsteigerdorf ein (wir haben berichtet). Und nun ist es so weit: Lauenen trägt seit dem 1. August offiziell den Namen «Bergsteigerdorf» und ist damit Teil der insgesamt 43 Bergsteigerdörfer aus fünf Alpenländern (siehe Kasten).
Was bedeutet das neue Label für das Dorf?
Julia Isler, die SAC-Projektleiterin, die Lauenen und die anderen Schweizer Bergsteigerdörfer eng begleitet, hob in ihrer Ansprache hervor, dass es beim Bergsteigerdorf nicht nur um Landschaft oder Bergsport gehe, sondern um die Menschen, die einen Ort prägen. Es gehe darum, innezuhalten und zu würdigen, was frühere Generationen geschaffen haben: «Es sind nicht irgendwelche grossartigen Slogans, sondern das alltägliche Wirken der kleinen Helden im Alltag – auf den Weiden, im Dorfladen, in der Schulgemeinde – welches ein Dorf lebendig macht.»
Diese Bodenständigkeit und Verbundenheit sei es auch, die alle 43 Bergsteigerdörfer über den Alpenbogen hinweg verbinde – ebenso wie die gelebte Solidarität im Netzwerk: Die Mitgliedsdörfer denken aneinander, unterstützen sich und tauschen Erfahrungen aus. An den Jahrestagungen sei es «als würde man seine grosse Familie wieder treffen», sagte Isler sichtlich gerührt.
Über das Dokument, das im Anschluss von den Gemeinderatsmitgliedern und dem SAC unterschrieben wurde, sagte die Projektleiterin, dass es kein Vertrag im rechtlichen Sinn sei, sondern vielmehr ein bewusstes Zeichen: «Diesen Weg werden wir gemeinsam gehen!»
Was ist die Initiative Bergsteigerdörfer?
Bergsteigerdörfer sind kleine, ruhige Orte, die sich dem sanften Tourismus verschrieben haben. Im Zentrum der Initiative stehen der sorgsame Umgang mit der Gebirgswelt sowie die Stärkung der regionalen Wertschöpfung.
Projektträger sind die Alpenvereine von Österreich, Deutschland, Italien, Slowenien und der Schweiz. Der SAC koordiniert und leitet das Projekt in der Schweiz und arbeitet eng mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und den lokalen Projektleitenden zusammen.
Welche Dörfer sind Teil der Initiative?
Insgesamt gehören 43 Dörfer in fünf Ländern zum Netzwerk mit Lauenen als neustes Mitglied.
Seit dem Beitritt der Schweiz 2021 zählen ausserdem St. Antönien (GR) und die Dörfer Lavin, Guarda und Ardez im Unterengadin zu den Mitgliedern. Es folgten Valle Onsernone (TI), Campo Vallemaggia (TI) und nun Lauenen als fünftes Schweizer Bergsteigerdorf und als erstes im Kanton Bern.
Welche Kriterien muss ein Dorf erfüllen, um aufgenommen zu werden?
Die Aufnahme in das Netzwerk der Bergsteigerdörfer erfolgt nach einem strengen Kriterienkatalog. Zu den zentralen Anforderungen gehören:
– eine intakte Natur- und Kulturlandschaft ohne grossflächige technische Erschliessungen oder intensive Wintersportanlagen
– ein unverfälschtes, harmonisches Ortsbild
– eine dörfliche Struktur mit begrenzter Einwohnerzahl (unter 2500) und kleinen Betriebsgrössen
– nachhaltige Bergland- und Forstwirtschaft
– aktiver Natur- und Landschaftsschutz
– umweltfreundliche Mobilität und Verzicht auf motorisierten Individualverkehr ausserhalb öffentlicher Strassen
– eine lebendige Alpinkompetenz mit gut betreutem Wegenetz und qualifizierter
Alpinberatung.
Zudem ist der gemeinsame Wille der lokalen Akteure (Gemeinde, Tourismus, Alpenverein, Bevölkerung) zur Zusammenarbeit entscheidend und die Alpenkonvention muss fester Bestandteil der Gemeindepolitik sein. SAC/swo
Mehr Infos: www.bergsteigerdoerfer.org/lauenen
Vize-Gemeindepräsident Pascal Bangerter im Interview
«Mit dem arbeiten, was wir haben»
SONJA WOLF
Pascal Bangerter, das Label «Bergsteigerdorf» klingt attraktiv. Läuft man da nicht Gefahr, noch mehr Besucher:innen anzuziehen – genau das, was Lauenen ursprünglich nach dem Run auf den Lauenensee vermeiden wollte?
Diese Frage haben wir uns natürlich gestellt. Aber wir glauben nicht, dass das Label automatisch zu einem Massenansturm führt. Im Gegenteil: Es spricht ein ausgewähltes Publikum an – Menschen, die Ruhe, Ursprünglichkeit und Nachhaltigkeit suchen. «Bergsteigerdorf» meint ja nicht wortwörtlich, auf einen Gipfel zu steigen. Es geht um Nachhaltigkeit, Dorfgemeinschaft, um das Wertschätzen des Bestehenden.
Was verspricht sich Lauenen konkret vom Beitritt zum Netzwerk?
Wir wollen damit die Besucherzahlen nicht grundsätzlich erhöhen, sondern die passenden Besucher ansprechen. Das Netzwerk bringt uns zudem den Austausch mit anderen Dörfern, was gerade bei Themen wie Besucherlenkung sehr wertvoll ist.
Welche Projekte stehen aktuell im Fokus?
Ein zentrales Anliegen ist die Besucherlenkung, zum Beispiel rund um den Lauenensee. Ausserdem setzen wir mit der Sanierung des Ferienlagers ein Zeichen für sanfte Entwicklung. Wir wollen nicht komplett Neues erfinden, sondern mit dem arbeiten, was wir haben.
Julia Isler, Projektleiterin Bergsteigerdörfer beim SAC, im Interview
«Gemeinsam einzigartig»
SONJA WOLF
Julia Isler, Sie begleiten als Projektleiterin Dörfer auf dem Weg zum Bergsteigerdorf. Wie läuft dieser Aufnahmeprozess genau ab?
Ein Dorf, das sich interessiert, meldet sich bei uns – beim SAC. Auch wir gehen aktiv auf potenzielle Kandidaten zu. Wir prüfen dann gemeinsam die Kriterien (siehe Kasten, Anm. d. Red.) und klären, ob das Dorf grundsätzlich ins Netzwerk passen könnte. Wenn ja, erarbeiten wir zusammen das Bewerbungsdossier. Dieses wird zuerst vom SAC geprüft, dann folgt die Präsentation vor der internationalen Steuerungsgruppe, die aus sechs Alpenvereinen besteht. Dort entscheidet sich, ob das Dorf aufgenommen wird.
Also ist es ein längerer Weg?
Ja, durchaus. Es braucht mehrere Treffen, Abstimmungen und auch die Mitwirkung der Bevölkerung. Ich war zum Beispiel dreimal persönlich in Lauenen, habe an Gesprächen mit dem Gemeinderat teilgenommen, bei der Gemeindeversammlung informiert und begleitet, als die Bewerbung Form annahm.
Was passiert nach dem offiziellen Beitritt?
Der Titel ist nicht das Ende, sondern der Anfang. Die Dörfer bleiben Teil des Netzwerks. Wir treffen uns monatlich online, tauschen uns aus, arbeiten gemeinsam an Ideen und Projekten.
Wie sieht das konkret aus?
Ein Beispiel: unser neuer Marktstand mit Infomaterial, den die Dörfer einfach anpassen und einsetzen können – wie heute hier in Lauenen. Oder wir bieten Unterstützung für Betriebe: etwa, wie ein Hof sich nachhaltiger ausrichten kann. Und wir vernetzen die Dörfer untereinander – denn oft haben sie ähnliche Herausforderungen.
Wie viele Dörfer interessieren sich aktuell für die Initiative?
Seit unserem Start 2020 in Graubünden wird die Initiative bekannter. Inzwischen kommen Gemeinden selbst auf uns zu. In manchen Fällen sagen wir auch ehrlich: Es gibt bessere Instrumente für euch. Aber wenn Interesse da ist und der Wille zur Zusammenarbeit, dann schauen wir es uns gern gemeinsam an.
Wie stellen Sie sicher, dass ein Bergsteigerdorf-Titel nicht einfach «einschläft»?
Das ist tatsächlich eine Gefahr. Je besser die Verankerung im Dorf, desto lebendiger bleibt die Initiative. Darum ist der Austausch so wichtig – und unser Ziel ist es, mindestens einmal im Jahr persönlich in jedem Dorf vor Ort zu sein.
Was bedeutet für Sie persönlich ein Bergsteigerdorf?
Gemeinsam einzigartig – so beschreibe ich es gern. Jedes Dorf hat eigene Stärken, eigene Geschichten. Wir geben Impulse, aber gestalten muss es jede Gemeinde selbst. Das macht es spannend und lebendig.