Politische Ämter: Frauen, traut Euch!
14.10.2025 PolitikSeit den letzten Gemeinderatswahlen ist das Saanenland – zumindest auf präsidialer Ebene – in Frauenhand. Anders sieht die Frauenquote in den Gemeinderäten aus. Dabei könnten Frauen in die Bresche springen, wenn händeringend Nachfolger:innen für ...
Seit den letzten Gemeinderatswahlen ist das Saanenland – zumindest auf präsidialer Ebene – in Frauenhand. Anders sieht die Frauenquote in den Gemeinderäten aus. Dabei könnten Frauen in die Bresche springen, wenn händeringend Nachfolger:innen für freigewordene Gemeinderatssitze gesucht werden. Aber sie tun es nicht oder nur sehr selten. Warum eigentlich?
KEREM S. MAURER
Durch die binäre Geschlechterbrille betrachtet ist rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung weiblich. Dennoch sind landesweit die Frauen in der Kommunalpolitik deutlich in der Unterzahl. Wie deutlich, hat das Forschungsprojekt «Promo Femina» der Fachhochschule Graubünden in Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsbüros in einer Studie untersucht. Gemäss den Daten von 2019 bis 2025 von zehn Kantonen, die sich am Projekt beteiligt haben, werden gegenwärtig rund 28 Prozent der Sitze in den Gemeindeexekutiven und 35 Prozent in den Legislativen von Frauen besetzt. Das Saanenland, in dem derzeit alle drei Gemeinden von Frauen präsidiert werden, bildet schweizweit eine Ausnahme. Doch der Anteil von Frauen in den hiesigen Gemeinderäten, liegt (Lauenen 33 Prozent, Gsteig 22 Prozent, Saanen 12,5 Prozent) ausser in Lauenen deutlich unter dem Durchschnittswert.
Politik als Lebensschule
Die Gsteiger Gemeinderätin Cornelia Walker, die 2023 ins Amt gezwungen wurde – sich heute jedoch freiwillig wählen liesse, wenn sie den Zeitpunkt selbst bestimmen könnte –, findet, es brauche mehr «Mutmacher:innen», damit mehr Frauen in die Gemeindepolitik eintreten. Die Saaner Gemeinderätin Particia Matti betont, es brauche für alle, die ein solches Amt ausüben, Verständnis und Unterstützung im und aus dem privaten Umfeld. «Jede beziehungsweise jeder kann diese Unterstützung bekommen und den Schritt in die Politik wagen», so Matti. Und Lauenens Gemeinderätin Brigitte Klenk spricht einen weiteren Punkt an: Oft höre sie, dass Frauen mit dem öffentlichen Druck nicht umgehen und mit den komplexen Geschäften überfordert seien. Doch: «Die Frauen sollten wissen, dass sie als Gemeinderätin nicht alleine unterwegs sind», führt Klenk aus und unterstreicht, dass Entscheidungen – auch unpopuläre – nicht als Privatperson, sondern im Gremium gefällt würden. Die Geschäfte, so Brigitte Klenk, seien zwar komplex, doch es stünden einem in allen Belangen qualifizierte Fachkräfte zur Seite. Auch könne man sich auf unterstützende Mitarbeiter:innen in der Verwaltung verlassen. Claudia Ryter, ebenfalls Gemeinderätin in Lauenen, wünscht sich mehr Frauen mit Kindern in der politischen Arbeit.
«Diese machen einen wichtigen Anteil unserer Bevölkerung aus und sind durch ihre Kinder mit der Schule und der Gemeinde eng verbunden», sagt sie. Zudem würde sie sich über die Sichtweise und das Engagement von Frauen auch bei anderen Themen freuen. Ein kommunalpolitisches Amt gebe einem die Möglichkeit, Neues zu lernen über Gesetze, Wasserleitungen, Vorgehensweisen, Steuerfüsse, Problemlösungen, Feuerwehrfahrzeuge und nicht zuletzt über die Menschen mit all ihren Facetten. Saanens Gemeindepräsidentin Petra Schläppi sieht das ähnlich. «Politik ist eine Lebensschule. Man lernt, Verantwortung zu übernehmen, mit Kritik umzugehen und auch, wie viel man in einer Gemeinde bewegen kann», sagt sie.
Politik als Chance
Das Finden von Gemeinderäten, egal ob Männlein oder Weiblein, gestaltet sich speziell in kleinen Gemeinden zusehends schwieriger. Frauen könnten die Lösung für dieses Problem sein – doch offenbar wollen sie nicht. Die «Promo Femina»-Studie ist diesem Sachverhalt auf den Grund gegangen. Ruth Nieffer, Mitinitiantin der Studie, schreibt auf Anfrage: «Unsere Erkenntnisse aus Gesprächen mit Frauen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund und Arbeitspensum, mit und ohne Betreuungsaufgaben zeigen: Strukturelle, informatorische, psychologische und soziale Rahmenbedingungen erschweren den Zugang zur politischen Teilhabe.» Als Beispiel führt Nieffer aus, dass Frauen oft weniger über die Anforderungen wie auch die Chancen zur persönlichen Entwicklung, die ein politisches Amt mit sich bringe, wüssten. Oft hätten Frauen Bedenken, für ein solches Amt kompetent genug zu sein. Auch sei die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und familiären Betreuungsaufgaben gesellschaftlich bedingt noch immer ein Balanceakt.
«Die über 120 Massnahmen der Studie zielen darauf, die Transparenz zur Milizarbeit zu erhöhen, Kandidatinnen zu ermutigen; Netzwerken und Parteien Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen sowie Gemeinden zu inspirieren, über bestehende Rahmenbedingungen der Milizarbeit nachzudenken und diese zu verändern», erläutert Ruth Nieffer. Da die Hälfte der Bevölkerung weiblich sei, müsste es das Ziel sein, systematische Unterschiede auszugleichen und die strukturelle Untervertretung von einem der beiden Geschlechter zu verhindern. Ein idealer Einstieg für Frauen in eine Gemeinderatskarriere ist laut Lauenens Gemeindepräsidentin Ruth Oehrli die Wahl in eine Kommission.
«Politik macht Spass!»
Für unsere Gemeinderätinnen ist es allerdings weniger wichtig, wer in einem Gremium sitzt, als viel mehr, wie man miteinander umgeht. Patricia Matti bringt es auf den Punkt: «Wichtig ist, respektvoll miteinander umzugehen und gegenseitig die Wertschätzung füreinander haben.» Auch für unsere drei Gemeindepräsidentinnen spielt das Geschlecht der Kommunalpolitiker:innen eine untergeordnete Rolle. Ruth Oehrli, Gemeindepräsidentin von Lauenen, sagt es so: «Meiner Meinung nach geht es um die Person und nicht um das Geschlecht. Eine Sache anzupacken und sie zu Ende zu führen, ist eine Eigenschaft, die man besitzt oder eben nicht.» Auch für Petra Schläppi steht die Leistung im Zentrum. «Wenn Frauen gute Arbeit leisten – und das tun sie –, sollen sie genauso selbstverständlich in Führungspositionen oder in der Politik Einsitz nehmen können wie Männer.» Entscheidend sei, dass Frauen durch ihre Kompetenz sichtbar und anerkannt würden. Auch für Gsteigs Gemeindepräsidentin Barbara Kernen ist eine «auf Biegen und Brechen» durchgesetzte Frauenquote in der Politik nicht zielführend, denn: «Seit jeher habe ich immer betont, dass es in erster Linie wichtig ist, dass eine Person einen Job oder ein Amt bekleidet, das sie mit Freude, Leidenschaft und Herzblut ausübt», sagt sie. Erst in zweiter Linie sei es natürlich schön, wenn «in gewissen Männerdomänen oder männerlastigen Gremien» vermehrt Frauen Einsitz nähmen. Und noch einmal Petra Schläppi: «Vielleicht müssen wir Frauen auch einfach einmal sagen: Politik macht Spass!» Man lerne sehr viel in einem Amt, knüpfe spannende Kontakte und könne etwas bewegen. Wenn diese Seite stärker sichtbar werde, steige hoffentlich bei den Damen das Interesse an der Politik, und: «Wer weiss, vielleicht gelingt es uns drei Gemeindepräsidentinnen, als Vorbild wahrgenommen zu werden, und weitere Frauen zu inspirieren, sich so ein Amt zuzutrauen.»
PROMO FEMINA, DAS FORSCHUNGSPROJEKT
Das Ziel des Projekts ist die Förderung des politischen Engagements von Frauen auf Gemeindeebene. Dazu will das anwendungsorientierte Forschungsprojekt «Promo Femina» anregen und ein praxisnahes Online-Tool zur Verfügung stellen. Dieses richtet sich zum einen direkt an Frauen, die sich über die Möglichkeiten und Anforderungen eines politischen Engagements auf Gemeindeebene informieren und ihre Eignung sowie die nächsten Schritte abschätzen wollen. Indem das Online-Tool konkrete Massnahmen aufzeigt, unterstützt es zum anderen Gemeinden, Netzwerke und Lokalparteien dabei, Frauen für ein politisches Engagement zu gewinnen. Das Online-Tool soll folglich allen Akteurinnen und Akteuren ein Werkzeug bieten, damit sie die Erhöhung des Frauenanteils in der Gemeindepolitik angehen und umsetzen können.
Auf der Basis von Einzelinterviews und Fokusgruppen mit Interessentinnen, Politikerinnen und Expertinnen haben sich 17 zentrale Herausforderungen ergeben. Für jede dieser Herausforderungen sind mehrere konkrete Massnahmen (insgesamt 120 Massnahmen) verfügbar, mit welchen Netzwerke, Lokalparteien und Gemeinden zur Frauenförderung in der Gemeindepolitik beitragen können.
Die Studie «Promo Femina» stützt sich einerseits auf bestehende Umfragen, um die Motivation sowie die Sorgen von Frauen hinsichtlich eines politischen Engagements zu verdeutlichen. Andererseits enthält sie selbst erhobene Daten zur Situation in den am Projekt beteiligten Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Graubünden, St.Gallen, Wallis und Zürich.
Quelle: https://promofemina.fhgr.ch