Mini-Gstaad: «Die Kinder haben das System wirklich verstanden!»
14.08.2025 InterviewIn diesem Jahr feiert die Kinder- und Jugendfachstelle (Juga) ihr 20-jähriges Bestehen. Mini-Gstaad war das grosse Jubiläumsprojekt – und ein voller Erfolg. Wir fragten bei der Juga-Leiterin und Organisationsverantwortlichen Lara Pichler nach, was die teilnehmenden Kinder ...
In diesem Jahr feiert die Kinder- und Jugendfachstelle (Juga) ihr 20-jähriges Bestehen. Mini-Gstaad war das grosse Jubiläumsprojekt – und ein voller Erfolg. Wir fragten bei der Juga-Leiterin und Organisationsverantwortlichen Lara Pichler nach, was die teilnehmenden Kinder für ihr Leben mitnehmen konnten, aber auch, was die Organisierenden aus dem Projekt gelernt haben.
SONJA WOLF
Wenn Sie auf die drei Wochen zurückblicken: Was war für Sie der schönste Moment im Mini-Gstaad?
Der schönste Moment im Mini-Gstaad war für mich, als wir als Team gemerkt haben, dass die Kinder das System wirklich verstanden haben – und die ersten demokratischen Prozesse ganz von selbst ins Rollen kamen. Das ist ja einer der Kerne unseres Projekts: Demokratie im Alltag erleben. Besonders schön war auch, dass nach den ersten Tagen viele Eltern begeistert erzählten, wie lebhaft ihre Kinder zu Hause von ihren Erlebnissen berichteten – und wie stolz sie waren, Teil dieses «kleinen Dorfes» zu sein.
Gab es Überraschungen, die Sie nicht erwartet hatten?
Überraschend war für uns, dass viele freiwillige Helfende trotz der sehr anstrengenden Tage nicht genug bekommen konnten – und immer wieder anboten, noch mehr zu helfen, einfach weil sie das Projekt so begeistert hat. Ebenso hat uns beeindruckt, wie sparsam viele Kinder mit ihrem verdienten Geld umgingen. Noch schöner war zu beobachten, wie selbstverständlich sie Kinder unterstützten, die weniger verdient hatten, oder Jüngere, die öfter Pausen brauchten – ein gelebtes Miteinander, das wir so nicht in diesem Ausmass erwartet hatten.
Welche Ziele konnten Sie aus Ihrer Sicht am besten erreichen: Demokratie, Berufserfahrung oder Gemeinschaft?
Demokratie konnten wir den Kindern auf jeden Fall näherbringen, auch wenn es für die Jüngeren noch etwas herausfordernd war. Die Abläufe und Entscheidungsprozesse waren für sie teils komplex und die Tage lang und intensiv. Berufserfahrung konnten wir den Kindern im Rahmen des Systems ebenfalls vermitteln, wobei dieser Aspekt noch spannender werden könnte, wenn künftig noch mehr Berufsleute aus der Region aktiv eingebunden wären. Die Gemeinschaft unter den Kindern hat sich im Laufe der drei Wochen ebenfalls stark entwickelt – und das ganz ohne grosse Anstösse von unserer Seite.
Hätten Sie da ein konkretes Beispiel?
Das Verständnis für das Zusammenspiel von Arbeit, Geldfluss und demokratischen Abläufen hat sich im Laufe der drei Wochen enorm entwickelt. Ein besonders prägendes Beispiel war ein Freitag, an dem viele Kinder etwas müde waren und nicht so viel arbeiten wollten. Dadurch landete deutlich weniger Geld in der Steuerkasse – und die Politik konnte einige Vorhaben, die von der Bevölkerung gewünscht wurden, nicht umsetzen. Als die Kinder das merkten, sagten viele: «Oh, wir müssen arbeiten gehen, sonst können wir diese Sachen gar nicht machen.» Solche Erkenntnisse gab es viele, und das Beeindruckende war: Die Kinder kamen selbst darauf, allein durch die Erfahrungen, die sie im Projekt machten.
Gab es Rückmeldungen der Kinder oder Eltern, die Sie besonders berührt oder gefreut haben?
Wir haben unglaublich viele Rückmeldungen erhalten – und viele davon haben uns richtig stolz gemacht, dass wir dieses Projekt auf die Beine gestellt haben. Besonders in Erinnerung geblieben sind uns Aussagen wie: «Ich versuche meinem Kind schon lange das Sparen beizubringen – ohne Erfolg. Jetzt war er zwei Tage hier und hat es verstanden.» Oder eine Mutter erzählte lachend: «Gestern hat mich meine Tochter zu einem Kaffee im Mini-Gstaad eingeladen und gesagt: Für deinen Kaffee musste ich eine Stunde arbeiten – ich hoffe, du schätzt ihn.» Solche Momente zeigen uns, wie nachhaltig die Erfahrungen wirken und wie viel die Kinder wirklich mitnehmen.
Gab es Berufe oder Stationen, die besonders beliebt waren?
Die Stationen mit Fachpersonen waren durchweg am beliebtesten. Besonders gefragt waren die Elektrozone, Bauingenieurwesen, Security, die Bank, das Spital, Nagelstyling, die Hühnerfarm, Kochen, Malerei, die Backstube, Bauarbeiten und die Drogerie. Auch Metallbau, Journalismus, Polizei, Feuerwehr und andere Berufe, die nicht immer durchgehend vertreten waren, weckten grosses Interesse.
Wie gut hat die Zusammenarbeit mit den beteiligten Betrieben, Fachpersonen und Sponsoren funktioniert?
Wir waren sehr dankbar, dass die Beteiligten so flexibel mit uns in dieses Wagnis eingetaucht sind. Da wir Mini-Gstaad zum ersten Mal durchgeführt und ein komplett eigenes Konzept entwickelt haben, gab es während der Umsetzung natürlich Anpassungen – manchmal sogar mitten im Geschehen. Ohne diese Flexibilität wäre das Projekt in dieser Form nicht möglich gewesen. Anfangs war es nicht einfach, allen das Projekt zu erklären. Viele sagten erst während der Durchführung: «Jetzt verstehe ich es und kann es mir vorstellen – da hätten wir auch gerne noch mehr mitgemacht.» Entwicklungsprojekte wie dieses sind eben schwer vorab zu beschreiben, weil sich vieles erst aus den Ideen und Bedürfnissen der Kinder heraus entwickelt. Darum gilt unser besonderer Dank all jenen, die sich darauf eingelassen haben.
Welche Herausforderungen gab es in der Organisation oder im Tagesablauf – und wie haben Sie sie gemeistert?
Eine der grössten Herausforderungen war, dass die Tage für die jüngeren Kinder oft sehr lang waren und sie den Ablauf nicht immer sofort verstanden – sie brauchten mehr Unterstützung. Deshalb haben wir meist älteren Kindern die Aufgabe gegeben, den Jüngeren zur Seite zu stehen. In der zweiten und dritten Woche kam die Ferienbetreuung hinzu: Die älteren Kinder konnten bei uns aktiv mitmachen, die Jüngeren wurden vom Ferienbetreuungspersonal begleitet. Wir haben dies gemeistert, indem die jüngeren Kinder auch Ausflüge unternahmen und soweit möglich in die Aktivitäten integriert wurden.
Und die räumlichen Gegebenheiten?
Auch die stellten uns vor Herausforderungen: Wir arbeiteten auf einem Sandplatz in einem Zelt, was bei Regen sehr nass und matschig war und an heissen Tagen sehr trocken und staubig. Hier haben wir mit den Kindern gemeinsam Wasserrinnen geschaufelt und auch Aktivitäten ausserhalb des Zelts organisiert, um die Bedingungen bestmöglich zu nutzen.
Mini-Gstaad Teil war das Jubiläumsprojekt zum 20-jährigen Bestehen – dafür hat der Ferienpass dieses Jahr nicht stattgefunden. Allerdings hat auch das Ferienpass-Team beim Mini-Gstaad-Projekt tatkräftig mitgeholfen.
Ja genau, das Ferienpass-Team war eine riesengrosse Hilfe für uns. Das Team besteht aus sehr engagierten Personen, die wirklich mit uns «ins kalte Wasser gesprungen» sind, stets mitgedacht haben und uns bei Organisation, Planung und Umsetzung tatkräftig unterstützt haben. Ihre Flexibilität und ihr Einsatz haben wesentlich dazu beigetragen, dass Mini-Gstaad so erfolgreich verlaufen konnte
Der Demokratiepreis und das Interesse der anderen Medien hat gezeigt, dass Ihr Konzept überzeugt – wie geht es jetzt weiter? Wird es eine Wiederholung von Mini-Gstaad geben?
In den nächsten Wochen werden wir das Projekt gründlich auswerten: Wir werden unsere Überlegungen, Notizen für zukünftige Durchführungen und die Rückmeldungen von Kindern, Eltern und Beteiligten sorgfältig durchgehen. Letztlich ist die Entscheidung, ob ein derartiges Projekt wiederholt wird, nicht nur ein Team-, sondern auch ein politischer Entscheid. Für die Umsetzung von Mini-Gstaad mussten wir alle unsere Ressourcen extrem bündeln, wodurch andere Aufgaben unseres regulären Aufgabengebiets nur eingeschränkt abgedeckt werden konnten. Dieses Projekt sollte unbedingt wiederholt werden, dafür müssten jedoch deutlich mehr personelle Ressourcen bereitgestellt werden. Die Freiwilligen waren unverzichtbar und sehr hilfreich, aber es gibt einen grossen Unterschied zwischen jemandem, der einen Tag hilft, und Personen, die das Projekt aktiv mitorganisieren, alle Abläufe verstehen und selbstständig agieren können. Auch sind wir überzeugt, dass wir künftig noch mehr Fachpersonen motivieren können, sich zu beteiligen, da wir nun einige Erfahrungen und Tricks gesammelt haben, um den Aufwand für sie überschaubar zu gestalten. Das Interesse an Mini-Gstaad stieg während der Durchführung kontinuierlich – von lokalen Betrieben, Fachpersonen, Medien, anderen Fachstellen und Behörden. Aus unserer Sicht ist eine Wiederholung absolut sinnvoll und ein wichtiger Bildungszweig.