Manfred und Jörg Trachsel: «Das BLW hat uns betrogen!»
06.02.2023 LandwirtschaftRund 20 Bergbauern aus Lauenen und der Lenk wehren sich seit 16 Jahren gegen die in ihren Augen «willkürliche Umwandlung» von Landwirtschaftlicher Nutzfläche in Sömmerungsgebiete. Nun haben die beiden Gemeinden zusammen mit dem Lauener Manfred Trachsel als ...
Rund 20 Bergbauern aus Lauenen und der Lenk wehren sich seit 16 Jahren gegen die in ihren Augen «willkürliche Umwandlung» von Landwirtschaftlicher Nutzfläche in Sömmerungsgebiete. Nun haben die beiden Gemeinden zusammen mit dem Lauener Manfred Trachsel als Vertreter der Bauernschaft eine Aufsichtseingabe bei der Geschäftsprüfungskommission (GPK) im eidgenössischen Parlament eingereicht.
KEREM S. MAURER
In dieser von der «Bauernzeitung» aufgegriffenen Geschichte, die ihren Ursprung im ausgehenden letzten Jahrhundert hat, geht es um Vorsassen, um die Definition von Gemeinschaftsweiden, um viel Geld und Bauern, die für ihr Recht gegen den Staat kämpfen.
Vorsassen sind Weidegebiete, auf denen Bauern ihr Vieh vor und nach der Alpsömmerung weiden lassen. An der Lenk und in Lauenen gibt es seit jeher Vorsassen, die von mehreren Bauern gleichzeitig genutzt werden und deshalb im Volksmund als Gemeinschaftsweiden bezeichnet werden – was sie aber gemäss Landwirtschaftlicher Begriffsverordnung (LBV) gar nicht sind. Vorsassen, auf denen das Vieh von mehreren Landwirten weidet und nur im Frühjahr und Herbst bestossen werden, waren von 1993 bis 1998 von landwirtschaftlichen Beiträgen und Direktzahlungen ausgeschlossen. Denn laut LBV vom April 1993 zählten nur private Vorsasse (Maiensässe) zur landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN).
Änderung der Begrifflichkeiten
Vorstösse auf Bundes- und Kantonsebene verlangten damals eine Änderung der LBV. Sie forderten, dass die gemeinsam beweideten Vorsassen gleich zu behandeln sind wie private Vorsassen. In der darauffolgenden Vernehmlassung wurden die Kriterien für landwirtschaftliche Nutzflächen und Sömmerungsgebiete klar definiert, sowie die Artikel 8 und 25 (siehe Kasten) der landwirtschaftlichen Begriffsverordnung neu definiert. «In dieser Vernehmlassung wird unmissverständlich aufgezeigt, dass die Vorsassen in Lauenen und an der Lenk, die von mehreren Bauern gleichzeitig genutzt werden, keine Gemeinschaftsweiden sind, und ab dem 1. Januar 1999 neu zur Landwirtschaftlichen Nutzfläche zählen», erklärt Manfred Trachsel aus Lauenen. Schweizweit wurden damals diese Flächen auf 15’000 Hektaren Land geschätzt, 116 Hektaren davon an der Lenk und in Lauenen (Siehe Grafik 1). Jörg Trachsel, ehemaliger Gemeindepräsident von Lauenen und direkt betroffener Bergbauer, betont: «Diese Kriterien sind bei wortwörtlicher Auslegung von Artikel 8 und 25 LBV sehr praxisnah, korrekt und einfach anzuwenden.» Damit waren alle Beteiligten zufrieden.
Beginn der Streitigkeiten
2006 kam es mit der Abteilung für Direktzahlungen des Kantons Bern zu Diskussionen. In deren Folge entschied das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) – wider besseren Wissens, wie die Bauern dem Amt unterstellen – die strittigen Weiden in Lauenen und an der Lenk als Gemeinschaftsweiden zu bezeichnen und neu dem Sömmerungsgebiet zuzurechnen (Grafik 2). «Diese Entscheidung war falsch. Denn die gemeinsam beweideten Vorsassen in Lauenen und an der Lenk galten ab dem 1. Januar 1999 nach grammatikalischer Auslegung von Artikel 8 und 25 nicht mehr als Gemeinschaftsweiden!», ärgert sich Jörg Trachsel, der von der Umwandlung direkt betroffen ist. Er erklärt die Problematik dieser Umwandlung gegenüber dieser Zeitung: «Es geht in unserer Region um 116 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche, die zu Unrecht in Sömmerungsgebiete umgewandelt worden sind. Damit geht es um eine beachtliche Summe Geld, die den Landwirten zusteht, ihnen aber vorenthalten wird.» Dies, weil LN mit höheren Direktzahlungen abgegolten werden als Sömmerungsgebiete. Aufgrund der verkleinerten LN werden auch Standardarbeitskräfte (SAK) verringert, was je nach Situation dazu führt, dass Betriebe bei Investitionen aus dem Beitragssystem fallen.
Gerechtfertigte Vorwürfe
Für die betroffenen Bauern ist diese Umwandlung «ungerecht» und beruht auf «krassen Fehlentscheiden». Ihre Vorwürfe gegen das BLW sind offenbar gerechtfertigt. Manfred Trachsel, der von dieser Umwandlung selbst nicht betroffen ist, aber den Bauern zu ihrem Recht verhelfen will, stellt klar: «Bei wortgetreuer Auslegung von Artikel 8 LBV liegt nur dann ein Gemeinschaftsweidebetrieb vor, wenn dieser von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, einer Allmendkorporation oder einer Personengesellschaft bewirtschaftet wird.» Das sei aber in Lauenen nicht der Fall, weil jeder Bauer sein Hab und Gut auf der gemeinsam genutzten Vorsass auf eigene Rechnung und Gefahr bewirtschafte. Also handle es sich bei den strittigen Weiden nicht um Gemeinschaftsweidebetriebe, sondern um normale Vorsassen. Also legten die Bauern vor Gericht Beschwerde ein, um die Umwandlung rückgängig zu machen. Erfolglos.
Versuchte Anpassung des Artikels 8 während des Verfahrens
Das BLW wollte während des laufenden Verfahrens den Buchstaben d aus dem Artikel 8 der Landwirtschaftlichen Begriffsverordnung LBV mit folgender Begründung streichen: «In der Praxis werden aufgrund des fortschreitenden Strukturwandels zunehmend Weidebetriebe gemeinsam von natürlichen Personen bewirtschaftet. Damit diese ebenfalls als Gemeinschaftsbetriebe gelten können, soll die Beschränkung auf öffentlich-rechtliche Körperschaften und Allmendkorporationen gestrichen werden.» Das Nichtanwenden, respektive Streichen von Buchstabe d hätte zur Folge gehabt, dass die strittigen Weiden wieder als Gemeinschaftsweiden gegolten hätten. Das ist für Jörg und Manfred Trachsel ein weiterer Hinweis darauf, dass das BLW zu diesem Zeitpunkt wusste, dass in Lauenen und an der Lenk keine Gemeinschaftsweiden vorliegen. «Das ist reine Willkür! Das BLW kann die versuchte Abänderung des Artikels 8 LBV bis heute nicht korrekt erklären», hebt Manfred Trachsel hervor.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat 2008 die vom BLW vorgenommenen Umzonung gestützt und ist dafür – wie es selber festhält – von der grammatikalischen Auslegung von Artikel 8 abgewichen. Als Begründung machte es fehlenden politischen Willen geltend. Selbst wenn diese Begründung für die Bauern und die Gemeinden in keiner Weise nachvollziehbar war, sind diese letztinstanzlichen Urteile öffentlich einsehbar und rechtsgültig.
BLW weist Vorwürfe zurück
Das Bundesamt für Landwirtschaft verweist auf Anfrage auf einen Bericht, den der Bundesrat im Jahr 2014 aufgrund eines Postulats von Nationalrat Erich von Siebenthal zu den Gemeinschaftsweiden verabschiedet hat. Es hält fest: «Der Bundesrat kam zum Schluss, dass die Zuordnung der Gemeinschaftsweiden zum Sömmerungsgebiet rechtlich korrekt ist. Die zuständige Kommission des Nationalrats hat den Bericht zustimmend zur Kenntnis genommen». Und es widerspricht den Bauern: «Bei den Flächen in Lenk und Lauenen handelt es sich um Gemeinschaftsweiden, die dem Sömmerungsgebiet zugeteilt werden.» Die Medienstelle des BLW ergänzt: «Für die Abgrenzungen des Sömmerungsgebietes sind die Bewirtschaftung vor 1999 sowie die herkömmlich-traditionelle Bewirtschaftung massgeblich.» Einfacher gesagt, wäre damit alles beim alten geblieben.
Dazu Manfred Trachsel: «Wenn alles so übernommen worden war, wie es vor 1999 war, wo sind denn diese 15’000 Hektaren, die neu der Landwirtschaftlichen Nutzfläche zugewiesen werden sollen? Unsere strittigen Weiden müssen doch darin enthalten sein.» Und zum vom BLW erwähnten Bericht zum Postulat von Erich von Siebenthal sagt er, es sei «irreführend und unkorrekt» hier von Gemeinschaftsweiden zu sprechen. Zudem habe das BLW die Kommission für Wirtschaft und Abgaben im Nationalrat (WAK-N) nicht korrekt informiert. Er fragt, wie Politiker korrekt entscheiden sollen, «wenn sie von einem Bundesamt mit tückischen Falschaussagen informiert werden.»
Ball liegt bei der GPK
Nun haben die Gemeinden Lauenen und Lenk zusammen mit Manfred Trachsel als Vertreter der Bauernschaft die Aufsichtseingabe bei der Geschäftsprüfungskommission GPK im eidgenössischen Parlament eingereicht. Für Thomas Egger, Alt-Nationalrat und Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete SAB, ist der Unmut der Lauener und Lenker Landwirte verständlich. «Der Fall enthält einerseits Elemente, die in den Kompetenzbereich der Aufsichtsbehörden fallen. Andererseits wirft er aber auch grundsätzliche Fragen zur Agrarpolitik auf», teilt Egger auf Anfrage mit. Und: Man warte für die aufsichtsrechtlichen Fragen die Beurteilung der GPK ab, die grundsätzlichen Fragen zur Agrarpolitik werde man beim nächsten Treffen mit dem BLW ansprechen.
Bedauern beim Bauernverband
Der im Juli 2018 eingeschaltete Schweizer Bauernverband bedauert auf Anfrage, dass keine Lösung gefunden wurde. Seine Medienstelle schreibt: «Sowohl wir vom Schweizer Bauernverband wie auch der Berner Bauernverband waren in den Fall involviert und kennen ihn. Es wäre uns ein Anliegen gewesen, dass der Bund, beziehungsweise der Kanton eine Lösung findet. Das ist aber leider nicht geschehen und unterdessen liegen Gerichtsurteile vor.»
Die Lauener Bauern um Jörg und Manfred Trachsel und ihre Lenker Kollegen lassen sich nicht entmutigen. Sie sind überzeugt, dass das BLW trotz des Gerichtsentscheids neu verfügen könne. Es brauche nämlich, entgegen allen Behauptungen des BLW, keine neuen Bestimmungen. Es reiche völlig, wenn man das noch heute in der Begriffsverordnung Geschriebene wortgetreu anwende. Abschliessend halten Jörg und Manfred Trachsel zur ganzen Angelegenheit fest: «Das BLW kann die Umzonung der strittigen Weiden in das Sömmerungsgebiet nie wahrheitsgetreu rechtfertigen, denn alle Fakten sprechen für die Landwirte.»
LANDWIRTSCHAFTLICHE BEGRIFFSVERORDNUNG (LBV )
Artikel 8:
Als Gemeinschaftsweidebetrieb gilt ein landwirtschaftliches Unternehmen, das:
a) der gemeinschaftlichen Weidehaltung von Tieren dient;
b) Gemeinschaftsweiden (Art. 25) aufweist;
c) über Gebäude und Einrichtungen für die Weidehaltung verfügt; und
d) von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, einer Allmendkorporation oder einer Personengesellschaft bewirtschaftet wird.
Fassung gemäss Ziff. I der V vom 25. Juni 2008, in Kraft seit Januar 2009.
Artikel 25:
Gemeinschaftsweiden sind Flächen im Eigentum von öffentlich-rechtlichen oder privat-rechtlichen Körperschaften, die traditionell von verschiedenen Tierhaltern oder Tierhalterinnen gemeinsam als Weide genutzt werden und die zu einem Gemeinschaftsweidebetrieb gehören.