Landwirtschaft vor grossen Herausforderungen
05.02.2024 LandwirtschaftDie Landwirtschaftliche Vereinigung Saanenland (LVS) schaute an ihrer General versammlung über den Tellerrand hinaus. Die Aufgaben, denen sich die hiesigen Landwirte stellen, sind keineswegs nur regional geprägt.
JENNY STERCHI
Die LVS und ihre ...
Die Landwirtschaftliche Vereinigung Saanenland (LVS) schaute an ihrer General versammlung über den Tellerrand hinaus. Die Aufgaben, denen sich die hiesigen Landwirte stellen, sind keineswegs nur regional geprägt.
JENNY STERCHI
Die LVS und ihre Agenda
Neben der Planung einer Biogasanlage im Saanenland, traditionellen Anlässen, an denen die Landwirtschaftliche Vereinigung Saanenland (LVS) in Erscheinung tritt, dem im Rahmen des Projekts Regionaler Entwicklung geplanten Bau einer Schlachtanlage sind es auch agrarpolitische Entscheide auf Kantons- sowie Bundesebene, die den Mitgliedern der LVS zu tun geben.
Die LVS und ihre Zahlen
Christine Frautschi orientierte als Kassierin die Versammlung über die Jahresrechnung des vergangenen Geschäftsjahres, die mit einem Gewinn von 3600 Franken abschloss. Für das nächste Jahr wird ein Aufwandüberschuss von 4700 Franken erwartet.
Die LVS und ihr Vorstand
Präsident David Perreten bescheinigte all seinen Vorstandskolleginnen und -kollegen eine effiziente und angenehme Zusammenarbeit. Vorstandsmitglied Michael Hefti stellte sich zur Wiederwahl und wurde einstimmig in seinem Amt bestätigt.
Die LVS und ihre Aktivitäten
«Grundsätzlich steht die Mitgliedschaft in unserer Vereinigung allen Interessierten offen, ist also nicht den Landwirtinnen und Landwirten des Saanenlandes vorbehalten», erklärte Patricia von Grünigen, Leiterin der Geschäftsstelle, auf Anfrage. Demnach seien auch Gewerbetreibende unter den Mitgliedern. Andererseits bestehe für die hiesigen Bäuerinnen und Bauern nicht die Pflicht, in die LVS einzutreten.
Präsident David Perreten blickte auf Referate und Homöopathiekurse zur Tiergesundheit, eine gelungene Topschau und die aktive Teilnahme an der Standortentwicklungsstrategie der Gemeinde Saanen zurück. All das und noch mehr stand bei der LVS im letzten Jahr auf dem Programm.
Die LVS und grosse Projekte
Um in der Planung einer Biogasanlage im Saanenland vorwärts zu kommen, wurde ein Verein gegründet, in dessen Vorstand auch ein Mitglied der LVS Einsitz genommen hat. Dies ermögliche laut Perreten in der Planungsphase nichts zu verpassen und den Entwicklungsfortschritt des Projektes an die Gemeinde Saanen zu übermitteln. Das Interesse der potenziellen Rohstofflieferanten, wie der Käsereien, Gastronomiebetriebe, des Reitzentrums in Saanen und natürlich der Landwirte der Region, sei gross.
In einem zweiten Projekt engagiert sich die LVS für den Bau einer regionalen Schlachtanlage. Dies geschieht im Rahmen der Projekte regionaler Entwicklung (PRE). Eine solche Anlage würde eine lokale Schlachtung im Sinne von Nachhaltigkeit und Tierwohl erlauben.
Die LVS und die Digitalisierung
Für die Überarbeitung der Website und die Neuauflage eines Werbeflyers wurde in der Jahresrechnung ein Betrag von 2000 Franken definiert. Flyer werden aus Gründen der Nachhaltigkeit nur noch wenige ausgedruckt, um im Fall von Aktualisierungen nicht zu viel veraltetes Prospektmaterial zu verursachen. Die besser strukturierte Website soll den Nutzern den Zugang und die Bewegung auf der Seite erleichtern. Die Vernetzung ist übergeordnetes Ziel der Überarbeitung. So wurde die Zuteilung von Zivildienstleistenden auf die Landwirtschaftsbetriebe zentralisiert. Neu ist nur noch die LVS für die Verteilung der nicht gerade üppig vorhandenen Zivis verantwortlich.
Die LVS und ihre Sorgen
So wie bei der Zuteilung der Zivis werden auch in anderen administrativen Belangen die Auflagen für landwirtschaftliche Betriebe und deren zumeist kurzfristigen Anpassungen festgelegt – und dies bei stetig steigendem Kostendruck. Agrarpolitische Entscheide, die nicht immer einfach nachzuvollziehen und durchaus zu hinterfragen seien, forderten hohe Flexibilität und viel Energie von den Landwirten. (siehe Interview mit David Perreten)
Die LVS und ihre Gäste
Mit Ferdinand Eschler und Marco Addor waren zwei Vertreter des Jagdvereins Saanenland zu Gast, die über die Rehkitzrettung aufklärten. Ihnen sind mit den Drohnen effiziente technische Mittel in die Hand gegeben. Dennoch liege es nach wie vor in der Verantwortung der Landwirte, die Suche nach möglichen Rehkitzen auf ihrem Land zu initiieren. Auch hier zeigt sich die Digitalisierung mit der Anmeldung über ein Onlineportal. «Mit dem Link auf unserer neuen Website befinden wir uns mitten in der angestrebten Vernetzung und können Hilfestellung beim Ausfüllen bieten», erklärte Patricia von Grünigen abschliessend.
KENNEN SIE DIE SCHRAUBENZIEHERREGEL?
Sie mag unkonventionell klingen, aber sie ist ziemlich einfach anzuwenden: die Schraubenzieherregel. Wenn frostige Nächte im Frühling den Boden mit einer Reifschicht überziehen, können Bäuerinnen und Bauern mittels eines Schraubenziehers die Beschaffenheit der Unterlage bestimmen. Lässt sich ein Schraubenzieher an mehreren Stellen der Parzelle mit der flachen Hand nicht in den Boden stossen, ist der Boden noch gefroren und es darf keine Gülle ausgebracht werden. Denn Gülle darf während der Vegetationspause – also solange das Gras nicht wieder wächst – nicht auf dem Land verteilt werden, daran ändern auch die frühlingshaften Temperaturen der vergangenen Tage und die dank grosser Niederschlagsmengen vollen Güllekästen nichts.
DAVID PERRETEN
DAVID PERRETEN, PRÄSIDENT DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN VEREINIGUNG SAANENLAND, IM INTERVIEW
«Auch die Haltung des Konsumenten spielt eine wesentliche Rolle»
JENNY STERCHI
Die Proteste im benachbarten Ausland und mittlerweile auch in der Schweiz sorgen für Aufsehen und rücken immer näher ans Saanenland. Für wie wahrscheinlich halten Sie, David Perreten, Protestaktionen auch im Saanenland?
Es kategorisch auszuschliessen wäre falsch. Aber ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass unsere Landwirte die Strassen des Saanenlandes demnächst blockieren. Vielleicht ist es ganz lokal betrachtet unser Vorteil, dass wir sowohl mit den Leistungsträgern der Region als auch mit der Bevölkerung eng vernetzt sind.
Sind die Proteste Ihrer Ansicht nach berechtigt?
Ich kann den Unmut der Bauern durchaus nachvollziehen. Sie sollen immer günstiger produzieren, während die Auflagen und Anforderungen in der landwirtschaftlichen Produktion stetig zunehmen. Nachhaltig und ökologisch zu produzieren hat seinen Preis. Andere Wirtschaftszweige haben CO2-Zertifikate und Möglichkeiten finanziell gesteuerter CO2-Kompensation, um so ihre Energiebilanz vermeintlich zu optimieren. Von den Landwirten wird mittels der Aufhebung der Zollbefreiung von Dieselkraftstoff ein möglichst kurzfristiger Umstieg auf erneuerbare Energien gefordert, denn sie sind in ihrer Tätigkeit für alle sichtbar. Natürlich wollen wir Landwirtschaft möglichst umweltschonend und ohne das Klima noch mehr zu belasten betreiben. Aber am Klimawandel sind auch andere Verursacher beteiligt. Der Preisdruck im Allgemeinen ist immens. Auch die Haltung des Konsumenten spielt dabei eine wesentliche Rolle. Derzeit gilt: Man bestellt sich ein Chateaubriand, möchte aber nur einen Big Mac zahlen.
Würde sich die LVS im Fall einer Protestaktion politisch positionieren?
Wir sind da ein wenig im Dilemma, denn in unseren Statuten ist zum einen die politische Neutralität festgeschrieben, an anderer Stelle ist jedoch die Vertretung politischer Interessen unserer Landwirte als Ziel definiert. Ich denke, parteipolitisch müssen wir neutral bleiben, agrarpolitisch hingegen sollten wir im Sinne unseres Berufsstandes Stellung beziehen.
Glauben Sie, dass der Protest auch Gefahren birgt?
Ich halte es für gefährlich, wenn auf den Zug der Bauernproteste extremistische Strömungen aufspringen, leider im Moment im benachbarten Ausland zu beobachten. Die Protestierenden sollten sich dieser Gefahr bewusst sein und mit ihren Aktionen im Thema Landwirtschaft bleiben.
Was kann die LVS?
Sie kann regional die Interessen der Mitglieder einholen und diese weitertragen. Ausserdem kann sie Landwirte unserer Region untereinander noch mehr vernetzen. Als bündelnde Organisation haben wir Rückhalt in der Agrarpolitik des Bundes und des Kantons.
Und was kann die LVS nicht?
Wir können nicht die Welt retten. Aber wir können versuchen, uns, wenn auch noch so klein, an der Rettung zu beteiligen.