Mehr Kühe?
05.12.2025 LeserbriefeIm dem «Anzeiger von Saanen» beiliegenden Heft «Beständeschauen» schreibt Simon Bach in seinem Inserat: «Wir brauchen mehr Kühe…» Dazu kann ich nur sagen: «Geits no!?» Wer die Schweizer Landwirtschaft gründlich mitverfolgt, weiss doch ...
Im dem «Anzeiger von Saanen» beiliegenden Heft «Beständeschauen» schreibt Simon Bach in seinem Inserat: «Wir brauchen mehr Kühe…» Dazu kann ich nur sagen: «Geits no!?» Wer die Schweizer Landwirtschaft gründlich mitverfolgt, weiss doch nur zu gut, dass diese meiner Ansicht nach von je her in einem zum Teil sehr krassen Missverhältnis von Ackerbau und Nutztierhaltung steht. Die Schweiz hat prozentual zu ihrer landwirtschaftlichen Nutzungsfläche aus meiner Sicht viel zu viel Rindvieh und Schweine, und viel zu wenig Ackerbau – nicht unbedingt im Berggebiet, aber im Flachland. Dort wäre es längst angebracht gewesen, die Milch- und Fleischproduktion zugunsten von mehr Ackerbau zurückzufahren. Die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg hatten ja bewiesen, dass mit Ackerbau die gleiche Landfläche zwei bis dreimal so viel Nahrungsmittel abwirft. Doch statt diese Erkenntnis zu nutzen, überliess man die Landwirtschaft nach dem Krieg wieder dem sogenannten «freien» Markt, wo vorerst jeder in vollem Ausmass das produzieren durfte, was ihm am meisten zusagte. Die dadurch entstandene «Milchschwemme» und der mit Hilfe von Bundesgeldern abzubauende «Butterberg» waren schon mal ein erster Beweis für das, was ich als miserable Landwirtschaftspolitik empfinde. Doch statt die «Milchfabriken» im Unterland gebührend «an die Karre» zu nehmen, bürdete man den Bergbauern Milchkontingente auf, welche dann zum Teil auch den «Bauernfrieden» ritzten.
Obwohl der Bauernverband immer wieder fordert, der Selbstversorgungsgrad an Nahrungsmittelproduktion müsse erhöht werden, wagt es offensichtlich kein Landwirtschaftspolitiker, offen für eine Richtungskorrektur zu plädieren und das Problem an der Wurzel anzupacken. Oberländer SVP-Nationalräte versuchten meiner Meinung nach immer wieder einen «Stadt-Landgraben» herbeizureden. Die von der Politik fehlgeleitete Unterlandkonkurrenz und -dominanz in der Milchwirtschaft trifft aber die Bergbauern wesentlich stärker. Weil man den Parteikollegen im Flachland jedoch nicht auf die Füsse treten will, setzt man einfach auf Opportunismus und lässt alles beim Alten.
Vor allem die SVP prangert immer wieder die EU als Gegner der Schweizer Landwirtschaft an. Doch gerade das EU-Land Österreich zeigt in uns beschämender Weise auf, wie man durch staatliche Unterstützung der Kleinbergbauern erfolgreich die Abwanderung aus den Bergtälern bekämpft, während das in den Neunzigerjahren in Kraft getretene «neue» Schweizer Landwirtschaftsgesetz meiner Meinung nach gezielt eine Grossgrundbesitzer-Landwirtschaft anpeilt und die Kleinbauern praktisch vernichtet. Und die Art und Weise, wie die Schweizer Bauern im süddeutschen Raum ihre Deutschen Berufskollegen ausstechen können, weil ihnen unser Bund nach meinem Kenntnisstand für bis weit von der Schweizergrenze entfernte Pachtflächen die vollen Flächenbeiträge bezahlt, erachte ich als Schande der Schweizer Politik.
Auch wie die durch ihren SVP-Bundesrat vertretene Landwirtschaftspolitik im internationalen Handel – etwa auch gegenüber den USA – Entscheidungen trifft, die aus meiner Sicht zu Ungunsten der Schweizer Bauern ausfallen, lässt aufhorchen. Wenn wirtschaftliche Nachteile im Spiel sein könnten, verlieren auch in unserem Bundesrat Moral und Gerechtigkeit an Bedeutung, und die Tür zur Korruption wird geöffnet. Dies erscheint mir als besorgniserregende Entwicklung. Dass so viele Menschen kein Vertrauen mehr in die Politik(er) haben, wundert mich wirklich nicht.
Christoph Blocher sagte ja mal sinngemäss in einem Interview: Um seine Ziele erreichen zu können, müsse man halt die Wahrheit gelegentlich mal «anpassen». Wie recht er da doch hat!
GOTTFRIED VON SIEBENTHAL, AESCHI B. SPIEZ
