«Man findet wieder zurück ins Leben»
19.03.2024 KulturAb morgen ist der Dokumentarfilm «Bergfahrt» im Ciné-Theater Gstaad zu sehen. Als Protagonistin mit dabei: die Bergführerin Carla Jaggi aus Saanen, die ihren Partner am Berg verloren hat.
SONJA WOLF
Im neuen Dokumentarfilm «Bergfahrt» ...
Ab morgen ist der Dokumentarfilm «Bergfahrt» im Ciné-Theater Gstaad zu sehen. Als Protagonistin mit dabei: die Bergführerin Carla Jaggi aus Saanen, die ihren Partner am Berg verloren hat.
SONJA WOLF
Im neuen Dokumentarfilm «Bergfahrt» gibt es viele Protagonisten. Und sie alle haben eines gemeinsam: einen ganz eigenen Zugang zu «ihrem» Gebirge. Da ist zum Beispiel der Glaziologe Luc Moreau, der die Bewegungen des Glacier de l'Argentière bei Chamonix misst. Die Biologin Erika Hiltbrunner untersucht die Anpassungsfähigkeit alpiner Pflanzen und der Musiker Claudio Landolt nimmt am Vorderen Glärnisch Töne auf.
Kein Drehbuch
Und dann ist da noch die Saaner Bergführerin Carla Jaggi, die den Tod anspricht. Den Tod ihres Partners Julian Zanker, der im Februar 2019 im Alter von 28 Jahren an der Eigernordwand ums Leben kam. Im Film spricht sie über diese Erfahrung – aber nicht nur. «Es war nichts vorgegeben, es gab kein Drehbuch oder so etwas», sagt sie bei einem Gespräch mit dieser Zeitung anlässlich eines Heimatbesuches in Saanen. «Ich hatte von der Regisseurin Dominique Margot nur grob diesen Verlust als Thema vorgegeben bekommen, und wie ich mich jetzt dem Berg gegenüber fühle», beschreibt sie die Situation. «Aber ich konnte ihr nicht versprechen, dass ich auf Knopfdruck irgendwelche grossen Gefühle zeigen oder über etwas sehr Schweres sprechen könnte.» Der Moment kam dann aber gleichwohl. Denn für den Film kletterte sie mit ihrem Begleiter Mario und einem vierköpfigen Filmteam in einer zweitägigen Tour noch einmal über den Eiger. «Wir hatten eine megaschöne Szene.» Die zierliche junge Frau wird fast ein wenig wehmütig, als sie an den Moment zurückdenkt. «Wir sassen auf einem Grat, ein wenig weiter weg von der Hütte. Es war ein wunderschöner Sonnenuntergang. Wir sprachen über den Eiger. Irgendwann ist es still geworden, und dann sassen wir gefühlte zehn Minuten vor laufender Kamera einfach schweigend da.» Stark wirkt sie, lebensbejahend, und dabei gleichzeitig mild und in sich ruhend.
Eine empathische Anfrage
Bereits 2020 hatte Regisseurin Dominique Margot telefonisch bei Carla Jaggi angefragt, ob sie bei einem Kaffee zusammen ihr neues Doku-Bergprojekt besprechen wollten. «Damals wusste ich noch nicht um die Grösse des Projekts, fand Dominique aber sehr sympathisch und vertrauenswürdig», beschreibt Carla Jaggi den Anfang. Als die Regisseurin auf eine sehr empathische Art gefragt habe, ob das Thema Julian und dessen Tod als Filminhalt infrage käme, überlegte sie es sich gut.
Genau wie schon im Winter 2019, als sie zum ersten Mal mit ihrer Erfahrung an die Öffentlichkeit getreten war. Damals hatte der Journalist Marius Buhl, der für eine Reportage einmal mit ihr und ihrem Partner Julian Zanker den Mönch im Berner Oberland bestiegen hatte, ebenfalls angefragt, ob er ein Interview zum Thema Tod am Berg und Carla Jaggis Umgang damit machen dürfe.
«Man darf auch über den Tod reden»
Die junge Bergführerin war und ist sehr reflektiert bezüglich ihrer Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit. «Ja», sagt sie bestimmt, «man darf auch über den Tod reden, nicht immer nur über die schönen Seiten des Bergsteigens.»
Und vor allem habe es ihr selbst gleich nach ihrem Schicksalsschlag sehr geholfen, Berichte von anderen jungen Menschen zu lesen, die ebenso ihren Partner verloren hatten. Und die eben nicht – wie es uns manchmal klischeehaft in Spielfilmen begegnet – am Leben kaputtgegangen sind.
«Ich habe Vorbilder gefunden, die trotz des Verlusts ihres Partners weich und sanft geblieben sind – zu sich und der Welt. Ich konnte zu ihnen hinaufblicken und sagen: Es geht! Man findet wieder zurück ins Leben, ohne in Verbitterung und Groll zu versinken!»
Seit dem damaligen Zeitungsbericht über ihre Geschichte und auch dem Kinostart seien bereits Menschen mit ähnlichen Schicksalen auf sie zugekommen und hätten ihre Geschichte mit ihr geteilt. «Die Rückmeldungen waren megaschön», sagt sie dankbar und freut sich, dass nun auch sie Vorbild für andere sein kann.
Ohne Groll
«Tatsächlich», so erzählt sie, «habe ich gegenüber den Bergen überhaupt keinen Groll.» Gleich im Sommer nach dem tödlichen Unfall habe sie mit Freunden eine Hochtour auf der Jungfrau gemacht und dann im gleichen Sommer mit einem Gast sogar die Eiger-Tour gewagt, wo Julian ums Leben kam. «Doch selbst da hegte ich keinen Groll. Der Berg kann ja nichts dafür!»
Erst mal Menschen retten
Und heute? Sie liebt die Berge zwar immer noch, macht aber seit knapp zwei Jahren eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin.
«Ich finde es total spannend, ich hatte ja bisher nichts mit Medizin zu tun», sagt sie. Nebenher Gäste auf den Berg zu führen, ist ihr allerdings im Moment zu stressig. Die Schule und der Ambulanzdienst nimmt sie bereits 100 Prozent in Anspruch, an den Wochenenden wartet noch ein Lernberg auf sie. «Ausserdem bin ich jetzt nicht mehr so viel draussen und daher auch nicht mehr up to date, wie die Verhältnisse aktuell sind.» Und für ein verantwortungsvolles Führen der Gäste wäre es schon wichtig zu wissen, wie gerade der Schnee beschaffen oder in welchem Zustand die Route ist.
Dafür geht sie jetzt ab und zu privat mit Freunden in die Berge, was sie früher zu Bergführerzeiten viel seltener schaffte. «Und ich geniesse es!»
www.cine-theater.ch/detail/110283/Bergfahrt
Vorstellungen morgen Mittwoch, 20. März und Donnerstag, 21. März. Carla Jaggi wird am Mittwochabend anwesend sein.
CARLA JAGGI, BERGFÜHRERIN
Die 32-jährige Carla Jaggi ist in Saanen aufgewachsen. Mit drei Jahren stand sie zum ersten Mal auf den Ski, mit vier Jahren hing sie im ersten Klettergurt und mit elf kletterte sie bereits leidenschaftlich. Die Berge sind ihre grosse Passion, obwohl ihr Freund, ein erfahrener Kletterer, 2019 in der Eigernordwand ums Leben kam. Im Film stattet sie ihm zusammen mit ihrem Kollegen Mario Heller einen Besuch ab, indem sie den Berg erklimmt. Aufhören ist für die junge Frau kein Thema. Sterben in den Bergen aber schon. «Ein Risiko gibt es immer», sagt sie. Ihre Beziehung zu den Bergen sei wie ein Waldbrand. Mal lodere das Feuer wild auf und verschlinge alles, mal schwele es nur vor sich hin. Erloschen sei es aber noch nie.
CINEWORX PRESSEHEFT/SWO
WORUM GEHTS IM FILM?
In den Bergen spiegeln sich heute die Veränderungen unserer Zivilisation wider. Gletscher schmelzen, Gipfel bröckeln. Aber nach Jahren des Massentourismus und der Ausbeutung findet in Bezug auf die Alpen ein Umdenken statt.
Die Schweizer Regisseurin Dominique Margot porträtiert in ihrem Dokumentarfilm Forscher:innen, Künstler:innen und Bergsteiger:innen, die sich auf neue, unbekannte Weisen mit dem Gebirge auseinandersetzen.
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