Eine Wagner-Oper in Gstaad
26.08.2024 KulturEs ist wahrlich ein besonderes Ereignis, vielleicht sogar ein Wagnis, eine der grossen Opern vom berühmten, oft auch umstrittenen Komponisten Richard Wagner auf die Festivalzeltbühne zu bringen. Wenn der weltbekannte Tenor Jonas Kaufmann aber die Rolle des Tristan singt, ist vom ...
Es ist wahrlich ein besonderes Ereignis, vielleicht sogar ein Wagnis, eine der grossen Opern vom berühmten, oft auch umstrittenen Komponisten Richard Wagner auf die Festivalzeltbühne zu bringen. Wenn der weltbekannte Tenor Jonas Kaufmann aber die Rolle des Tristan singt, ist vom Musikalischen her bereits ein Erfolg garantiert.
KLAUS BURKHALTER
Und so strömen denn viele Opernfans herbei: Sind es «Wagnerianer» oder «normale» Konzertbesuchende, die regelmässig die Menuhin-Festival-Anlässe besuchen? Erwartungsvoll lassen sich alle in die mächtigen Opernklänge und -ereignisse hineinziehen, zunächst mit dem Vorspiel zu «Parsifal», dann mit dem zweiten Akt aus «Tristan und Isolde». Beide Werke entstammen inhaltlich dem keltischen Sagenkreis. Wagner schrieb die Textbücher zu seiner Musik selbst, sie wurde immer wieder im Festspielhaus von Bayreuth aufgeführt und machte ihren Weg zu allen Opernhäusern der Welt.
Einstimmung mit «Parsifal»
Nachdem auch die letzten Gäste nach Verkehrsschwierigkeiten ihre Plätze gefunden haben, kann das riesige Gstaad Festival Orchestra sein Spiel unter der Führung von Sir Mark Elder beginnen. Die ersten Klänge aus dem Vorspiel zum Bühnenweihfestspiel «Parsifal» geben die Einstimmung in die musikalische Welt Wagners. Es ist ein sanfter, fast zauberhafter Beginn mit einfachen Melodien, in denen sich jedes Register vorstellen kann. Schon hier leuchtet das grosse Bläserensemble besonders hervor. Unter Elders ruhiger Stabführung erklingt der stimmungsvolle musikalische Beginn des riesigen Werkes, mystisch-feierlich, getragen vom Geist der Weihe, des Karfreitags und der Andacht. Viele Motive werden später im Operngeschehen eine tragende Rolle spielen.
Nach 20 Minuten gibt es bereits die grosse Pause und es ergeben sich die ersten Austauschmöglichkeiten unter den Gästen über Wagners Klangwelt…
«Tristan und Isolde»
Gespannt erwartet nun das Publikum den Auftritt der berühmten Sängerinnen und Sänger und diese beeindrucken alle sofort mit ihrem intensiven Gesang. Zunächst sind es Sasha Cooke als die Verwandte Brangäne und Camilla Nylund in der Rolle der Isolde, die mit ihren grossen Stimmen packend und intensiv ins Geschehen einführen. Sasha Cooke hat einen wunderbaren Mezzosopran – leuchtend, locker, hell, aber auch düster, wenn sie als Brangäne ihre Warnungen singt. Camilla Nylund, die weltweit gefeierte finnische Sopranistin, steht während des ganzen zweiten Aktes auf der Bühne. Sie hat also eine gewaltige Rolle zu bewältigen, welche sie überzeugend erfüllt. Sie singt ihre Partien fein-melodisch, auch kraftvoll, wenn es nötig ist, und sie spielt die oft fast kindlich-träumerische Verliebte, doch auch die Verzweifelte beim tragischen Ende grossartig. Der auf allen Bühnen der Welt gefeierte Tenor Jonas Kaufmann befriedigt glänzend die hochgesteckten Erwartungen des Publikums. Seine wohlklingende Stimme erfüllt den grossen Raum: Es sind zarte, flehende Töne, dann wieder intensiv laute Ausrufe, auch beschwörende, eindrückliche Forderungen an seine Umwelt. Christof Fischesser verkörpert mit seiner ergreifenden Bassstimme den zuletzt eintretenden König Marke. Grossartig, wie er seine Klage spannungsvoll gestaltet. In hohen und tiefen Lagen singt er klangvoll und überzeugend. Auch der von seiner Zeit am Theater Bern her noch bekannte Bariton Todd Boyce in der Rolle des Melot bringt mit seinem kurzen stimmgewaltigen Auftritt die Liebesnacht zum tragischen Ende.
Hohe, auch inhaltlich anspruchsvolle Anforderungen
Die zu singenden Texte des Werkes sind enorm lang und schwierig, inhaltlich oft schwer zu verstehen oder kaum nachvollziehbar, auch wenn sie auf die Bildwände projiziert werden: Es ist das nächtliche Liebesgeschehen zwischen Tristan und Isolde. Die Erfüllung aller Sehnsüchte scheint möglich, dank des Zaubertrankes schwelgen die Liebenden in Glücksgefühlen und wünschen sich einen Liebestod, der ewige Lust verspricht. Der Wunsch gipfelt im berühmtesten Duett «O sink hernieder, Nacht der Liebe». Motive der deutschen Romantik werden hier verherrlicht.
Die Musik nimmt vom Gesang her ihren Ausgang, erfüllt sich aber auch im Orchester, das symphonische Ausmasse hat. Die Sprache der Instrumente ist wie ein zusätzliches Organ der Personen auf der Bühne. Was eine Figur fühlt, denkt und tut, findet in Melodien, Harmonien und Rhythmen ihren Ausdruck. Und das Gstaad Festival Orchestra erfüllt diese Forderungen grossartig. Jedes Register der Streicher und Bläser hat seine absoluten Höhepunkte, die jeweils leider nicht einzeln hervorgehoben werden können. Souverän steht über allem der Dirigent Sir Mark Elder. Eindrücklich führt er seine Musiker durch alle Wogen des grossen Werkes. Er versteht es, das Sängerensemble in seinem Rücken mit den hervorragenden Instrumentalisten zu koordinieren, sie zu beflügeln oder zu besänftigen, die Tempi zu bestimmen und alle Besonderheiten auszuloten.
Der Applaus des Publikums ist gross, die Mitwirkenden werden auf der blumengeschmückten Bühne gefeiert für eine gewaltige, fast übermenschliche Leistung, auch wenn die Wagner-Klänge nicht unbedingt jedermanns Lieblinge sind.