Klassikkonzert und Rave unter einem Dach sorgt für wechselseitige Begeisterung
12.08.2024Klassische Musik für die einen, elektronische für die anderen: Am «Visions of Classical Music – Trans-Classics X» trafen zwei Interessengruppen auf dem Eggli aufeinander und erweiterten gegenseitig ihren Horizont. Applaus und eine tanzende Menge waren der ...
Klassische Musik für die einen, elektronische für die anderen: Am «Visions of Classical Music – Trans-Classics X» trafen zwei Interessengruppen auf dem Eggli aufeinander und erweiterten gegenseitig ihren Horizont. Applaus und eine tanzende Menge waren der Beweis, dass die «Transfusion» funktionierte.
JOCELYNE PAGE
Von ruhigem Klatschen über Applaus mit Zurufen und Jubel bis hin zu einer tanzenden Menge: Hört sich dies für Sie nach einem klassischen Konzert des Gstaad Menuhin Festival & Academy an? Eher ungewohnt, aber es war Tatsache: der Event «Visions of Classical Music – Trans-Classics X» auf dem Eggli – organisiert in Kollaboration mit Plausch Events – baute Brücken zwischen zwei Publikumsgruppen, die am Ende eines verbunden hat: die Leidenschaft und Begeisterung für Musik, egal welches Genre.
Ein Streichkonzert der eigenen Art
Der Abend begann mit lyrischen Tönen und dramatischen Klängen vom «Vision String Quartet», welches Stücke von Ernest Bloch und Dmitri Schostakowitsch zum Besten gab. Das Beeindruckende: alles ohne Noten und im Stehen. Die Spannung im Zelt auf der Aussichtsterrasse des Eggli war spürbar, das Publikum leise und andächtig. Die Klassikliebhabenden genossen das professionelle Spiel, die Elektrofans liessen sich auf eine Reise mitnehmen. Nach einer kurzen Pause traten die Mitglieder des Quartetts – Florian Willeitner, Daniel Stoll, Sander Stuart und Leonard Disselhorst – wieder auf die Bühne und ab ging die Post. Sie präsentierten Jazz, Folk und Improvisationen aus ihrem Album «Spectrum» – alles Eigenkompositionen. Schlagen, zupfen, klopfen, streichen: Sie nutzten Geige, Bratsche und Cello bei jeder neuen Darbietung vielseitig und kreierten auf unkonventionelle Art und Weise Melodien, die verschiedene Bilder vor dem eigenen inneren Auge aufblitzen liessen. Mal war es sanft und träumerisch, mal rockig und fetzig, oder auch melancholisch und nachdenklich.
Mit ihren lustigen Anekdoten und Erklärungen zu Kompositionen oder Spielweisen unterhielten die vier Berliner das Publikum bestens.
Stühle weg, Tanzfläche frei
Und es kam der Moment, auf den alle gewartet hatten: Während das «Vision String Quartett» sein letztes Stück präsentierte, bereitete sich hinter ihnen der DJ und E-Violinist Seth Schwarz vor, um nahtlos zu übernehmen. Zeitgleich räumten die Festivalmitarbeitenden die Stühle weg, die Tanzfläche war frei. Berührungsängste wie bei einer schulischen Tanzveranstaltung, bei der sich niemand traut, die Tanzfläche zu betreten, waren hier nicht zu finden: Die Leute besammelten sich vor dem DJ-Set, unter dem Publikum waren alle vertreten – auch diejenigen, die für das Quartett angereist waren.
Gemeinsam mit seiner Frau, die ihn gesanglich begleitete, bot Seth Schwarz eine Live-Performance, in der er klassische Elemente mit elektronischen Beats verschmelzen liess. Poppig, poetisch oder elektrisierend: das Konzert hatte für jeden Geschmack etwas zu bieten. Die tanzende Menge strahlte Begeisterung aus. Und all dies an einem Mittwochabend.
«Freunde meiner Eltern baten mich, sie zu einem nächsten Plausch-Rave einzuladen»

Yannic Schwenter (links) auf der Bühne mit dem «Vision String Quartet» und Christoph Müller (rechts), Artistic Director des Gstaad Menuhin Festivals. (Foto: Theresa Pawel)
Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem Gstaad Menuhin Festival & Academy und Plausch Events? Wie hat sich diese gestaltet? Und trotz gleicher Branche: Organisiert sich ein klassisches Konzert gleich wie ein Rave? Yannic Schwenter von Plausch Events erzählt.
JOCELYNE PAGE
Das «Trans-Classic X» auf dem Eggli ist ausgetanzt. Ihr erster Eindruck?
Yannic Schwenter: Ich bin fasziniert, wie diese Fusion funktioniert hat, sei es zwischen den Musikgenres, den Organisatoren oder den unterschiedlichen Gästegruppen. Ich beobachtete die jungen Leute im Publikum, die sich im ersten Teil des Konzerts vom «Vision String Quartet» auf die Stücke von Bloch und Schostakowitsch einliessen. Bei manchen hörte ich aber auch die Gedanken schreien: «Ja nicht husten oder auffallen!» (lacht) Und schwupps, liess ein Kollege von uns sein Handy fallen – war aber gar nicht so schlimm und die Atmosphäre insgesamt sehr locker! Auf der anderen Seite begeisterte mich das ältere Publikum, das zwar für die klassische Musik angereist war, aber auch das DJ-Set genoss und sich inspirieren liess. Seth Schwarz präsentierte meiner Meinung nach einen gelungenen Mix aus verschiedenen Musikstilen.
Hat alles so geklappt, wie Ihr von Plausch Events es vorbereitet habt? Entsprach der Ablauf Euren Erwartungen?
Es war perfekt, was nicht selbstverständlich ist. Denn selbst wenn ein Event noch so gut durchgeplant ist, hängt am Ende viel von den Künstlern ab. Dass das Quartett und der DJ beide aus Berlin stammen, liess uns hoffen, dass sie sich kennen. Tatsächlich: Schwarz und der Violinist Florian waren auf der gleichen Universität! Die Musiker verstanden sich sofort. Die Übergänge, besonders als der DJ und das Quartett gemeinsam improvisierten, waren genial. Das «Vision String Quartet» befand sich während des DJ-Sets mitten auf dem Dancefloor am Tanzen. Nach dem Event sah ich alle Künstler noch in der Lobby des Hotels, feiernd bei einem Glas Wein.
Und haben Sie bereits erste Reaktionen von den Gästen erhalten?
Ja, Freundinnen und Freunde meiner Eltern baten mich, sie zu einem nächsten Plausch-Rave einzuladen – es gibt nun wohl weniger Berührungsängste. Und ich begleite einige Freunde nächste Woche sogar zu einem klassischen Konzert.
Wie viele Leute waren schlussendlich auf dem Eggli?
Das Konzert mit 300 Sitzplätzen war ausverkauft, und etwa 75 Prozent blieben für das DJ-Set. Zudem konnten wir weitere 150 Personen motivieren, für den zweiten Teil aufs Eggli zu kommen – und das an einem Mittwoch!
Wie ist es eigentlich zu dieser Zusammenarbeit mit dem Menuhin-Festival gekommen?
Wir besuchten ein Festival, wo ein DJ mit Orchester spielte. Die Idee gefiel uns so gut, dass wir über ein ähnliches Setting in unserer Region nachdachten. Wir wandten uns an die Verantwortlichen des Menuhin-Festivals, die uns offen begegneten, da sie ebenfalls an transformativen Ansätzen arbeiteten. Sie schlugen uns das Eggli vor, was uns begeisterte, und gemeinsam stellten wir ein Programm zusammen. Sie kümmerten sich um den klassischen Act, wir um den elektronischen.
Und dabei sind Sie und Ihre Kollegen auf Seth Schwarz, DJ und E-Violinist, gestossen.
Genau. Er ist ein spontaner und motivierter Musiker, der sofort vom Konzept überzeugt war. Er ist von Herzen Musiker und war deshalb bereit, mit uns etwas Besonderes auf die Beine zu stellen.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen des Festivals gestaltet?
Es war grossartig. Der Austausch war locker und funktionierte auch hybrid, mit Online-Calls und Whatsapp-Chats. Die Zusammenarbeit war so, wie wir es uns mit allen Partnern wünschen. Ein grosses Lob auch an die Bergbahnen Destination Gstaad AG, die ein grosses Verständnis für Events haben. Dank ihrer Infrastruktur konnten wir eine wettersichere Location in einem professionellen Setting anbieten.
Gibt es Unterschiede in der Gestaltung von klassischen und elektronischen Konzerten?
Wir sind beide in anderen Branchen tätig, die andere Gepflogenheiten haben. So ist es beim Menuhin-Festival üblich, dass man dem Künstler ein Geschenk überreicht, in diesem Fall ein Glas einheimischen Honig. An einem Elektronikfestival zahlen wir einfach die Gage an den DJ und fertig. (lacht) Aber Seth Schwarz freute sich unglaublich über diese Aufmerksamkeit und von diesen vermittelten Werten konnten wir enorm profitieren. Die Verantwortlichen des Menuhin-Festivals haben das Bedürfnis, die Region zu präsentieren und den Leuten eine Verbundenheit zum Saanenland mitzugeben. Das ist sehr schön, diese Werte wollen wir künftig auch noch mehr leben.
Welche Bedeutung hat dieser Event, das «Trans-Classic X» auf dem Eggli, für Sie?
Ich habe bei Gstaad Saanenland Tourismus die Lehre absolviert und damals Menuhin-Tickets am Schalter verkauft. Hätte ich damals gewusst, dass ich eines Tages einen dieser Anlässe mitorganisiere – ich hätte es mir nicht ausmalen können. Nun ist es vollbracht, und ich bin stolz auf unser Team von Plausch Events. Wir haben grosse Offenheit und Motivation gezeigt. Das Team des Gstaad Menuhin Festivals zeigte grossen Mut, und meiner Meinung nach hat sich das gelohnt. Wir spürten auch viel Respekt.
Spielen Sie eigentlich selbst ein Instrument?
Ich wünschte es. Ich habe mich immer für Musik und Instrumente interessiert, finde Saxofon und Klavier cool. Als Zehnjähriger hatte ich ein Schlagzeug. Aus dieser Karriere wurde jedoch nichts. Ab und an singe ich gerne bei Konzerten mit.
Mehr Informationen zu Plausch Events unter: www.plausch.events
«Mir war zunächst nicht klar, dass es sich um ein rein klassisches Festival handelt»

Seth Schwarz bei seinem DJ-Liveset auf dem Eggli. (Foto: Theresa Pawel)
Vor seinem mit Spannung erwarteten Auftritt im Eggli Berghaus sprachen wir mit dem DJ und Elektronik-Violinisten Seth Schwarz über seine innovative Verschmelzung von klassischer und elektronischer Musik und sein Debüt beim renommierten Gstaad Menuhin Festival & Academy.
Es scheint üblich zu sein, dass elektronische Festivals eher Künstler:innen einladen, die elektronische und klassische Musik miteinander verbinden, als dass dies bei klassischen Festivals der Fall ist. Ändert sich dies? Wie sehen Sie die Entwicklung?
Seth Schwarz: Ich denke, das ist eine hervorragende Entwicklung, und ich bin wirklich begeistert davon. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich als Künstler der elektronischen Musik zu einem klassischen Musikfestival eingeladen werde, und das ist eine aufregende Erfahrung. Es ist eine grossartige Möglichkeit, den Horizont eines Publikums zu erweitern, das vielleicht eher daran gewöhnt ist, zu sitzen und zuzuhören, als sich zur Musik zu bewegen. Ich fühle mich in diesem Crossover-Bereich sehr wohl und ich hoffe, dass wir nach dem Menuhin-Festival noch mehr davon sehen werden.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Menuhin Festival?
Es begann mit einer Anfrage, und als ich den Namen Menuhin sah, war ich sofort Feuer und Flamme – natürlich, weil ich den legendären Künstler kenne. Aber mir war zunächst nicht klar, dass es sich um ein rein klassisches Festival handelt. Die Beteiligung von Plausch, einem bekannten Festival- und Rave-Veranstalter, machte deutlich, dass sie etwas wirklich Einzigartiges anstrebten. Ich fühlte mich zutiefst geehrt, dass ich eingeladen wurde, an diesem Crossover-Projekt mitzuwirken.
Glauben Sie, dass dieser Trend Teil der Bemühungen ist, ein jüngeres Publikum für klassische Musikfestivals zu gewinnen?
Auf jeden Fall. Klassische Musik zieht normalerweise ein reiferes, anspruchsvolleres Publikum an. Aber durch die Integration elektronischer Musik – die derzeit das am schnellsten wachsende Genre weltweit ist – können die Festivals auch ein jüngeres Publikum ansprechen.
Mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln kann jeder zu Hause Musik produzieren. Als ich jünger war, hätte ich mir solche Möglichkeiten gewünscht. Die Verschmelzung dieser beiden Welten bereichert nicht nur das Festivalerlebnis, sondern öffnet auch Türen für künftige Generationen von Musikern und Zuhörern.
Was ist Ihr persönlicher Weg zur klassischen Musik? Wann hat sie Sie zum ersten Mal in ihren Bann gezogen?
Meine Reise begann mit der Geige im Alter von sieben Jahren. Ich erinnere mich lebhaft an einen Tag der offenen Tür in einer Musikschule. Ich erkundete jeden Raum, aber es war der Klang der Geige, der mich wirklich in seinen Bann zog. Von diesem Moment an war ich süchtig und begann, das Instrument zu lernen. Obwohl mein Weg mich eine Zeit lang in die Medizin führte, fand ich schliesslich zur Musik zurück, insbesondere zur elektronischen Musik. Durch Festivals wie Fusion lernte ich das Genre kennen und mit der Zeit wurde mir klar, dass die Verbindung meiner klassischen Wurzeln mit elektronischen Elementen die Richtung war, die ich einschlagen wollte.
Wie finden Sie das richtige Gleichgewicht zwischen klassischer und elektronischer Musik, so dass beide Genres respektiert werden?
Es geht darum, die Harmonie zwischen beiden zu finden. Am Anfang meiner Karriere war ich versucht, die Geige über jeden Beat zu legen, aber ich habe schnell gelernt, dass bei elektronischer Musik weniger oft mehr ist. Die Musik braucht Raum zum Atmen. Es ist wichtig zu wissen, wann man sich zurücknimmt und die elektronischen Elemente in den Mittelpunkt stellt, und wann man die Geige glänzen lässt. Es ist ein Gleichgewicht, das sich mit der Erfahrung einstellt – man muss den Rhythmus fühlen, die Tropfen spüren und mit Hilfe der Improvisation entscheiden, wann die Präsenz der Geige die grösste Wirkung erzielt. Wenn der richtige Moment gekommen ist, lasse ich mich ganz darauf ein.
Gibt es Komponisten, die Sie bei Ihrer Arbeit besonders inspirieren?
Ich fühle mich besonders von B. Svensson angezogen. Obwohl seine Arbeit nicht streng klassisch ist, verbindet er auf brillante Weise Elemente aus verschiedenen Kulturen mit klassischer Musik, Filmmusik, gregorianischen Gesängen und vielem mehr, wodurch eine fast psychedelische Mischung entsteht. Wir haben sogar an einem Stück namens «The Bartender» zusammengearbeitet, das eine Mischung aus verschiedenen Techniken und Aufnahmestilen zeigt. Seine Fähigkeit, diese Elemente miteinander zu verweben, war für mich eine grosse Inspiration.
Ihre neueste Single «Radiate Love» scheint eine besondere Energie zu verkörpern. Wollen Sie bei Ihren Auftritten ein bestimmtes Gefühl oder eine bestimmte Energie mit Ihrem Publikum teilen?
Auf jeden Fall. «Radiate Love» spiegelt das wider, was ich auf der Bühne zu vermitteln versuche. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen der Zürcher Musikwoche einen Meisterkurs über das Arrangieren von Streichern für Tanzmusik zu geben, und es kam alles wunderbar zusammen. Wir alle haben unsere Schattenseiten, aber wenn ich auf der Bühne stehe, konzentriere ich mich darauf, das Glück zu umarmen und Liebe auszustrahlen. Wir sind alle Lichtwesen und wenn wir gemeinsam leuchten, können wir die Welt wirklich zu einem besseren Ort machen. Hier in den Bergen ist die Energie unglaublich – die Sonne, die nach dem Regen durchbricht, ist einfach die perfekte Metapher für das Konzert, das wir gleich erleben werden.
VICTORIA MARTIN/GSTAAD LIFE
AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT/JOP




















