Herzblut für gute Literatur
30.10.2023 KulturDer Literarische Herbst Gstaad endete am Sonntag erfolgreich, aber mit einem Wermutstropfen: Liliane Studer, die das Festival acht Jahre lang tatkräftig begleitet und als Moderatorin durch unzählige Lesungen geführt hatte, gab ihren Rücktritt bekannt.
...Der Literarische Herbst Gstaad endete am Sonntag erfolgreich, aber mit einem Wermutstropfen: Liliane Studer, die das Festival acht Jahre lang tatkräftig begleitet und als Moderatorin durch unzählige Lesungen geführt hatte, gab ihren Rücktritt bekannt.
LOTTE BRENNER
Rund ein Dutzend Autorinnen und Autoren, fachkundig moderiert und in gediegener Atmosphäre, lasen aus ihren Werken. Es gab Gespräche über Literatur, so unter anderem auch wieder auf dem traditionellen literarischen Spaziergang von Schönried nach Saanenmöser. Die Austragungsorte waren übers Saanenland verteilt. Es waren dies die Jugendherberge Saanen, das Kultlokal La Vache Bleue, Saanen, die Hotels Alpenland in Lauenen, Gstaaderhof in Gstaad und das Golfhotel Les Hauts de Gstaad in Saanenmöser.
Was anfänglich im Saanenland bescheiden anfing, ist heute über die Grenzen hinaus bekannt. Es reiste denn auch Publikum aus dem Unterland an. Auch heuer war das Festival wiederum eine Fundgrube für Liebhaber von guten Büchern.
Im Gespräch der Moderator:innen mit den Schriftstellerinnen und Schriftstellern kommen Gedanken zwischen den Zeilen zum Vorschein, die beim Lesen manchmal unbemerkt übergangen werden. Der Lesestoff ist so zum Greifen nah. Die vier Vereinsmitglieder moderierten lebendig, neugierig und entlockten den Lesenden Beweggründe und Hintergedanken, die sie zum Schreiben veranlassten: Liliane Studer bei «Amur, Grosser Fluss» von Leta Semadeni und «Nimm die Alpen weg» von Ralph Tharayil, Noëmi Schöb bei «Verpuppt» von Ana Marwan, «Bild ohne Mädchen» von Sarah Elena Müller und «Für Seka» von Mina Hava, Leonore Schulthess bei «Immer zwei und zwei» von Tabea Steiner und «Einzeller» von Gertraud Klemm sowie Vereinspräsident Markus Iseli bei «In einer dunkelblauen Stunde» von Peter Stamm und «Das Haus der Architektin» von Mirko Beetschen:
Klassen des Gymnasiums Interlaken
Der Literarische Herbst Gstaad will nicht nur Literatur in ländliche Gegenden einbringen, sondern auch die Jugend ansprechen. Dieses Jahr kamen wiederum Gymnasialklassen aus Interlaken und Gstaad, die den Stoff mit ihren Lehrkräften bearbeiten. Am Eröffnungstag in der Jugi Saanen, als Tabea Steiner ihren engagierten Roman «Immer zwei und zwei» über das Aufwachsen in Glaubensgemeinschaften und den Weg aus Einengungen und regelbestimmtem Leben vorstellte, waren drei Schulklassen anwesend. Aufmerksam verfolgten sie auch die Lesung von Leta Semadeni – der Schriftstellerin, die auf Romanisch und Deutsch immer wieder in traumhaft schöner und doch so schlichter Sprache aus ihrer Heimat im Bündnerland erzählt. In Saanen las sie aus ihrem Buch «Amur, grosser Fluss».
Ebenfalls eine Klasse aus Gstaad war im Kultlokal La Vache Bleue zugegen, als Ana Marwan aus dem Roman «Verpuppt» las. Es geht darin um das «Grosswerden». Die Protagonistin befindet sich in einer Anstalt und wagt einen Blick aus dem Fenster «in die gute Welt der Dinge». In Marwans Buch dreht sich vieles um Realität oder Fiktion – es vermischt sich.
Die Macht der Sprache
Eindrücklich demonstriert Ralph Tharayil mit seinem Buch «Nimm die Alpen weg» die Kraft der Sprache – wie durch die Anwendung von Sprache Dinge beeinflusst werden können, was die Sprache alles kann. Sein Text lebt von der Sprache. Dabei reduziert er sie auf ein absolutes Minimum. Das bedeutet, dass ein einziger Satz oder auch nur ein Wort eine ganze Geschichte oder Beschreibung beinhaltet. Ebenfalls wichtig in seinem Text sind die Zwischenräume. Da finden unausgesprochene Wahrnehmungen statt.
In seinem Buch lässt Tharayil auch die kulturellen Unterschiede erahnen, die Kinder überwinden müssen, wenn sie mit ihren Eltern aus einem Land mit Krieg und politischen Konflikten in ein «sicheres» Land ziehen. Er deutet ein Kind-Eltern-Verhältnis auf kleinstem Raum an, ein Zusammenleben einer Familie, in welcher zwei Welten aufeinandertreffen – die Welt der Eltern und die der Kinder.
Was alles Literatur sonst noch bewegen kann, zeigte sich auch an den beiden Festivaltagen am Wochenende, über die wir in der Ausgabe vom Freitag berichten werden.